Europäische Sozialdemokraten: ‚Wir brauchen einen europäischen Neustart und einen sozialen Pakt für Gleichheit und Fairness für alle europäischen Bürger und Bürgerinnen‘

HannesIn der heutigen Plenardebatte mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Strassburg, haben die Vorsitzenden der politischen Fraktionen aus dem Europäischen Parlament ihre Vision über die Zukunft Europas dargelegt.

Hannes Swoboda, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, kommentierte die Rede von Kommissionspräsident Barroso:

„Barroso bekennt sich zum Sozialmodell Europa. Das ist sehr zu begrüßen. Nun brauchen wir aber auch entsprechende Handlungen. Die Kommission muss für ein klares Bekenntnis zur sozialen Kohäsion eintreten, sie sollte die Forderung nach einem Pakt für sozialen Zusammenhalt und Fairness im so genannten Van Rompuy Papier unterstützen. Im Rahmen der Troika sollte sie für mehr soziale Gerechtigkeit und einen Stopp des Sozialabbaus sorgen. Das ist die Basis für eine echte Partnerschaft zwischen der Sozialdemokratischen Fraktion und der Kommission. Wir würden uns freuen, würde Präsident Barroso eine solche Partnerschaft mit uns eingehen.“

Hannes Swoboda rief in seiner Rede nach einem Neustart für Europa und die europäische Integration. „Die neoliberale Ausrichtung Europas führt immer mehr Länder in die Rezession und Menschen in die Armut. Es muss ein Schlusstrich gezogen und ein neues, faires und sozial gerechtes Europa geschaffen werden“.

Die wichtigsten Punkte der Rede von Hannes Swoboda sind:

Für ein Ende der Rezession, der steigenden Arbeitslosigkeit und höheren Schulden – für Wachstum, Arbeitsplätze und sinkende Schulden

Europa befindet sich in einer tiefen Krise: wirtschaftlich, sozial und politisch, vor allem demokratiepolitisch. Die vor allem durch die Finanzmärkte verursachte Wirtschaftskrise wird durch neoliberale und konservative Kräfte entgegen der Realität ausschließlich als eine Staatsausgabenkrise definiert. In allen Ländern, in denen die strenge Sparpolitik zur Anwendung kommt, bewirkt sie das Gegenteil dessen, was angestrebt wird. Die extreme Kürzung der Staatsausgaben, der Pensionen, der Mindestlöhne bewirkt eine immer tiefer greifende Rezession.

Fokus auf die soziale Frage

Die gegenwärtige Krisenpolitik ist nicht effizient und verfehlt ihre Ziele. Aber sie ist vor allem zutiefst unsozial. Die Armutsrate erhöht sich dramatisch. Und das nicht nur in den Krisenländern, sondern auch in Deutschland, das ebenfalls vor einer Rezession steht. 20,6%, einer von fünf Arbeitnehmern, sind Niedriglohnempfänger in Deutschland. Ein Drittel der Deutschen befürchtet den sozialen Abstieg.

Wir brauchen einen Sozialpakt

Wir Sozialdemokraten werden nicht aufhören, über die steigende Armut, den wachsenden Abstand zwischen Arm und Reich und die steigende Arbeitslosigkeit zu reden. Und daher fordern wir ein Kapitel zur sozialen Kohäsion im sogenannten „van Rompuy-Papier“ als Basis für einen Pakt zum sozialen Zusammenhalt. Dies muss im Rahmen und nicht außerhalb der Verträge erfolgen.

Troikas für Wachstum und Beschäftigung

Die verschiedenen Troikas sind Helfershelfer der Rezessionspolitik. Anstatt Troikas für Wachstum und Beschäftigung, haben wir Troikas für Rezession und Arbeitslosigkeit. Es ist an der Zeit, mehr Sensibilität für die Arbeitnehmer an den Tag zu legen. Die Internationale Labour Organisation (ILO) sollte eingeladen werden, sich an den Troikas zu beteiligen.

