Spekulanten gegen Europa! Europa gegen Spekulanten?

p-010367-00-19hAuf dem Weg zum Europa 2020 ist noch vieles zu erledigen. Vor allem sollte es uns gelingen, den Finanzmarkt gründlich neu zu organisieren. Es ist ja nicht nur die generelle Krise auf den Finanzmärkten mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf die Wirtschaft schlechthin und auf den Arbeitsmarkt im speziellen. Vor allem die jüngste Krise in Griechenland und die Gefahren für die Stabilität des Euro haben uns wieder einmal die realen Markt- und Machtverhältnisse vor Augen geführt.
Weder sollen dabei die Fehler Griechenlands noch die mangelnde Sorgfalt und Aufsicht der EU verniedlicht werden. Griechenland hat durch riskante Finanztransaktionen versucht, über seine Verhältnisse zu leben und seine strukturellen Probleme zuzudecken. Und die EU-Kommission und das Statistische Amt der EU wurden vor allem durch die Mitgliedsländer – unter anderem auch durch Österreich – daran gehindert, sich ein wahres Bild von den Verhältnissen in einigen Mitgliedsländer, so vor allem in Griechenland, zu machen. Bei der immer wieder erhobenen Forderung der europäischen Sozialdemokratie, doch endlich den Euro durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik zu ergänzen, kam weder von den nationalen Regierungen noch von der EU-Kommission Unterstützung.
Aber es waren und sind die Finanzmärkte – Banken, Hedge-Fonds etc. –, die die prekäre Situation einiger Länder ausgenützt haben und dies auch noch heute tun. Besonders die sogenannten Credit Default Swaps (CDS), Wertpapiere, mit denen sich die KäuferInnen gegen die mögliche Zahlungsunfähigkeit versichern, spielen hier eine unrühmliche Rolle. Sie haben sich nämlich zunehmend vom eigentlichen Zweck, dem Käufer von Staatsanleihen Sicherheit zu geben, gelöst. Sie werden vermehrt für Spekulationen verwendet. Und die Preise steigen mit dem tatsächlichen oder gerüchteweise gestreuten Risiko der Zahlungsunfähigkeit einzelner Länder, z.B. Griechenlands.

James Richards hat das in einem Kommentar in der Financial Times mit Personen verglichen, die eine Versicherung auf das benachbarte Haus abschließen. Diese haben dann auch ein Interesse daran, dass das Nachbarhaus abbrennt, um die Versicherungssumme zu kassieren. Und vielleicht helfen sie beim Anzünden sogar ein wenig mit.
Derartige Dinge geschehen weder zufällig noch sind sie einfach Resultate der „unsichtbaren Hand“ auf den Märkten. Jüngst haben sich Hedge-Fonds und ähnliche Spekulanten getroffen, um sich gegen das Pfund und den Euro zu verschwören. Bei diesem „Ideenaustausch“ wurden gezielte Attacken gegen den Euro vereinbart. Erstaunlich ist, dass sich der reale Teil der Wirtschaft wie die Industrie diese perfiden Machenschaften gefallen lassen.
Leider wird viel zu wenig über diese Entwicklungen geredet. Sie sind oftmals nur auf den Wirtschaftsseiten zu finden und werden dort kaum verständlich erklärt. Das sind aber die wirklichen Auseinandersetzungen. Es geht nicht um Europa/Brüssel gegen Wien oder Athen etc. Es geht um die Spekulanten, die sich bereichern wollen und dabei auch die Zerstörung wertvoller wirtschaftlicher Ressourcen in Kauf nehmen und damit auch den europäischen Einigungsprozess gefährden. Und das darf sich Europa nicht gefallen lassen.

Was kann, ja was muss Europa tun? Europa muss zweierlei unternehmen. Erstens muss die EU im Interesse der Union und des Euro insgesamt den Spekulanten das Spiel verderben. Und zweitens muss Europa ernsthafte Schritte zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik unternehmen. Werden diese Schritte nicht getan, dann ist der Euro kurzfristig bzw. langfristig in Gefahr.

Nicht nur verschiedene mediale Beiträge, sondern auch mein jüngster Besuch in Griechenland haben mich von der Notwendigkeit einer klaren und kraftvollen Politik der EU diesbezüglich überzeugt. Die Berichte von Ministerpräsident Giorgos Andrea Papandreou und Finanzminister Giorgos Papaconstantinou haben eines klar gezeigt: die allzu schwachen und zum Teil widersprüchlichen Signale aus Rat und Kommission haben die Märkte nicht beruhigen können. Sie waren zum Teil Anlass für neue Spekulationen. Man mag als Entschuldigung anführen, dass die EU auf diese Krise nicht vorbereitet war. Aber die Qualität einer Politik und von PolitikerInnen zeigt sich daran, dass sie auf das Unvorhergesehene und das Unvorbereitete rasch und effizient reagieren. Das war hier nicht der Fall, und so hat Griechenland Geld verloren und einige Spekulanten haben ordentliche Gewinne gemacht.

