Offene Punkte

Bei der Erweiterung geht es um eine Parallelität der Reformprozesse – in der EU genauso wie in den Kandidatenländern. Gerade Kroatien ist in diesem Reformprozess sehr weit fortgeschritten.
Es ist üblich, dass die gemischten parlamentarischen Ausschüsse die Berichterstatter des Europäischen Parlaments einladen, an ihren Sitzungen teilzunehmen. So geschieht das auch beim zuständigen Ausschuss für die Beziehungen zum kroatischen Parlament, der diesmal in Dubrovnik tagte.

Langwierige Anreise

Dubrovnik ist ein wunderschöner und attraktiver Ort. Außerhalb der Saison ist allerdings die Anreise sehr schwierig und langwierig. Dennoch habe ich die Einladung angenommen und bin im Laufe des gestrigen Tages über Zagreb nach Dubrovnik geflogen.
Als ich dort gemeinsam mit einem Kollegen aus Bayern ankam, der zufällig Schattenberichterstatter der Europäischen Volkspartei für Kroatien ist, bat uns ein Mitarbeiter des Protokolls, noch ein wenig zu warten. Die kroatische Außenministerin wollte unbedingt noch mit uns sprechen, bevor sie zurück nach Zagreb flog. Die Tagung, zu der wir angereist waren, hatte schon begonnen und es hatte – überraschenderweise – auch die Außenministerin teilgenommen.

Aufklärungsbedarf

So führten wir noch am Flughafen ein Gespräch mit der Außenministerin, die vor allem mir als Berichterstatter für Kroatiens EU-Beitritt für meine Arbeit dankte. Ich konnte bei dieser Gelegenheit auch einige Klarstellungen zu dem vor kurzem im Europäischen Parlament abgestimmten Brok-Bericht vornehmen und einige Missverständnisse ausräumen.
Wir haben über diesen Bericht lange verhandelt und uns schließlich auf einen Kompromiss geeinigt. Elmar Brok, der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Parlaments, hatte einige sehr eigenwillige Interpretationen wiedergegeben, die eher seiner ursprünglichen Meinung entsprochen hatten als dem nun vorliegenden Text.

Klare Linie

Das hatte in Zagreb für entsprechende Verwirrung gesorgt. Nach den Worten Broks hätte man annehmen können, dass der Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union auf die lange Bank geschoben werden sollte. Ich hatte schon zuvor den Premierminister und auch den Oppositionsführer in einem kurzen persönlichen Schreiben darüber informiert, dass es in dieser Frage zu Unstimmigkeiten gekommen war.
Und ich habe in diesem Brief klargestellt, dass wir bei unserer Linie bleiben, die jeweiligen notwendigen Reformen in den einzelnen Ländern zu überprüfen und dann jedes Land hinsichtlich eines EU-Beitritts einzeln zu beurteilen. Mit Kroatien haben die Verhandlungen ja bereits begonnen. Und es wird und kann keine in dieser Phase keine Unterbrechungen oder Verzögerungen mehr geben.

Intensive Debatten

Die Tagung, zu der ich nach Dubrovnik gekommen war, fand in einem Hotel etwas außerhalb der Stadt statt. Am Abend mussten wir daher mit dem Bus zu einem Essen mit der Bürgermeisterin von Dubrovnik und einigen KollegInnen aus dem kroatischen Parlament fahren.
Die Debatten, die wir hier geführt haben, waren äußerst intensiv. Es ging einerseits um die Frage, ob Kroatien Teil eines Paketes einer Region ist, die sich insgesamt an die Europäische Union annähert und vielleicht sogar insgesamt in die Europäische Union aufgenommen wird. Andererseits ging es auch die Frage der Minderheitenrechte sowie die Privatisierungen in Kroatien.

Schleppende und unfaire Privatisierungen

Hinsichtlich der Privatisierungen gibt es einige Beschwerden, die gerade auch von österreichischer Seite an mich herangetragen worden sind. Die Privatisierungen verlaufen offensichtlich nur sehr schleppend und zudem nicht besonders fair. Es dürfte im Laufe der vergangenen Jahre und unter den verschiedenen Regierungen zu Ungereimtheiten gekommen sein. Außerdem waren die Privatisierungen ständiger Angelpunkt für Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition.
Insgesamt bestehen Befürchtungen, dass vor allem im Hotelbereich an der Küste die kapitalstärkeren, gewinnbringenden Betriebe, beispielsweise die Campingplätze, aus den Privatisierungen ausgeklammert werden. Das ist jenen, denen ein Gesamtpaket versprochen worden ist, verständlicherweise ein Dorn im Auge.

