Abschiede

Im Außenpolitischen Ausschuss nahmen Erweiterungskommissar Verheugen und Außenkommissar Patten Abschied von den Abgeordneten.
Nach einem schönen, warmen August, den ich fast ausschließlich in Österreich verbracht habe, hat mich der Brüsseler Alltag wieder. Wir starteten die neue Parlamentsperiode mit einer „Ausschusswoche“. Für mich bedeutete das Sitzungen des Außenpolitischen Ausschusses und des Industrieausschusses, in den ich nun nach vielen Jahren im Verkehrsausschuss gewechselt bin.

Abschied vom Erwiterungskommissar Verheugen

Im Außenpolitischen Ausschuss hatten wir zwei Abschiedsbesuche. Einerseits kam Günter Verheugen, der Erweiterungskommissar, mit dem ich allerdings in Zukunft als Industriekommissar weiterhin viel zu tun habe werde. Thema war in erster Linie die Vorbereitung auf die nächsten Erweiterungsschritte hinsichtlich Rumänien und Bulgarien und neuerdings auch Kroatien, mit dem in Kürze Verhandlungen aufgenommen werden.
Mit Bulgarien sind die eigentlichen Verhandlungen bereits abgeschlossen, mit Rumänien könnten sie noch heuer beendet werden. Dennoch gilt es in beiden Ländern, vor allem aber in Rumänien, noch viele Knackpunkte zu lösen. Ein Abschluss der Verhandlungen bedeutet zudem kein Ende der genauen Beobachtung und Überprüfung. Und auch wenn der Beitritt für 2007 vorgesehen ist, so ist eine Verschiebung um jedenfalls ein Jahr möglich, sollten die beiden Länder oder eines davon in der Umsetzung der notwendigen Reformen im Verzug geraten.

Streitfall Türkei

Das große Thema der Debatte im Ausschuss und insbesondere in den Medien ist aber zweifellos die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei. Die Regierungschefs haben versprochen, darüber auf Grundlage eines Berichts der EU-Kommission zu entscheiden. Kommissar Verheugen ist dieser Tage in der Türkei und allgemein wird erwartet, dass er mit einer positiven Einschätzung der Reformmaßnahmen nach Hause zurückkehrt.
In der Tat haben Regierung und Parlament in den vergangenen Jahren weit mehr Reformen beschlossen als in den Jahrzehnten zuvor. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Reformen auch schon in einem solchen Ausmaß umgesetzt werden, dass man bereits mit Verhandlungen beginnen kann. Dabei geht es vor allem um die Durchsetzung der Menschenrechte und der Demokratie. Und dazu zählen insbesondere die kulturellen Rechte und Möglichkeiten der Kurden.

Prozess mit offenem Ausgang

In diesem Sinn habe ich kürzlich einen Vorschlag gemacht, der darauf hinauszielt, der Türkei aufgrund der beschlossenen Reformen eine positive Antwort zu geben, aber in den nächsten zwei Jahren die Umsetzung der Reformen gemeinsam mit der Türkei zu überwachen und zu verfolgen, um in der Folge mit Verhandlungen zu beginnen. Unabhängig davon ist das Ende der Verhandlungen mit der Türkei heute kaum abzuschätzen, da gerade mit der Türkei noch viele offene politische und wirtschaftliche Fragen zu klären sind.
Aus meiner Sicht wird dies sicherlich noch etwa weiterer zehn Jahre bedürfen. Erst dann wird man sehen, ob eine Vollmitgliedschaft der Türkei sowohl die Türkei selbst wie auch die EU stärker macht. Es geht also um einen Prozess mit offenem Ausgang. Ich kann mir aber langfristig durchaus ein starkes Europa mit der Türkei als Mitglied vorstellen. Das hängt allerdings von der Entwicklung in der EU und vor allem in der Türkei ab.

Positives Signal für Nord-Zypern

Ein damit zusammenhängendes Thema, das wir mit Verheugen aber auch aufgrund eines konkreten Antrages der EU-Kommission, diskutierten, war die von der EU-Kommission versprochene Hilfe für die türkische Bevölkerung Nord-Zyperns. Diese hatte ja dem Einigungsplan von Kofi Annan zugestimmt und sich somit klar für Europa ausgesprochen. Ich glaube daher, dass man auch seitens der EU ein positives Signal setzen sollte, nicht zuletzt, um die wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen der griechisch-sprachigen Bevölkerung und den Menschen in Nord-Zypern nicht allzu groß werden zu lassen.
Aber einige Zyprioten und vor allem Griechen sehen das anders. Sie fürchten eine indirekte Anerkennung der „türkischen“ Regierung Nord-Zyperns. Mir sind jedoch die Anliegen der Menschen, die in diesem Landesteil leben, ehrlich gesagt wichtiger als die Frage, welche diplomatischen Konsequenzen eine Pseudoregierung, die von keinem Staat außer der Türkei anerkannt wird, daraus zieht.

Abschied von Außenkommissar Patten

Nach Verheugen machte der EU-Außenkommissar Chris Patten seinen Abschiedsbesuch im Außenpolitischen Ausschuss. Patten ist ein britischer Konservativer, seiner – politischen – Herkunft nach, aber ein ungemein kluger, moderater, intelligenter und witziger Redner und Gesprächspartner.
Vor allem aber ist Patten ein wirklicher Europäer, wenngleich pragmatischer, als manche es gerne sehen würden. Auch Vertreter anderer Fraktionen – über seine eigenen Parteifreunde hinaus – schätzen ihn sehr. Auch diesmal faszinierte er durch seine knappe, aber treffende Einschätzung der verschiedenen Krisenherde und seine offene Beurteilung der europäischen Positionierung. Er wird mir sehr abgehen.
Brüssel, 1.9.2004