„Orientalismus in Europa“

IMG_2631Unter dem Titel „Orientalismus in Europa“ findet in München bis Anfang Mai eine Ausstellung statt, die sich anhand der – europäischen – bildenden Kunst mit Nordafrika und dem Nahen Osten auseinandersetzt. Aktueller hätte diese Ausstellung nicht terminisiert werden können.

Als die Ausstellung, die zuerst in Brüssel zu sehen war und die nach München in Marseille gezeigt wird, konzipiert worden ist, war von den Revolten in den arabischen Ländern nichts zu bemerken. Und vor allem war keine Rede von einer militärischen Intervention unter der Führung Frankreichs in Libyen. Schon einmal konnte Europa eine französische Intervention in Nordafrika erleben, und diese stand auch am Beginn einer künstlerischen und wissenschaftlichen Bewegung namens Orientalismus. Es handelte sich dabei um den Versuch Napoleons, Ägypten aus dem osmanischen Besitz und dem britischen Einflussbereich zu entziehen und unter französische Oberhoheit zu stellen. Napoleon brachte aber nicht nur Soldaten, sondern auch unterschiedliche Wissenschaftler mit sich und das hatte eine wahre Ägyptomanie in Europa zur Folge. Schriftsteller und Maler folgten den Archäologen.

Im Kern der Ausstellung geht es um die künstlerische Betrachtung des „Orients“ aus europäischer Sicht, vor allem im Bereich der Malerei und der Bildhauerei. Es versteht sich von selbst, dass die Sicht aus Europa eine europäisch geprägte war. Bewunderung der orientalischen Exotik und Verachtung der orientalischen Rückständigkeit mischten sich. Nun, ich meine, auch heute ist uns diese Mischung nicht fremd, wobei im Laufe der Zeit immer mehr die negativen Urteile und Einschätzungen überwogen. Das betrifft uns im Westen und auch den „westlichen“ Nachbar Israel. Und damit entsteht auch ein veritables politisches Problem.

Avi Shlaim, Professor am St. Anthony’s College in Oxford, meinte kürzlich in einer ausführlichen Analyse unter dem Titel „Frieden nur mit Diktatoren?“ bezüglich Israel, „dass man dort niemals Teil des Nahen Ostens sein wollte und auch niemals Interesse gezeigt hat, die Demokratie in dieser Region zu fördern. Die Gründerväter des Staates Israel teilten eine ausgeprägte Orientierung gen Westen und ein Gefühl der Entfremdung gegenüber ihrer arabischen Umwelt.“ Der erste Ministerpräsident David Ben-Gurion meinte: „Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, sie dagegen im fünfzehnten… Wir haben inmitten einer mittelalterlichen Welt eine moderne Welt geschaffen.“ Ähnliche Aussagen findet man von Netanyahu und Barak. Und Avi Shlaim zitiert hochrangige Militärs und Verteidigungsminister, die klar ihre Vorliebe zu den arabischen Diktatoren zum Ausdruck bringen. Demgemäß darf man sich nicht über den Schock in Israel wundern, den der arabische Frühling ausgelöst hat.

Aber zurück zur Kunst. Vielfach wurde das einfache Leben dargestellt, um nicht zu sagen heroisiert. Aber auch die Religion spielte in den Darstellungen eine bedeutende Rolle. Einerseits setze man sich durchaus positiv mit dem Islam auseinander. Man schätzte die Religiosität und die Mystik. Anderseits allerdings brachte man auch das Christentum gegenüber dem Islam in Stellung. Die Debatten waren also nicht viel anders als heute.

