Auf der Suche nach gemeinsamen Pfaden

Wir hätten ungeahnte Möglichkeiten, wenn Amerika und Europa in bestimmten Punkten gemeinsam vorgehen würden.
Am Wochenende des 9. und 10. Juli brach ich mit einer fünfköpfigen Delegation des Vorstandes der Sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament in die USA auf. Erstes Ziel unserer Reise war Washington.

Kontakt zu den Demokraten

Der Hauptzweck des Besuches bestand in der Kontaktaufnahme und der Verstärkung von Kontakten mit Vertretern der Demokratischen Partei, insbesondere im Repräsentantenhaus. Aber wir wollten auch Vertreter der demokratischen Partei in verschiedenen think tanks, jenen Institutionen, die bei der Formulierung der demokratischen Politik eine unterstützende Rolle spielen, treffen.
Man muss realistisch sein. Zwischen den sozialdemokratischen Parteien Europas bestehen bekanntlich große Unterschiede. Das gleiche gilt für die europäische Sozialdemokratie einerseits und die amerikanischen Demokraten andererseits. Aber auch innerhalb der amerikanischen Demokraten selbst gibt es unterschiedliche Anschauungen zu den verschiedenen Themen. Man sollte sich amerikanische Parteien nicht so konsistent und kohärent vorstellen wie das zuweilen in Europa – zumindest bei nationalen Parteien – noch der Fall ist.

Gut informiert

Während unseres Besuches wurden die unterschiedlichsten Themen angesprochen. Seitens der Linken des Repräsentantenhauses bestand großes Interesse, mehr über die Entwicklungen Europas zu erfahren und insbesondere Erklärungen und Interpretationen zu den Neins zur Europäischen Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden zu hören. Die meisten unserer Gesprächspartner waren über die Hintergründe und zum Teil auch über die Motive, die sie den verschiedenen Medien entnommen haben, relativ gut informiert. Wahrscheinlich waren sie auch von Ihren MitarbeiterInnen gut auf unser Treffen vorbereitet worden. Die personelle Ausstattung der Büros der amerikanischen Abgeordneten steht in keinem Verhältnis zu jenem der nationalen oder europäischen Abgeordneten. Sie verfügen über größere Räumlichkeiten und wesentlich mehr Personal, das eine entsprechende eigenständige und initiative Arbeit leisten kann. Im Vergleich dazu ist es direkt eine Schande, wie unterausgestattet Europaparlamentarier in dieser Hinsicht sind.

Allgegenwärtiger Irak

Zwei weitere Themen standen im Mittelpunkt unserer Gespräche: der Irak-Krieg und China. Was den Irak-Krieg betrifft, so trafen wir Abgeordnete, die gegen den Krieg gestimmt haben, aber auch etliche, die dafür gestimmt haben. Diese sind allerdings heute ziemlich verzweifelt über die aktuelle Situation und haben uns gefragt, wie die USA aus der misslichen Lage im Irak herauskommen könnten. Was soll Amerika tun? Und wie kann Europa helfen? Wir konnten und wollten nicht empfehlen, das Land einfach zu verlassen. Das wäre eine Katastrophe für den Irak sowie ein ungeheures incentive für die Terroristen und es würde Amerika und dem Westen generell ein immenses Misstrauen entgegenbringen.

Keine Allheilmittel

Aus dieser Situation gibt es keinen leichten Ausweg. Ich habe dem einen oder anderen Mitglied des Repräsentantenhauses ganz klar gesagt, dass sie, nachdem sie eine falsche Entscheidung getroffen haben, nicht erwarten können, dass Europa jetzt den Ausweg kennt. Natürlich wollen wir von europäischer Seite aus dazu beitragen, den Irak zu stabilisieren. Das ist allerdings keine kurzfristig zu lösende Frage, sondern ein langfristiges Projekt. Es gibt weder ein Allheilmittel noch ein Erfolgsrezept, mit dem die ungeheuer komplizierte Lage in dieser Region zu einem Besseren gewendet werden kann.

