Georgien – ein schwieriges Land

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Tiflis

In den Tagen vor der Osterwoche war ich mit einer Delegation unserer Fraktion in Georgien. Eigentlich waren wir drei Delegationen. Einerseits war die Partei der Europäischen Sozialisten, vor allem vertreten durch Peter Schieder, dem Leiter einer Arbeitsgruppe für die östliche Nachbarschaft, nach Tiflis/Tbilisi gekommen. Anderseits kamen mein ehemaliger Kollege aus dem EU-Parlament, Jan Marinus Wiersma, der de facto das „Forum für Demokratie und Solidarität“ leitet und ich mit einigen Kollegen aus dem EU-Parlament.

Dreifache Mission

Wir hatten außerdem eine dreifache Aufgabe vor uns. Einerseits wollten wir mit den Vertretern des politischen Systems über die Situation im Land reden. Zu diesem Zweck trafen wir die Vertreter der Regierung und auch den Präsidenten, einige Oppositionsvertreter und Vertreter der Zivilgesellschaft. Andererseits wollten wir mit denjenigen reden, die hier im Lande europäische Interessen wahren. Und zuletzt gab es eine Konferenz mit den – wenigen – sozialdemokratischen Kräften aus den drei Ländern des Südkaukasus: Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Da die beiden letzteren Staaten wegen des Konflikts um Nagorno-Karabach miteinander verfeindet sind, kommt dafür nur Georgien als Standort in Frage.
Die Diskussionen mit den Vertretern des politischen Geschehens gestalten sich äußerst schwierig. Die Regierung verweist auf wesentliche wirtschaftliche Fortschritte und verbesserte demokratische Verhältnisse. Die Opposition und auch die NGOs hingegen sehen darin nur Scheinmaßnahmen und sprechen nach wie vor von großen Behinderungen.

Bei Präsident Shakasvilli

Den letzten Termin, den wir hatten, war jener mit Präsident Shakasvilli. Wir haben gar nicht extra um ein Treffen mit ihm angesucht. Trotzdem wurden wir am letzten Abend eingeladen, in den neuen Präsidentenpalast zu kommen. Als mich Präsident Shakasvilli konkret fragte, was denn die Opposition in den Gesprächen mit uns bemängelte, verwies ich auf die mangelnde Transparenz der Eigentumsverhältnisse der Medien und die mangelnde Präsenz der Opposition. Das führte dazu, dass der Präsident sofort das Fernsehen aufdrehte und die Abendnachrichten in mehreren Sendern übersetzen ließ.
Und in der Tat kamen einige Oppositionsvertreter, auch solche, die wir getroffen haben, prominent vor. Ob das Zufall war oder es nur diejenigen waren, die der führenden Partei nicht gefährlich werden konnten, kann ich nicht beurteilen. Aber jedenfalls war die Opposition präsent. Kaum nach Wien zurückgekehrt wurde ich allerdings benachrichtigt, dass Shakasvilli einige Druckereien sperren hat lassen, die Poster für den Regionalwahlen drucken sollten. Ich werde dem sicher nachgeben, aber es ist sehr schwierig, die Wahrheit herauszufinden.

Ultraliberaler Wirtschaftskurs

Was wir jedenfalls bei unserem Aufenthalt anschnitten, war die Diskrepanz zwischen dem Wunsch der Annäherung an die EU und einigen ultraliberalen Gesetzen bzw. Gesetzesvorhaben. Dabei handelt es sich einerseits um das bestehende Arbeitsgesetz und anderseits um das vorgesehene „Freiheitsgesetz“. Letzteres soll Steuererhöhungen und neue Regulierungsbehörden unterbinden. Die Regierung bzw. der Präsident wollen also den ultraliberalen Wirtschaftskurs festgeschrieben haben. Meine Einwände bekamen allerdings keine befriedigenden Reaktionen. Die Gewerkschaften seien nur Reste der alten kommunistischen Gewerkschaften und im „Freiheitsgesetz“ wird es eine Einfügung geben, dass dieses Gesetz nicht den Grundsätzen der EU widerspricht.

Antirussische Propaganda

Insgesamt ergaben die Gespräche ein sehr gemischtes, durchwachsenes Bild. Zwar schien mir der Präsident etwas reifer und gedämpfter zu agieren als bei meinen letzten Treffen mit ihm. Aber diejenigen der Opposition, die ein gutes Verhältnis zu Russland haben, werden nach wie vor besonders attackiert. Und in der Tat war es nicht besonders klug von einigen, nach Moskau zu „pilgern“, ohne konkrete Ergebnisse zu bringen. In einer Situation, in der die Ereignisse des Sommers 2008 und die inakzeptable Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Russland als eigene Staaten noch nachwirken, ist das auch in der Bevölkerung nicht sehr populär.
Dass die Regierung das weidlich ausnützt, ist klar, auch wenn die vor wenigen Tagen ausgestrahlte „aktuelle“ Sendung über eine – erfundene – russische Intervention in einem der Fernsehsender, der dem Präsidenten besonders nahe steht, weit über das Ziel hinaus geschossen ist. Solche permanente antirussische und Angst machende Propaganda ist zwar kurzfristig für den Präsidenten sehr hilfreich, aber langfristig nicht geeignet, die gewünschten privaten Investoren ins Land zu bringen. Das jedenfalls bestätigten mir gegenüber sowohl der Außenminister als auch der stellvertretende Ministerpräsident und Europaminister.