Eine führende Rolle für die EZB

Die EZB springt in die Bresche und das ist gut so. Wir brauchen eine Politik der privaten und öffentlichen Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Daher ist die Intervention der Europäischen Zentralbank eine absolute Notwendigkeit – nicht nur für die Finanzierung der Staaten, sondern auch für die Kreditaufnahme der Unternehmen in diesen Staaten. Wir müssen unter allen Umständen das extreme, durch reale Verhältnisse nicht begründbare starke Auseinanderklaffen der Zinsen innerhalb der Eurozone, also eine „Balkanisierung“ des Euro-Finanzmarktes verhindern.

Zeit zu handeln: Investitionen für Arbeitsplätze

Es gibt eine Alternative zur gegenwärtigen, noch dazu erfolglosen Austeritätspolitik. Wir brauchen verstärkte private und öffentliche Investitionen, denn diese schaffen Arbeitsplätze. Aber in Europa sinken die öffentlichen Investitionen im Gegensatz zu den USA und Japan. Es gibt Geld für die nötigen Investitionen. Würde nur ein Viertel der ca. 1000 Mrd. Euro, die jährlich dem Fiskus entgehen, in die öffentlichen Investitionen fließen, könnten diese um 40% gesteigert werden.

Wir müssen das Geld aus den Finanzmärkten in die reale Wirtschaft umlenken. Hier haben die Märkte versagt und es muss durch die Politik wieder korrigiert werden:

Die Finanzmärkte müssen stärker reguliert werden und die Ratingagenturen ihre Aufgabe transparenter erfüllen. Wir müssen den Hochfrequenzhandel eingrenzen.
Wir müssen Steuervermeidung und Steuerflucht eindämmen.
Wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer.
Die Politik muss eine wirksame Union der Banküberwachung beschließen, die nicht nur die Eurozone umfasst, sondern eine umfassende Bankenreform für ganz Europa bewirkt.
Wir brauchen ein adäquates und das Wachstum fördernde Europäisches Budget.

Eine demokratische Erneuerung

Wir haben nicht nur eine wirtschaftliche und soziale Krise zu bewältigen, sondern auch eine demokratiepolitische. In einigen Ländern wird besonders um die parlamentarische Mitwirkung und die Bewahrung der nationalen Souveränität gerungen. Dabei wird übersehen, dass nicht primär die EU als solches die Souveränität gefährdet, sondern vor allem die Finanzmärkte und die Ratingagenturen, die die Zinssätze und Spreads diktieren.
Aber wir sind gleichzeitig Zeuge einer schleichenden Entdemokratisierung. Der Europäische Rat reißt immer mehr Entscheidungen an sich, darunter auch die Ratsentscheidung über den europäischen Haushalt. Aber wem ist der Rat als solches und der Ratsvorsitzende gegenüber rechenschaftspflichtig? Weder den nationalen Parlamenten noch dem Europäischen Parlament.

Mehr Demokratie – mehr parlamentarische Mitwirkung

Die Bürger und Bürgerinnen fühlen sich immer weniger in diesem Europa zu Hause. Deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf zur Demokratisierung Europas. Und das bedeutet eine Verstärkung der parlamentarischen Dimension, bei der das Europaparlament und die nationalen Parlamente eng zusammenarbeiten müssen.

Referenden

Referenden können die Demokratie in Europa stärken, wenn sie europäisch organisiert sind und nicht bloß national. Wir müssen den Mut haben, uns klar gegen den wachsenden Nationalismus zu wehren.

Ein europäischer Konvent für eine moderne Europäische Union

Wir müssen über eine zukunftsorientierte Struktur unseres gemeinsamen Eu
ropas nachdenken! Hierfür müssen wir einen Konvent vorbereiten, der nun eine wirkliche Verfassung Europas entwerfen soll. Aber zuerst müssen wir die heutigen Probleme lösen.