Reform der Gerichtsbarkeit

Ich kann die Details nicht beurteilen, und die Letztentscheidung liegt ohnehin bei den Gerichten. Aber auch hier tut sich ein kroatisches Problem auf. Die Gerichtsbarkeit dürfte in diesem Land in den jeweiligen Regionen sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Es wird kritisiert, dass in einzelnen Fällen verwandtschaftliche oder sonstige Beziehungen eine zentralere Rolle spielen als der eigentliche Sachverhalt.
Meine Aufgabe ist es nun nicht, mich auf eine bestimmte Seite zu stellen oder für die Interessen einzelner Investoren zu kämpfen. Ich muss und möchte aber danach trachten, dass die bestehenden Ungereimtheiten beseitigt werden und Recht gesprochen wird. Durch eine Reform der Gerichtsbarkeit muss außerdem sichergestellt werden, dass die Investitionstätigkeit in Kroatien nicht zum Erliegen kommt.

Die Minderheitenfrage

Die Minderheitenfrage wurde bei der Tagung in Dubrovnik von einem Abgeordneten vorgebracht, der im kroatischen Parlament Sabor die serbische Minderheit vertritt. Die verschiedenen Minderheiten sind in Kroatien, unabhängig von den Wählerstimmen, durch eine fixe Anzahl von Abgeordneten repräsentiert.
Das wäre auch für Österreich ein gutes Modell. Demnach könnten die Slowenen, unabhängig von ihrer tatsächlichen Anzahl, jedenfalls eine/n Abgeordnete/n stellen. Leider ist das aber nicht einmal im Kärntner Landtag der Fall, geschweige denn in ganz Österreich.

Wahlrecht

Dieses kroatische Modell muss immer wieder erwähnt werden, weil die Minderheitenfrage oft sehr negativ beurteilt wird. Es ist zweifellos eine Tatsache, dass gerade nach dem Krieg die Anzahl der Serben im Land sehr stark zurückgegangen ist. Und dennoch: das Vertretungsrecht ist Realität. Hinzu kommt allerdings, dass jetzt verlangt wird, dass über das Vertretungsrecht durch Minderheitenlisten für die Serben und die Ungarn die Minderheiten auch die Möglichkeit haben, im regulären Wahlverfahren zusätzlich die nicht-ethnisch organisierten Parteien wählen zu können.
Das geht aus meiner Sicht etwas zu weit. Wenn ein/e BürgerIn einer Minderheit zur Wahlurne geht, muss er sich entscheiden, ob er/sie eine Minderheitenliste oder im Rahmen des normalen Wahlverfahrens eine der übrigen Listen wählt. Es zeigt aber jedenfalls, dass die Minderheitenrechte – gerade beim Wahlverfahren – zwar sehr weitreichend sind, dass aber trotzdem Wünsche für eine Ausdehnung und tatsächliche Verbesserung für die Situation der Minderheiten bestehen.

Rückkehrkarussell

Vor allem bei der serbischen Minderheit stellen die Fragen der Rückkehr und der Wiedererlangung der Eigentumsrechte – sei es, eine Wohnung wieder in Besitz zu nehmen oder sie zu verwerten – nach wie vor Probleme dar. In der so genannten Sarajewo-Deklaration haben sich Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien verpflichtet, alles zu unternehmen, um das Rückkehrkarussell in Bewegung zu setzen und jedem/r die Möglichkeit zu eröffnen, in seine/ihre Heimat zurückzukehren und sein/ihr Eigentum zu verwerten.
Trotz einiger Erfolge ist man allerdings noch nicht so weit gekommen, wie man sich das vorgenommen hat. Es müssen entsprechende weitere Maßnahmen gesetzt werden. Die zuständigen Minister werden sich in den kommenden Tagen treffen, um diesen Prozess der Rückkehr zu beschleunigen.

Staatenbund Jugoslawien?

Ein weiteres heißes Thema ist die Frage, wie Kroatien in den nächsten Jahren in die gesamte Region eingebunden werden soll. Kroatien hat in der Vergangenheit immer wieder befürchtet, dass es gezwungen wird, erneut in einen jugoslawischen Staatenbund einzutreten. In der Tat überlegen einige, ob eine solche Lösung sinnvoll wäre. Sie denken über ein Jugoslawien als Staatenbund nach, inklusive Albanien und dem Kosovo, das in der Folge einen Vertrag mit der Europäischen Union eingehen sollte.
Ich halte diese Lösung weder für gangbar noch für sinnvoll. Wir können andere Staaten nicht zwingen, ein Unionsbündnis einzugehen, das haben wir weder bei den nordischen Staaten noch bei den Benelux-Ländern getan. Das Ergebnis eines solchen Vorgehens wären weitere Enttäuschungen, schlechtere Beziehungen zwischen dieser Region und der Europäischen Union und somit kein taugliches Mittel.

