Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (1. und 2. März 2012)

3-10-07_Swoboda_2Herr Präsident! Zuerst möchte ich Präsident Van Rompuy zu seiner Wiederwahl gratulieren. Es wird noch viele Diskussionen und auch manche Streitpunkte geben. Wir haben ja noch sehr viel zu tun. Zweitens möchte ich dem Rat zu seiner Entscheidung gratulieren, was Serbien betrifft. Ich glaube, dass ist für Serbien, für die Region, aber auch für den Kosovo eine richtige Entscheidung. Allerdings hat es leider keine positive Entscheidung hinsichtlich Schengen gegeben, insbesondere was Bulgarien und Rumänien betrifft. Die Völker von Bulgarien und Rumänien verdienen die Schengen-Erweiterung. Ich hoffe, dass es bald dazu kommt.

Was mich aber geschockt hat, war die Aussage von Präsident Sarkozy nach dem Ratsgipfel. Die Aussage von Präsident Sarkozy, dass möglicherweise Schengen ausgesetzt werden soll. Sollen wir wieder mit einem Pass nach Straßburg kommen müssen? Sind vielleicht die vielen Kolleginnen und Kollegen der EVP, die abwesend sind, schon auf der Suche nach ihrem Pass, um hier nach Straßburg kommen zu können? Das kann doch nicht Ihr Ernst gewesen sein!

(Beifall)

Und die Sprecherin von Präsident Sarkozy sagt nun, die Sozialisten im Europäischen Parlament verhindern eine Reform von Schengen. Nein, wir verhindern sie nicht, wir wollen nur keinen Rückschritt haben. Unser Weg geht nach vorn in Europa, und nicht zurück! Daher fordere ich Präsident Sarkozy auf, auch angesichts seiner möglichen Wahlniederlage nicht in die nationalistische und antieuropäische Mottenkiste zu greifen. Bleiben wir realistisch und bleiben wir zukunftsorientiert. Bekennen wir uns zu Europa! Das würde auch Sarkozy gut anstehen.

(Beifall)

Ich möchte jetzt zu Wirtschaftsfragen kommen. Ich habe in einem deutschen Magazin folgende Sätze in einem Interview gelesen: Wie wollt ihr euer System von Angebot und Nachfrage aufrechterhalten, wenn ihr euch nicht um die Leute kümmert, die am Ende die Produkte kaufen sollen? Wir brauchen ein System, das die niedrigen Einkommen an den Gewinnen der globalen Finanzspekulation beteiligt. Ein System ist immer so stark wie die Armen, die daran teilnehmen.

Es war kein Ökonom, kein Politiker, der das gesagt hat, es war ein Bürgerrechtskämpfer und Sänger, Harry Belafonte. Leider gibt es viele Politikerinnen und Politiker in Europa, die nicht an den ökonomischen Hausverstand von Harry Belafonte herankommen. Das finde ich sehr traurig. Ich glaube, das müssen wir in Europa ändern.

(Beifall)

Es geht nämlich nicht ohne Unterstützung der Nachfrage und ohne Unterstützung der sozial Schwächeren. Aber zum Teil tun wir das Gegenteil, etwa in Griechenland oder auch in Spanien. Was wir erreichen ist das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen. Wir erreichen weniger Wachstum und Beschäftigung statt mehr, weniger Steuern und öffentliche Einnahmen statt mehr. Was aber besonders gravierend ist, ist die Tatsache, dass wir zur Jugendbeschäftigung erst so spät reagiert haben. Präsident Van Rompuy, Sie haben recht, der Rat hat reagiert. Aber seit 2008 ist die Jugendarbeitslosigkeit massiv gestiegen.

Was sagen wir denn den Jungen, die keine Arbeit finden? Ist es nicht skandalös, dass Jugendliche aus Europa heute nach Argentinien, nach Angola und Brasilien auswandern müssen, um einen Job zu finden? Ist es nicht skandalös, wenn wir heute viele Jugendliche haben, die fast zu Hungerlöhnen arbeiten müssen? Was sagen wir denn dieser Generazione mille euro , wie sie in Italien genannt werden, oder der Generazione con meno di mille euro , denn viele verdienen weniger als 1 000 Euro? Was sagen wir hier dieser Jugend? Wie sollen wir diese Jugend für Europa gewinnen? Daher fordere ich im Namen meiner Fraktion eine Job- und Ausbildungsgarantie. Ja, Herr Van Rompuy, Sie haben mir mit Recht gesagt, das ist eine nationale Aufgabe. Auch die Budgets sind nationale Aufgaben, und dennoch kümmert sich Europa darum. Meine Fraktion und ich möchten, dass Europa sich um die Jugendlichen kümmert, ihnen die Möglichkeit gibt, einen Job oder eine Ausbildung zu haben.

(Beifall)

Denn das gehört zum europäischen Sozialmodell. Ich möchte eines ganz klar sagen, auch an die Adresse von Präsident Draghi von der EZB, vielleicht wurden seine Äußerungen nur missverstanden: Das europäische Sozialmodell ist nicht tot. Und das europäische Sozialmodell darf nicht sterben. Wir Sozialdemokraten sind dafür, dass es weiterlebt. Wir müssen es reformieren, aber das europäische Sozialmodell ist ein Bestandteil unserer Identität. Und diese Identität werden wir voll verteidigen.

Zum Abschluss: Viele meinen, es gibt einen Reformwiderstand in der Bevölkerung. Den Reformwiderstand gibt es nur deshalb, weil die Bevölkerung sieht, dass keine gerechte Politik betrieben wird. Wenn Präsident Barroso mit Recht unsere Studie zitiert, etwa was die Frage der Steuerflucht betrifft, und wenn wir sehen, wie ungerecht unser Steuersystem oft ist und dass gerne gerade die Reichen keine Steuern zahlen, dann ist es das, was wir ändern müssen. Ich bin sehr froh über das, was Herr Barroso und auch Herr Van Rompuy gesagt haben. Das sind schon einige Schritte nach vorn, aber es ist noch nicht genug. Ich bin überzeugt, wenn die Menschen in unserem Kontinent sehen, es wird in Zukunft eine sozial gerechtere Politik betrieben werden, dann sind sie auch zu den notwendigen Reformen bereit. Aber was sie nicht haben wollen ist, dass unser europäisches Sozialmodell, auf das wir so stolz sein können, aufgegeben werden soll. Wir Sozialdemokraten stehen zu diesem Modell. Wir werden es mit aller Kraft verteidigen!