Herausforderer China

Was nun China betrifft, so ist dieses Land der größte Konkurrent und Herausforderer der USA geworden – politisch, aber vor allem wirtschaftlich. In dieser Frage gibt es eine Reihe von Berührungspunkten. Auch wir in Europa sehen die wirtschaftliche Herausforderung durch China. In gewissen Bereichen ist daher auch eine gemeinsame Vorgangsweise denkbar. Allerdings können wir uns nicht auf ein „China bashing“, das heißt ein Einschlagen auf China, einigen. Unser Konzept ist vielmehr zu versuchen, Kooperationen herzustellen und Vereinbarungen mit China zu treffen, um die wirtschaftliche Herausforderung mit Übergangsfristen für unsere Wirtschaft zu bewältigen. Eine gesunde Wirtschaft in China ist in unserem eigenen Interesse.

Faire Bedingungen einfordern

Zugleich wollen wir aber, dass es zunehmend zu einem fairen Wettbewerb kommt. Gewisse Minimalbedingungen, etwa bei den gewerkschaftliche und den sozialen Rechten insgesamt, aber auch im Umweltbereich, müssen gegeben sein. In diesen Fragen muss es zweifellos zu Verbesserungen in der chinesischen Politik kommen. Der derzeitige ökologische und soziale Raubbau ist aus meiner Sicht nicht mit einem fairen internationalen Wettbewerbssystem vereinbar.

Stufenweisen Entwicklungsprozess begleiten

Wir können jedenfalls China nicht das Recht nehmen, sich wirtschaftlich zu entwickeln und zu exportieren. Vielmehr müssen wir darauf achten, dass dieser stufenweise Entwicklungsprozess, den auch wir selbst in den vergangenen Jahrhunderten durchgemacht haben, auch in China stattfinden kann – wenn auch in einem wesentlich kürzeren Zeitraum. Die Entwicklung Chinas, Indiens und anderer Ländern kann nicht auf Jahrhunderte erstreckt werden.
Für die Mitglieder des Repräsentantenhauses, die vielleicht im Unterschied zu den Senatoren weniger Weltpolitik machen, die aber die Interessen ihrer WählerInnen zu vertreten haben, ist das eine große Herausforderung. Genau wie in Europa wird diese Frage oft politisch hochgespielt, um bestimmte politische Zielsetzungen zu erreichen und einem gewissen Populismus zu huldigen. Aber der Kern des Problems besteht in den Vereinigten Staaten ebenso wie in Europa.

Weitsichtiges Außenministerium

Neben einigen Abgeordneten und den Vertretern verschiedener think tanks trafen wir auch Vertreter des Außenministeriums, mit denen wir querbeet die verschiedensten Probleme diskutiert haben. Interessant dabei war, dass sowohl für das Außenministerium als auch für einige Abgeordnete der Balkan, insbesondere die Situation im Kosovo, eine große Rolle gespielt hat. Zum einen war man genauestens informiert. Und zum anderen wollte man die europäischen Meinungen und Einschätzungen hören. Es war interessant zu sehen, wie auch – im Weltmaßstab gemessen – kleine Probleme das Interesse des US-Außenministeriums geweckt haben.

Botschafter-Trio

Zusätzlich fanden ausführliche Gespräche mit drei Botschaftern statt. Zunächst mit dem Botschafter Spaniens, Carlos Westendorp, der in seinem Land ein bekannter Europapolitiker ist und eine Zeitlang Mitglied im Europäischen Parlament war. Ich habe mich gefreut, ihn in seiner riesengroßen Residenz in Georgetown wieder zu sehen. Im Anschluss mit dem deutschen Botschafter Wolfgang Ischinger, den ich schon vor einigen Wochen bei einer Tagung in Salt Lake City getroffen hatte. Auch er erwies sich als versierter und sehr angenehmer Gesprächspartner. Und schließlich mit dem britischen Botschafter David Manningen, dem ehemaligen außenpolitischen Berater von Tony Blair. Auch er präsentierte sich mit seinem Team ungeheuer versiert und erfahren.