Der Orientalismus als Philosophie und Grundhaltung des Westens wurde vor allem von Edward Said kritisiert. Said, der allzu früh verstarb, war ein Palästinenser, der lange Zeit in Ägypten, dem Libanon und zuletzt in den USA lebte. Auf Grund seiner kritischen Haltung gegenüber der palästinensischen Führung kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Gemeinsam mit Daniel Barenboim hat er viel für die Verständigung zwischen Israel und Palästina unternommen, unter anderem durch die Gründung des West-Eastern Divan Orchestra. Hier interessiert er uns aber als Kritiker einer westlichen Grundhaltung, die den „Orient“ durch seine stark subjektiv geprägte Auffassung und das Bild, das er sich von ihm machte, gewissermaßen ein zweites Mal kolonisierte. Er verwies auf eine bestimmte Haltung des Westens, sprich Europas, die mit dem Feldzug Napoleons begann, mit dem Aufstieg der „Oriental Studies“ ihre Fortsetzung fand und mit der Eroberung Nordafrikas weiter ging. Im Anschluss an seine fundamentale Kritik hat sich allerdings eine vehemente Debatte entwickelt.

Ich verstehe Said mit seiner Kritik, muss allerdings anfügen, dass der Orientalismus ein vereinfachtes und zum Teil illusionäres Bild vom Orient hatte, dass sich allerdings später und vor allem mit dem Kolonialismus ein wesentlich negativeres und abwertendes Bild herausgebildet hat. Nur Künstler wie Paul Klee, August Macke, Henri Matisse und Wassily Kandinsky, die schon in Zeiten des Kolonialismus die Länder des Orient bereisten, hielten am idealisierenden Bild des Orient fest.

Wie wird es weitergehen? In einem Rückblick auf seine Kritik am Orientalismus und an der Kritik an diesem seinem Werk schrieb Eward Said: „Die Geschichte, von Menschen gemacht, kann auch von ihnen umgeschrieben oder sogar rückgängig gemacht werden, sodass ‚unser‘ Osten, ‚unser‘ Orient eines Tages wirklich ‚unser‘ sein könnte, sprich: unter ‚unsere‘ Herrschaft oder in ‚unseren‘ Besitz gelangen könnte.“ Mit Eward Said hoffe ich, dass dies auch Wirklichkeit wird. Auch wenn nichts mehr in unserer globalisierten Welt nur „unser“ ist, gerade der Orient hat nach so vielen Jahren faktischer Fremdherrschaft Anspruch auf Eigenständigkeit. Helfen wir ihm dabei – tatkräftig, aber mit Sensibilität. Ich bekenne es, seit meiner Jugend bin ich „im Banne des Orients“, wie die Einleitung zum Ausstellungskatalog übertitelt ist und ich freue mich daher sehr über die jüngsten Veränderungen im Orient und hoffe auf einen Erfolg im Interesse der Menschen, die bisher nichts von den Früchten der Freiheit und des Wohlstands genießen konnten.

Vor Jahren hab ich nach dem Besuch des Ägyptischen Museums in Kairo in einem Buchgeschäft am Tahir-Platz einen englischen Sammelband über den Orientalismus gekauft. Jetzt hab ich wieder darin geschmökert. In den beiden Schlussbeiträgen „Beyond Orientalism“ erklären die Autoren, dass es notwendig ist, über die stereotypen Vorstellungen und Anschuldigungen hinauszugehen. Die Betrachtungsweisen des Orientalismus haben nicht nur negative Seiten gehabt. Schon damals haben viele den Islam durchaus als positive Religion gesehen. Aber jetzt gilt es besonders, die verschiedenen Formen des Islam und auch der islamischen Gesellschaften zu erkennen und zu analysieren. Und wir müssen die simplen Dichotomien Ost gegen West und Süd gegen Nord überwinden. Europa ist anders, aber nicht besser als der Orient, und im Orient selbst gibt es verschiedene Länder mit unterschiedlichen Traditionen und gesellschaftlichen Strukturen. Wie gerade auch die aktuellen Revolutionen und Erhebungen zeigen, gibt es keine einheitlichen Strukturen und Veränderungen. Wir wünschen den Ländern Demokratie und Wohlstand, aber durchaus eigene Wege, die eine Kooperation untereinander und mit Europa nicht ausschließen.