Veränderung und Dauerhaftigkeit

Die Mehrheit der EuropäerInnen lebt in Städten. Und die städtischen Agglomerationen wachsen auch in Zukunft. Städte sind Orte ständiger Veränderungen, aber anderseits verlangen die Menschen in diesen Städten nach Ruhe, Ausgeglichenheit und Bewahrung von Identität und Charakter ihrer Umwelt.

Genau um diese Widersprüchlichkeit und Spannung ging es bei dem vorletzten „Neustart Europa“ Event in Kiruna, im Norden Schwedens. Die Stadt befindet sich nicht nur neben, sondern auch auf einem riesigen Eisenerzvorkommen. Je weiter und tiefer die Gewinnung des Eisnerzes voranschreitet, desto mehr ist die Stadt gefährdet. Daher plant man bereits die Umsiedlung des Stadtzentrums samt Rathaus und Kirche. Insgesamt sind zwei tausend Haushalte betroffen. Die Stadt bereitet sich buchstäblich aufs Umziehen vor.

Im Falle Kirunas zieht ein ganzes Stadtzentrum um und bewirkt viele Veränderungen im Zusammenleben der Menschen. Aber Städte sind immer von Änderungen betroffen. Städte sind ohne diese Veränderungen und Innovationen nicht denkbar. Handwerk wurde durch Industrien abgelöst und diese wieder durch Dienstleistungen. Und in all diesen Sektoren wechseln die Produktionsverfahren und Produktionsbedingungen. Einige wenige persönliche Dienstleistungen sind kaum von Veränderungen und Innovationen betroffen. Das sind aber die Ausnahmen.

Auch das Verkehrssystem ist von Veränderungen betroffen. Das Auto beging einen erfolgreichen Feldzug, inzwischen zu erfolgreich. Viele Städte bauen wieder die öffentlichen Verkehrssysteme aus, das Rad bekommt eine größere Bedeutung und Fußgänger erlangen wieder mehr Freiraum für sich. Die Nachhaltigkeit des Verkehrssystems, verbunden mit Energieeffizienz, spielt eine zentrale Rolle im Konzept der Smart Cities. Gerade sie beruhen auf den modernen Kommunikationsmitteln, um die Nachhaltigkeit optimal zu steuern.

In Kiruna ziehen die Häuser mit ihren Bewohnern um. In den meisten Fällen allerdings bewegen sich die Menschen ohne Häuser. Sie ziehen aus den Stadtkernen in die Stadtränder oder in die Umgebung. Anderseits ziehen Menschen vom Land in die Städte bzw. kommen Menschen aus anderen Ländern vornehmlich in die Städte. Das Migrationsproblem und damit die Herausforderungen der Integration betreffen vor allem die Städte

Dort treffen auch die verschiedenen Sprachen, Verhaltensweisen und Kulturen aufeinander. Einerseits sind die Städte die Orte, wo neue, unkonventionelle Lebensformen ausgelebt werden können und eine größere Akzeptanz finden. Anderseits kommen mit MigrantInnen vor allem aus ärmeren Ländern eher konservativen, traditionellen Lebensformen in die Städte. Das bringt oft Konflikte zwischen den verschiedenen aber auch innerhalb der einzelnen Bevölkerungsgruppen mit sich.

Politisch wird die Zuwanderung von den rechtsextremen, nationalistischen Gruppierungen ausgenutzt, um Stimmen zu sammeln. Sie sind teilweise deshalb erfolgreich, weil die Zuwanderung ärmerer und religiös und kulturell konservativer MigrantInnen auch in Kreisen auf größere Skepsis stößt, die sonst gegen die Ideologie der Rechtsextremen immun sind. Diese Menschen fürchten oft um die Identität und den Charakter ihrer liebgewonnen Umgebung, aber auch um die mühsam errungenen gesellschaftlichen Fortschritte. Das betrifft oft auch StadtbewohnerInnen, die selbst erst vor nicht all zu länger Zeit zugewandert sind.

Städte ohne Veränderungen sind nicht denkbar. Und alle Erfahrung zeigt, dass Städte viel leichter mit der Zuwanderung leben können als mit der Abwanderung. So manche Städte im Osten Deutschlands sind ein Beispiel dafür. Aber dennoch müssen die Städte auch die Zuwanderung baulich, kulturell und politisch gut bewältigen, wollen sie grössere Konflikte vermeiden.

Zuwanderung erfordert vor allem den Bau neuer – sozialer – Wohnungen, Kindergärten, Schulen etc. Kulturell bedarf es einer größeren Toleranz aber auch einer Standfestigkeit bezüglich der für Europa unverzichtbaren Werte. Und politisch bedarf es der Involvierung auch der MigrantInnen, um ihnen die Rechte und Pflichten von Bewohnern zu vermitteln.

Städte und StadtpolitikerInnen spielen also für die Zukunft Europas eine große Rolle. Die EU sollte sie bei der Bewältigung ihrer großen Herausforderungen unterstützen, sie jedenfalls nicht behindern – durch unnötige Vorschriften.