Kooperation mit Bush-Administration

Alle drei Botschafter haben klar zum Ausdruck gebracht, dass die Situation heute deutlich besser ist als vor der Wiederwahl von George Bush. Sie gestanden ein, dass es unterschiedliche Auffassungen zwischen den USA und Europa gibt, dass aber ein gutes Arbeitsverhältnis mit der neuen Administration hergestellt werden konnte.
Genau das bestätigte auch der Vertreter der Europäischen Kommission in Washington, John Bruton. Bruton war mehrer Jahre hindurch irischer Premierminister. Auch er ist ein Vollprofi, wenn es um die europäisch-amerikanischen Beziehungen geht. Und sein früheres Amt verleiht ihm eine entsprechend starke Position. Bruton ist ein angenehmes Gegenüber und kann gut zuhören. Er leistet durch sein Wirken einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und der Europäischen Union.

Hoffen auf Rückkehr zur Demokratie

Den Schlusspunkt unseres Aufenthaltes in Washington bildete ein Besuch bei einer Institution, die von Madelaine Albright geleitet wird. Leider war sie selbst nicht da und wurde durch ihre Partnerin Wendy Sherman, eine ehemalige US-Botschafterin, und mehrere andere MitarbeiterInnen vertreten. Durch die Bank waren es auch hier eher „linke“ VertreterInnen der Demokratischen Partei, mit denen wir diskutierten. Dabei ging es natürlich auch um die Chancen, nach dieser zweiten Bush-Administration wieder eine demokratische Administration zu installieren. Wir hoffen, dass es so sein wird – ohne aber der Illusion zu erliegen, dass dadurch die Beziehungen zwischen den USA und Europa automatisch in allen Fragen Übereinstimmung zeigen würden und es zu einer reibungslos-produktiven Partnerschaft käme.

Treffen mit Weltbank

Abgesehen von diesem ohnehin sehr dichten Besuchsprogramm hatten wir in der Früh noch eine sehr interessante Begegnung mit Ad Melkert. Melkert war Vorsitzender und Minister der Sozialdemokratischen Partei in den Niederlanden und ist heute einer der Exekutivdirektoren der Weltbank. In diesem Gespräch ging es schwerpunktmäßig um internationale Hilfe und Unterstützung. Auch die Frage, inwieweit Schuldennachlass und Entwicklungshilfe kombiniert werden könnten und sollten – mit politischen Veränderungen, mit einer Demokratisierung der Länder und einem Steigern der Verantwortung und der Transparenz nicht nur hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Unterstützung und internationaler Hilfe, sondern auch gerade was die Einkommen aus Erdöl und anderen Ressourcen betrifft – beschäftigte uns.
Es hat sich gezeigt, dass Länder, in denen große und reichhaltige Erdöl- und sonstige Vorkommen vorhanden sind, keineswegs zu den reicheren oder besser entwickelten Ländern gehören. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl, Diamanten und anderen Bodenschätzen fließen oft in geheime, private Kanäle und dienen nicht dem öffentlichen Wohl der Bevölkerung. Die großen Vorräte und die daraus entstehenden Einkommen sind somit eher ein Fluch für die Menschen als ein Segen.

Mit der Bahn nach New York

Nach unseren Gesprächen in Washington ging es weiter nach New York. Der von uns bereits gebuchte Flug wurde aufgrund von Gewittern immer wieder verschoben. Buchstäblich in letzter Minute konnten wir Zugtickets reservieren. Die Bahnfahrt war letztendlich auch angenehmer und wir hätten uns von vornherein dafür entscheiden sollen. So fuhren wir also mit dem Zug Metroliner von Washington nach New York und sahen dabei auch Teile des amerikanischen „Beschäftigungswunders“.