Konstruktive Zusammenarbeit

Trotzdem steht für mich fest, dass es auch auf dieser Ebene eine verstärkte Zusammenarbeit geben muss. Allein schon aufgrund der Verschränkung der einzelnen Minderheiten in den Ländern müssen gegenseitiges Verstehen, Tolerieren und Unterstützen auf der Tagesordnung stehen, ebenso wie die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit. Wir sollten diese Kooperation motivieren und fördern.
Die Zusammenarbeit darf aber nicht dazu führen, dass neue Hindernisse für den Beitritt zur Europäischen Union entstehen – das wäre kontraproduktiv. Außerdem sollten wir versuchen, dass die Zusammenarbeit in der Region nicht nur jene Länder betrifft, die nicht Mitglieder der EU sind, sondern grenzüberschreitend auch mit jenen Ländern erfolgt, die bereits zur Europäischen Union gehören. Nur so kann das Zusammenhängen zwischen Mitgliedsstaaten und Nichtmitgliedsstaaten gefördert und deutlich gemacht werden, dass es sich um Übergangsprozesse in eine gemeinsame Europäische Union handelt.

Musterschüler Kroatien

Wir haben immer wieder betont, dass ein Beitritt keineswegs leicht und schnell erfolgen kann und dass auch wir selbst in der EU entsprechende Reformschritte setzen müssen. Es geht aber um eine Parallelität der Reformprozesse – in der Europäischen Union genauso wie in den Kandidatenländern. Gerade Kroatien ist in diesem Reformprozess sehr weit fortgeschritten und in vielen Fällen mit der Europäischen Union verbunden. Das Land hat sich der letzten Zeit auch sehr bemüht, selbst in der Region aktiv zu werden. Diesen Weg müssen wir weiter beschreiten.
Für alle anderen Länder wird es schwierig werden. Die kroatische Außenministerin berichtete uns, dass ihre mazedonische Kollegin mit den Erklärungen des Außenministertreffens von Salzburg nicht sehr zufrieden gewesen ist. Sie hatte sich mehr erwartet und eigentlich auf Aussicht über den Beginn der Verhandlungen gehofft.

Kein Erweiterungsstopp

Mazedonien ist zwar Kandidat, aber die Verhandlungen haben noch nicht begonnen. Auch wenn das noch einige Zeit dauern wird, bin ich trotzdem nicht allzu pessimistisch. Wir brauchen jetzt Geduld und intensive Anstrengungen. Ich hoffe, dass es dadurch gelingen wird, die Mitglieder der Europäischen Union zu überzeugen, dass es weder vor noch nach dem Beitritt Kroatiens einen Stopp geben soll.

Volksheld Gotovina

Zuletzt noch eine Anmerkung zum mutmaßlichen Kriegsverbrecher Gotovina. Dieser konnte im Spätherbst nach Beginn der Verhandlungen mit Kroatien gefangen genommen und nach Den Haag gebracht werden. Ein slowenischer Kollege erzählte mir heute Morgen beim Frühstück in Dubrovnik, dass er bei einem gestrigen Abendspaziergang noch etliche Fotografien in den Schaufenstern und anderen Stellen der Stadt gesehen habe.
Ich machte mich deshalb meinerseits auf den Weg, auch wenn die Tagung gleich fortgesetzt werden sollte, und unternahm im Nahbereich des Hotels einen Lokalaugenschein. Sofort sprangen mir, wenn auch etwas zerschlissene, Poster von Gotovina ins Auge. Sie waren zum Teil mit Parten überklebt. Auf einen zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Kiosk hatte jemand Gotovinas Vornamen Ante gesprayt.

Die Geschichte ist noch nicht vorbei

Gerade in dieser Region, wo das serbische Militär vieles zerstört hat, ist Gotovina zweifellos nach wie vor ein Held – auch wenn sein an vielen Stellen Dubrovniks affichiertes Konterfei schon vergilbt. Auf der Fahrt zum Flughafen sah ich allerdings ein großes vierfärbiges Plakat mit Gotovinas Antlitz, versehen mit dem Hinweis „General Ante Gotovina“ sowie viele kleinere schwarz-weiße Poster. Auch wenn sie nicht besonders prominent platziert waren, so halten sie doch die Erinnerung an General Ante Gotovina, einen kroatischen Volkshelden und mutmaßlichen Kriegsverbrecher, der heute in Den Haag einsitzt, wach.
Interessant und zugleich grotesk ist die Tatsache, dass Gotovina und andere Kriegsverbrecher ein Kondulenzschreiben anlässlich des Todes von Milosevic verfasst haben. Das hat auch in Kroatien unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die Veteranenverbände waren entsetzt, dass einer ihrer Helden einen solchen Schritt setzt. Und die katholische Seite beurteilte diese Aktion positiv und freute sich, dass Gotovina auf diese Weise seine christliche Nächstenliebe zum Ausdruck bringt. Weder Gotovina noch Milosevic – der eine in Den Haag einsitzend, der andere in Serbien begraben – können das Rad der Geschichte zurückdrehen oder große Unruhe produzieren. Und trotzdem dürfte die Geschichte – zumindest in den Köpfen der Menschen – noch nicht ganz „bewältigt“ sein.

Dubrovnik, 21.3.2006