Es ist absolut entscheidend, dass die EU-Kommission ihre Verantwortung für die gesamteuropäische Stabilität ernst nimmt und einige Mitgliedsländer an die notwendige Solidarität erinnert. Dabei sind die aus europäischer Sicht notwendigen Maßnahmen auch für die einzelnen Mitgliedstaaten, deren Banken umfangreiche Kredite gewährt haben, hilfreich, ja sogar notwendig. Es geht ja nicht um Geschenke, sondern um Unterstützungen wie Kredite und Haftungen, die Geber und Empfänger gleichermaßen zu Gute kommen. Und es ist nicht einzusehen, dass privaten Banken in der jüngsten Krise selbstverständlich und rasch geholfen wurde, aber bei Staaten wie Griechenland zögerlich und uneuropäische reagiert wird.

Wir sollten die Krise in Griechenland und einigen anderen Mitgliedsländern aber auch zum Anlass nehmen, die notwendigen Reformen zur Rettung bzw. Stabilisierung des Euro zu unternehmen. Viele haben uns gewarnt, dass die Einführung des Euro ohne (!) gemeinsame oder zumindest stärker koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik problematisch sei. Die Mängel einer solchen lückenhaften, halbherzigen Strategie haben sich jetzt mehr als deutlich zu Erkennen gegeben. Wenn alles gut geht, die Finanzmärkte funktionieren und sich die spekulativen Tendenzen in Grenzen halten, fällt eine solche Ungleichgewichtigkeit zwischen Währungsunion und Mangel an Wirtschaftsunion nicht auf.
Aber genau ein solches Ungleichgewicht ruft bestimmte Aktivisten auf den Finanzmärkten auf den Plan. Insbesondere dann, wenn die Liberalisierung der Finanzmärkte das oberste Gebot der Finanzmarkt“politik“ war und ist. Letztendlich sind die politisch Verantwortlichen aller Maßnahmen beraubt, diesen Spekulationen entgegenzutreten. Diese sind nämlich die beherrschenden Kräfte und ich wundere mich immer wieder, dass sich die wertschöpfende Industrie das gefallen lässt. Und die sehr „liberal“ eingestellte Europäische Zentralbank wünscht sich natürlich auch keine europäische Wirtschaftspolitik.

Dabei ist das Problem mit diesen „Versicherungspapieren“ nicht neu, und der Handel mit ihnen wurde schon vor Jahren von Insidern als gefährlich erkannt. So erschienen bereits 1999, ein Jahr nach den Marktturbulenzen des Jahres 1998, Analysen, die den freien Handel mit diesen Papieren als schädlich bezeichneten. Und zwar sowohl für die Stabilität von bestimmten Finanzierungsinstituten, die sich dabei überschulden können als auch für die Stabilität von Ländern, gegen die diese „Versicherungen“ gerichtet sind. Bei diesen Spekulationen gibt es immer Verlierer. Wenn es diejenigen trifft, die an diesen Spielen aktiv teilnehmen, dann ist das deren Problem. Allerdings kann die Zahlungsunfähigkeit einer solchen Institution, die viele solche Papiere einlösen muss, auch andere, unschuldige ins Unglück führen. Aber wenn es Staaten betrifft, die bewusst hinunter geredet und „bewertet“ werden, um den Wert solcher Papiere und damit die Verkaufserlöse in die Höhe zu treiben, dann ist dies absolut schädlich und unverantwortlich. Die Regulierungsnotwendigkeit ergibt sich also nicht aus einem Drang der Bevormundung, sondern hat den Zweck, gesellschaftliche Kollateralschäden zu vermeiden. Es gilt Unschuldige zu schützen, ob es nun kleine Sparer, mittelständische Betriebe oder ArbeitnehmerInnen sind, die Gefahr laufen, arbeitslos zu werden.

Die Einführung des Euro war ein wichtiger Schritt zur Einigung Europas. Aber es folgten keine „automatischen“ Veränderungen des wirtschaftspolitischen Gefüges der EU, wie manche hofften. Sie müssen bewusst gesetzt werden. Und das ist auf Grund des bestehenden Vertrags von Lissabon nicht leicht, aber auch nicht unmöglich.

Zwar werden wir in unmittelbarer Zukunft keinen europäischen Finanzminister bekommen, wie es Jaques Attali kürzlich forderte. Aber Kommission und Rat sollten mit Unterstützung durch das EU-Parlament endlich eine Art „Wirtschaftsregierung“ installieren, die die Währungsunion abstützt und auch einen permanenten Dialog mit der Europäischen Zentralbank führt. Dazu braucht es Mut, und der ist momentan bei wenigen auf der politischen Bühne vorhanden. Und das betrifft auch die Vision einer besser funktionierenden Europäischen Union mit einer starken Währung aber auch einer gesunden, nachhaltigen Wirtschaftsbasis. Wenn wir aber diesen Mut und diese Visionen nicht aufbringen, dann sehe ich den Euro gefährdet. Und ein Zusammenbruch des Euro gefährdet die EU insgesamt. Nicht nur die Spekulanten, sondern auch die USA, China und andere wären die Gewinner. Wer das will, soll eifrig an der Verhinderung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik arbeiten.

Brüssel, 1.3.2010