Amerikanisches „Beschäftigungswunders“

Eine etwa 70 jährige schwarze Frau, die augenscheinlich große Schwierigkeiten beim Gehen hatte, servierte uns in unserem Abteil Essen und Trinken. Ich konnte mich des Eindrucks nicht verwehren, dass die alte Frau dazu gezwungen war, weil sie über keine Pension oder ein sonstiges Einkommen verfügt. Sie ist ein Teil der hohen Beschäftigungsrate in den USA. Menschen werden in ein Arbeitsverhältnis gepresst, in dem sie ohne jeden Zweifel extrem wenig verdienen, weil sie andernfalls keine Überlebenschancen hätten.

Erweiterung des Sicherheitsrates

In New York haben wir Gespräche mit verschiedenen Botschaftern der Europäischen Union geführt – sowohl mit dem Vertreter der Europäischen Kommission, Fernando Valenzuela als auch mit dem deutschen Botschafter Dr. Pleuger und dem britischen Botschafter Emyr Jones Parry. Im Mittelpunkt stand dabei die laufende Debatte über die Erweiterung des Sicherheitsrates sowie die Stärkung des europäischen Einflusses im Sicherheitsrat.
Über dieses Thema sprachen wir auch mit dem Präsidenten der Vollversammlung der Vereinten Nationen, Jean Ping, der sich offen gegenüber einer stärkeren europäischen Vertretung zeigte. Zur Diskussion steht in diesem Zusammenhang vor allem ein weiterer Sitz für Deutschland – neben verschiedenen Sitzen, die Afrika, Lateinamerika und Asien bekommen sollen.

UN-Reform ist notwendig

Eine Reform der Vereinten Nationen ist zweifellos angebracht – sowohl eine Reform und eine Aufstockung im Sicherheitsrat als auch eine Verwaltungsreform und die Einrichtung neuer effizienter Teilorganisationen. Man muss allerdings sehr aufpassen, dass es nicht zu einem Blockieren der Entscheidungsfähigkeit kommt, sondern diese vielmehr gesteigert wird. Das betrifft insbesondere die internationalen Einsätze der Vereinten Nationen.

Kontaktpflege

Insgesamt war unsere Reise erfolgreich. Nun gilt es, die geknüpften Kontakte auch entsprechend zu pflegen. Jeder von uns – sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Kollegen – ist mit Themen im eigenen Land, in der eigenen Region beschäftigt und wird davon sehr stark in Anspruch genommen. Wir müssen aber berücksichtigen, dass in der heutigen globalisierten Welt eigentlich nichts getan werden kann, ohne dass die andere Seite davon betroffen wäre. Und wir hätten ungeahnte Möglichkeiten, wenn Amerika und Europa in bestimmten Punkten gemeinsam vorgehen würden.
Das verdeutlicht, wie wichtig es wäre, die Beziehungen zwischen uns auszubauen. Genau so wichtig wäre es, die Beziehungen zwischen der europäischen Sozialdemokratie und den amerikanischen Demokraten enger zu gestalten. Wir haben uns das fest vorgenommen.

Gemeinsame Wege gehen

Ich hoffe, dass die notwendige Alltagsarbeit uns nicht daran hindern wird, klar zu erkennen und wahrzunehmen, dass es gerade zur Gestaltung einer besseren Situation für unsere eigene Bevölkerung notwendig ist, unsere Kontakte in Amerika aufrecht zu erhalten. Wenn wir zum Beispiel im Fall Chinas zu einer gemeinsamen vernünftigen Politik finden würden, könnten wir China viel stärker in ein gemeinsames globales Projekt integrieren. Dasselbe gilt für Indien, Brasilien und alle anderen Länder. Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um die weltweite Integration in ein friedliches System der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Wir müssen gemeinsame Pfade finden, auf denen wir uns bewegen – selbst wenn das in unterschiedlicher Geschwindigkeit passiert.
New York, 14.7.2005