An der Realität vorbei

Aus meiner Sicht ist es problematisch, dass die USA den Iran in den vergangenen Jahren nicht stärker in eine gemeinsame Sicherheitsstruktur einbinden konnten.
Von Dubrovnik nach Brüssel zurückgekehrt, übernahm ich heute Abend noch den Vorsitz bei einer Diskussion, die vom Transatlantic Policy Network – TPN – veranstaltet wurde.

Transatlantic Policy Network

Es handelt sich dabei um ein Netzwerk von Abgeordneten und Wirtschaftsexperten aus Europa und den USA, die am Austausch von Informationen interessiert sind und die Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Es ist ein Versuch, die Beziehungen zu verbessern, bei aller Unterstreichung der Differenzen und unterschiedlichen Auffassungen.
Das Transatlantic Policy Network hatte heute den amerikanischen Botschafter bei den multinationalen Organisationen in Wien, insbesondere bei der Atomenergiebehörde, zu einem Gespräch eingeladen. In meiner Funktion als Vorsitzender des Arbeitskreises für die Bekämpfung des Terrorismus und die Weiterverbreitung von gefährlichen Waffen im Rahmen des TPN habe ich diese Diskussion geleitet.

Neue US-Sicherheitsdoktrin

Der amerikanische Botschafter bei der IAEO, Gregory Schulte, ist ein sympathischer Mann, der bereits viel Erfahrung gewonnen hat, insbesondere am Balkan. Dennoch waren viele von uns von der Tatsache überrascht, dass er kaum Kenntnisse über den Iran und die Region hat. Gerade bei einem derart schwierigen Thema wären die IAEO und die Amerikaner gut beraten gewesen, eine Persönlichkeit zu finden, die sich in dieser Region besser auskennt.
Schultes Verhalten entspricht in etwa der neuen Sicherheitsdoktrin, die von Präsident Bush und seiner Regierung am vergangenen Donnerstag veröffentlicht worden ist. Ich habe sie heute Nachmittag während meines Fluges von Dubrovnik bzw. Zagreb nach Brüssel gelesen. Sie ist zwar vorsichtiger und weniger selbstgefällig formuliert als die Doktrin aus dem Jahr 2002. Aber trotzdem ist eine gewisse Naivität nicht zu übersehen, wenn permanent vom Kampf für Freiheit und Demokratie die Rede ist.

Realitätsfern

Die Probleme, die es in der Auseinandersetzung gibt, kommen dabei nicht vor. Auch wenn ich von den guten Absichten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgehe, so zeigt die Realität im Irak und nach der Wahl der HAMAS dennoch, dass Demokratie nicht so einfach zu verstehen ist.
Man kann zudem den Iran nicht einfach als Tyrannei darstellen – das geht ebenfalls an der Realität vorbei. Der Iran ist zugegebenermaßen keine Demokratie. Es gibt zwar Wahlen, diese sind allerdings durch die Auswahl der KandidatInnen sehr begrenzt. Und dennoch: gerade in der Frage der Nukleartechnologie besteht kaum Diskrepanz zwischen der politischen Führung und breiten Schichten der Bevölkerung. Es handelt sich also um ein nationales Thema, das nicht mit der Bezeichnung Tyrannei abgetan werden kann. Im Iran als einem der größten Länder dieser Region besteht in dieser Frage eine gemeinsame Haltung der Bevölkerung.

Keine gemeinsame Sicherheitsstruktur

Aus meiner Sicht ist es generell problematisch, dass die USA den Iran in den vergangenen Jahren nicht stärker in eine gemeinsame Sicherheitsstruktur einbinden konnten. Die Amerikaner haben dem Iran geholfen, indem sie einen seiner größten Feinde, Saddam Hussein, zum Verschwinden gebracht und damit der Unterdrückung der Schiiten ein Ende gesetzt haben. Die Amerikaner haben auch die Taliban weggejagt, ebenfalls Gegner der Regierung in Teheran.
Trotzdem ist es ihnen nicht gelungen, eine Vereinbarung mit dem Iran zu treffen. Diese hätte zweifellos nicht durch eine Unterzeichnung der beiden Präsidenten zustande kommen können. Aber man hätte zumindest das diplomatische Selbstverständnis schaffen müssen, dass der Iran als Land davon hätte ausgehen können, dass es zu keiner Bedrohung durch die Amerikaner, zu einem Einmarsch der Amerikaner oder Israelis, etc. kommt.

Sorge um weitere Entwicklung

Es ist nicht leicht, mit dem Iran zu verhandeln. Der Iran verfolgt ganz ohne Zweifel ein expansives Interesse – im Sinne des Einflusses in der gesamten Region, nicht einer Aggression anderer Länder. Das gefällt den arabischen Ländern nicht unbedingt, insbesondere den sunnitischen arabischen Ländern gefällt es nicht.
Wir beobachten jedenfalls die weitere Entwicklung mit Sorge, ebenso wie die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika, die in dieser Region weiter aktiv sind. Ein neuerlicher Konflikt oder gar Krieg wäre eine immense Katastrophe – nicht nur für die Region selbst, sondern auch für Europa, das mehr oder weniger an diese Region angrenzt.

Brüssel, 21.3.2006