Die Zukunft Europas (9. Mai 2012)

swoHerr Präsident! Sie haben die Veränderungen, die Herausforderungen, aber auch die Erfolge Europas erwähnt.

Aber es gibt auch Enttäuschungen: So war sicherlich das jüngste Ergebnis der Wahlen in Griechenland eine herbe Enttäuschung für uns. Aber auch die Menschen in Griechenland sind enttäuscht von Europa. Sie sind verzweifelt. Die Wahlen waren Ausdruck der Hoffnungslosigkeit und des Widerstands gegen soziale Ungerechtigkeit. Europa hat es nämlich nicht verstanden, neben der Aufforderung zu notwendigen Reformen auch Zeichen der Hoffnung zu setzen.

Aber es gibt auch Hoffnung:

Il y a déjà de bons signes de changement. La population française a élu un président qui représente la justice sociale et les valeurs européennes. J’aimerais aussi, aujourd’hui, féliciter François Hollande pour son élection. Moi aussi, je pense que „le changement, c’est maintenant!“

(Applaudissements)

Und wie Martin Wolf – kein Sozialdemokrat – heute in der Financial Times geschrieben hat:

Hollande ‘alone of European leaders has the desire and the ability to try’ to bring Europe out of the crisis.

Und das müssen wir machen. Europa wird nur dann gelingen, wenn wir diese Krise überwinden können! Damit das auch alle richtig verstehen, vor allem auch auf der rechten Seite, zum Beispiel in Deutschland: In Europa wird jetzt nicht nur deutsch gesprochen, sondern auch französisch, vor allem aber auch sozialdemokratisch – und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in Rumänien und auch in anderen Ländern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europatag sollte uns ursprünglich an die Zerstörung unseres Kontinents durch große Kriege und den nötigen Wiederaufbau erinnern. Millionen Menschen mussten sterben, bevor wir daran gegangen sind, Frieden zwischen den Staaten Europas zu schaffen. Und dieses Friedensprojekt ist nach wie vor begeisternd. Aber Europa muss mehr bieten als den Frieden zwischen den Völkern. Gerade angesichts der Krisen müssen wir auch den gefährdeten sozialen Frieden verteidigen und verstärken. Eine Austeritätspolitik, die vor allem die sozial Schwachen trifft, bedroht diesen sozialen Frieden, führt zu Widerstand und zu Unruhen, und führt dazu, dass sich die Menschen in diesem Europa nicht sicher und gut aufgehoben fühlen. Die Konsequenz ist vielfach die Unterstützung extremer und dabei häufig antieuropäischer Parteien.

Damit ist Europa wieder mit der Gefahr einer politischen Zerstörung konfrontiert. Aber wir Sozialdemokraten, und ich glaube viele von uns, wollen keinen Krieg der Generationen, keinen Krieg zwischen Inländern und Migranten, zwischen den Sozialpartnern. Im Gegenteil, wir wollen, dass der soziale Frieden in Europa bewahrt und wieder hergestellt wird.

Meine Fraktion – und das habe ich immer wieder klar gemacht – wendet sich nicht gegen eine Politik der Budgetkonsolidierung. Aber das, was wir heute in Europa sehen, ist ein Sparkurs, der oft ins Gegenteil führt. Wichtige Investitionen wurden und werden unterlassen. So sind die öffentlichen Investitionen in den letzten Jahren dramatisch gesunken. Aber womit beschäftigen sich die Regierungschefs und leider auch vielfach die Kommission? Mit weiteren Budgetrestriktionen, anstatt mit Wachstum und Investitionen. Und genau diese Politik führt zu noch größeren Defiziten.

Langsam beginnt ein Umdenken. Aber für uns – ich sage das offen und ehrlich – ist das viel zu zaghaft. Wir brauchen keine Lippenbekenntnisse und keine Beruhigungspillen, wir brauchen einen vermehrten Spielraum für öffentliche Investitionen. Und wir brauchen eine neue, wirklich goldene Regel, nämlich eine Regel für Wachstum und Beschäftigung, die Budgetdisziplin mit Investitionen für Wachstum und Beschäftigung verbindet. Wir brauchen keine goldene Regel, die in Wirklichkeit eine sture Austeritätspolitik ist und eine Mogelpackung darstellt, wenn es um Wachstum und Beschäftigung geht.

Vor allem brauchen wir – das ist auch von Ihnen erwähnt worden, Herr Präsident – Jobs für die Jugend. Wie soll denn die Jugend für dieses Europa begeistert werden, wenn wir gleichzeitig massive Arbeitslosigkeit in Europa produzieren und tolerieren? Deshalb verlangt die sozialdemokratische Fraktion eine Beschäftigungs- und Ausbildungsgarantie für junge Menschen. Junge Menschen brauchen wieder einen Job in Europa. Nur dann kann Europa begeistern!

(Beifall)

Das soziale Europa muss aber alle Menschen einbeziehen, die in unserem Europa leben und arbeiten, inklusive jener, die zugewandert sind. Insbesondere müssen wir jene ansprechen, die schon in Europa geboren wurden und noch immer als Ausländer oder als Fremde gelten. Integration ist nicht nur eine Integration zwischen verschiedenen Staaten, sondern auch aller unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ins tägliche Leben und in politische Entscheidungsprozesse. Eine Krise, die unseren sozialen Frieden bedroht, erfordert nicht Abschottung und Ausgrenzung, sondern Offenheit und Einbeziehung. Im Gegensatz zu Geert Wilders, Marine Le Pen und der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi in Griechenland wollen wir diesen Mitbewohnern klar sagen: Die Europäische Union ist auch euer Zuhause, und ihr sollt euch auch hier in Europa zu Hause fühlen.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer Diskussion heute in der Fraktion, zu der wir junge Gäste eingeladen haben, um über die Zukunft Europas zu diskutieren, meinte ein Teilnehmer: Die Krise ist keine Gottesstrafe, sie ist haus- und selbstgemacht. Und deshalb müssen wir gemeinsam aus der Krise herauskommen. Dieses Parlament soll die Zeichen der Zeit erkennen. Wir haben viele Differenzen in den Details; aber gemeinsam sollen wir gegen die zerstörenden Kräfte in Europa ankämpfen. Gemeinsam sollen wir schauen, dass der soziale Frieden in Europa wiederhergestellt werden kann. Meine Fraktion ist bereit dazu, Europa zu verteidigen und zu stärken. Ich hoffe, dass viele gemeinsam mit uns gehen, dass dieses Europa, von dem Sie, Herr Präsident, so positiv gesprochen haben, auch unser gemeinsames Europa ist. Für alle von uns.