Prag 2014

Es war Prag, wo wir als S&D-Fraktion unsere letzte Veranstaltung der Serie „Neustart Europa“ abhielten. Neben einer Rückschau auf die verschiedenen Themen, die wir in ganz Europa diskutierten, stand das Zusammenwachsen unseres Kontinents auf der Tagesordnung. Der Prager Frühling von 1968 war eines jener Ereignisse, die, wenngleich mit zeitlicher Verzögerung, das Sowjetsystem zum Fall brachten. Und hier in Prag wurde Jahre später, am 30. September 1989, vom Balkon der deutschen Botschaft durch Außenminister Genscher den DDR Flüchtlingen, die dort Unterkunft gefunden haben, die Möglichkeit einer Ausreise in die Bundesrepublik angekündigt. Das war der Anfang eines zusammenwachsenden Europas.

Das erste Mal war ich wenige Wochen nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in Prag. Die damalige Sowjetunion fürchtete, der Prager Frühling könnte auf die anderen Länder im Sowjetreich und auf Russland selbst übergreifen. So ein „Bazillus“ müsste einfach ausgerottet werden. Der Grund des Aufenthalts eines Freundes und von mir war das Ersuchen von Freunden, die nicht mehr nach Prag zurückkehren konnten, ihnen einige Bücher und sonstige persönliche Gegenstände mitzubringen. In der entsprechenden Wohnung, wo wir auch wohnten, gab es auch reichlich kommunistisches Material. So erinnere ich mich noch an eine Schallplatte mit Gedichten an den „jungen Stalin“, in dem der Namen Stalin mit kurzem a und mehreren l ausgesprochen wurde, um seine Härte und Macht zum Ausdruck zu bringen.

Stalin gibt es schon lange nicht mehr und Putin ist ein Autokrat mit expansionistischen Bestrebungen – aber jeder Vergleich mit Stalin ist völlig unangebracht. Putins Politik ist der Versuch, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der Sowjetunion neu hergestellte europäische Ordnung zu korrigieren. Die EU-Erweiterung nach „Osten“, die mit einem „Big Bang“ von 10 Ländern 2004 begonnen hat, kann nicht mehr korrigiert werden. Vor allem, da sie durch eine Nato-Erweiterung begleitet und abgesichert wurde. Auch Kritiker der Nato müssen angesichts der russischen Politik von heute zugeben, dass die Nato Erweiterung Schutz bietet.

Dennoch muss die neue Situation Anlass zu neuen Überlegungen sein. Aus der Nachbarschaft zur EU bzw. zu Russland ergeben sich heute keine Kandidaten zum unmittelbaren Beitritt zur EU. Aber anderseits erachte ich es als moralische Pflicht, aber auch als politisch geboten, diesen Ländern eine europäische Perspektive zu geben. Primär geht es dabei um die Ukraine, Moldawien und Georgien. Sie alle stehen unter Bedrängung durch Putins Russland. Russisch sprachige Bevölkerungsteile werden von Russland benützt, um Unruhe zu stiften. Russland schreibt sich automatisch eine Schutzfunktion zu und droht mit verschiedenen Aktionen von Gebietsansprüchen, Okkupation und Annexion bis zur Sperre von russischen Märkten für wichtige Exportgüter aus diesen Ländern.

Die Raschheit und Brutalität, mit der Russland reagiert, ist besonders betrüblich. Aber es ist ebenso klar, dass Russland aus all den vergangenen EU Erweiterungen und den beabsichtigten Assoziierungsabkommen der Verlierer ist. Jedenfalls, wenn man in den alten, traditionellen Machtkategorien denkt. Und das tut Putin sichtlich. Es wäre naiv zu behaupten, der EU und dem Westen überhaupt ist Machtdenken total fremd. Aber dennoch, wir unterbreiten Angebote und verlangen Reformen, Russland setzt die Nachbarn unter Druck und unterstützt oftmals reformunwillige Potentaten und Oligarchen. Jedenfalls treffen unterschiedliche Machtkonzepte aufeinander und da hat es oft den Anschein, dass die gewaltbereite Macht immer im Vorteil ist.

Für Europa stellt sich nun die Frage, wie es reagieren soll. Was immer wir tun können, wir müssen unsere Nachbarn politisch, wirtschaftlich und finanziell unterstützen. Wir müssen sie auffordern, alle BürgerInnen, insbesondere auch die russisch-sprachigen, in die Gesellschaft und das politische System zu integrieren. Und wenn wir Russland zu einem konstruktiven Verhalten motivieren können, dann kann auch die Blockungebundenheit und Neutralität eine Möglichkeit sein, die die entsprechenden Länder für sich entscheiden könnten. Österreich ist damit gut gefahren. Die österreichische Neutralität hat eine Integration in die EU nicht verhindert. Und ähnlich ist es mit der Blockungebundenheit/Paktfreiheit Schwedens und Finnlands. Wichtig ist jedenfalls ein pragmatisches und differenziertes Vorgehen, das Russland keine Macht im Inneren der Länder lässt, selbst wenn das strategische Interesse Russlands berücksichtigt wird und diese Länder militärpolitische Restriktionen erfahren.