Zweierlei Maß

Auch der Delegationsleiter (Botschafter) der EU und der Sonderbeauftragte der EU für den Südkaukasus argumentierten in einer ähnlichen Richtung, wenngleich etwas vorsichtiger. Leider hören allerdings die georgischen „Machthaber“ zuwenig auf unsere Leute vor Ort. Diejenigen, die aber auf alle Fälle eine erfolgreiche und geschätzte Arbeit namens Europa leisten, sind die Beobachter in den Konfliktzonen. Zwar können sie – entgegen den Vereinbarungen mit Russland – nicht in die besetzten Gebiete von Südossetien und Abchasien, aber sie holen sich die Informationen, so gut es geht. Jedenfalls tragen sie wesentlich zum erhöhten Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bei. Und natürlich gilt das in besonderem Maße für die aus den beiden Gebieten vertriebenen Georgier.
Dabei wurde für die jüngst Vertriebenen, vornehmlich aus Südossetien, schon viel gemacht und es wurden neue Siedlungen angelegt. Für die allerdings schon in den 90er Jahren Vertriebenen, vor allem aus Abchasien, schaut die Lage weit schlimmer aus, wie wir bei einem Besuch eines „Lagers“ in der Nähe der alten Hauptstadt Mitskheta deutlich sehen konnten. Der Präsident und die Regierung scheinen also offenbar „ihre“ Vertriebenen mehr zu schätzen als jene aus früheren Konflikten.

Hohe Armutsrate und große Religiösität

Aber natürlich geht es nicht nur bestimmten Vertriebenen Gruppen schlecht. Nach wie vor gibt es eine inakzeptabel hohe Armutsrate, wenngleich der Präsident in unserem Gespräch auf die großen Fortschritte bei der Elektrizitäts- und Wasserversorgung verwies. Aber selbst dann sind die Verhältnisse im Stadtkern von Tiflis zum Teil inakzeptabel. Sie mögen für uns „pittoresk“ sein, aber sie stellen keine guten Lebensbedingungen dar. Und zu fürchten ist, dass der Verfallprozess eher in der Vernichtung der traditionellen Hausstrukturen mündet und nicht in der Renovierung.
Was jedenfalls auffällt, ist die intensive Religiosität im Lande. Sie machte es möglich, dass trotz großer Armut ein riesiger neuer Dom in der Hauptstadt gebaut wurde, und das obwohl die Stadt von Kirchen übersät ist. Wobei zuzugeben ist, dass es auch viele andere als orthodoxe Kirchen gibt. Wahrscheinlich führt die starke Gläubigkeit auch zu einer hohen Akzeptanz der ärmlichen Verhältnisse und der autoritären Machtstrukturen.

Stalins Geburtsort

Apropos autoritäre Machtstrukturen: Wir nutzten unseren Besuch auch zu einem kurzen Abstecher nach Gori, der Geburtsstadt von Stalin. Dort gibt es ein kurz nach seinem Tod errichtetes Museum, das im Garten auch das kleine Geburtshäuschen und seinen geliebten Eisenbahnwaggon umfasst. Das Innere des Museums strahlte – jedenfalls für uns – eine eigentümliche Kälte und „Todesstarre“ aus. Natürlich gab es keine kritische Auseinandersetzung mit Stalin, das habe ich auch nicht erwartet. Aber es war eigentümlich leblos, und so gestaltete sich auch die Führung durch eine Mitarbeiterin des Museums.
Genauso scheint mir auch die „Nichtauseinandersetzung“ mit Stalin im offiziellen Russland zu sein. Er ist sicher nicht mehr der große Held, aber auch nicht der Verbrecher, der unzählige MitbügerInnen auf dem Gewissen hat. Da man nicht weiß, wie man mit einem solchen Staatsmann umgeht, bleibt das Museum so wie es ist und ist als solches ein Dokument der Verhältnisse für die postsowjetische Ära. Allerdings mehr für die Verhältnisse in Russland als in Georgien, wenngleich die Älteren auch hier Stalin keineswegs durchgehend negativ sehen.

Die Demokratie hat es schwer

Die Gespräche mit den KollegInnen aus den anderen Südkaukasusländern ergaben ein ähnliches Bild. Die Demokratie hat es schwer in diesen Ländern. Jedenfalls ist eine Korrektur der Verfassungen in Richtung stärkeres Parlament und die Zurücknahme der Machtbefugnisse der Präsidenten unbedingt erforderlich, soll die Demokratie eine Chance haben. Aber in Aserbeidschan wurde gerade die Möglichkeit geschaffen, dass der Präsident sich immer wieder wählen lassen kann. Der georgische Präsident sprach davon, dass sein Nachfolger(!) einem stärkeren Parlament „ausgesetzt“ sein soll und entsprechende Verfassungsänderungen in Vorbereitung sind. Man wird sehen.

Tiflis, 29.3.2010