Bosnien und Herzegowina – wohin?

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Sarajevo

Ein Morgenspaziergang durch den alten „türkischen“ Teil von Sarajevo zeigt immer wieder, wie symbolhaft diese Stadt für unser vielfältiges Europa und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen sein könnte. Nirgendwo sonst stehen Kirchen, Moscheen und Synagogen so nah beieinander.

 Den Zug nach Europa nicht versäumen

Aber noch immer machen sich die verschiednen ethnischen Gruppen das „gemeinsame“ Leben schwer. Nun, zwar gibt es in Bosnien keinen Krieg und alles Gerede davon ist Unsinn. Aber dennoch haben die Völker und Menschen dieses Landes noch nicht zueinander gefunden. Und einige Politiker wollen es auch gar nicht haben. Ihnen ist der status quo recht. Denn dann können sie sich immer wieder als die Helden ihrer ethnischen Gruppe aufspielen und Wahlen gewinnen.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang allerdings stellt ist, ob das Land und damit seine BürgerInnen nicht den Zug nach Europa versäumen. Und das würde bedeuten, dass Bosnien ein schwarzes Loch in unserer Nachbarschaft bleibt. Denn mit der Schweiz kann dieses Land wohl nicht verglichen werden. Auch diese hat ja Sonderverträge mit der EU und zahlt sogar Beiträge ins EU Budget ein. Für Bosnien Herzegowina ist daher derselbe Weg vorgesehen wie für die anderen Länder der Region, nämlich jener des Beitritts.

Kein gutes Zeichen

Auf Einladung des Europäischen Forums, einer Gründung mehrerer sozialdemokratischen Stiftungen, besuchte ich Anfang November Banja Luka, die Hauptstadt der Republika Srpska, also der „serbischen“ Teilrepublik Bosniens und Sarajevo und die „gemeinsame“ Hauptstadt des Landes. Ich habe gemeinsam unter Anführungszeichen gesetzt, weil führende PolitikerInnen des Republika Srpska sich über Sarajevo eher abfällig äußern. Das ist die Hauptstadt eines Landes, das sie nicht lieben.
Und Premierminister Milorad Dodik meinte, die Menschen in der Republika Srpska wollen auch deshalb in die EU, weil sie lieber von den Institutionen der EU in Brüssel abhängig seien als von den bosnischen Institutionen in Sarajevo. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu den jetzigen EU-Mitgliedsländern, in denen fast immer die eigene Hauptstadt und die dortige Regierung – so unbeliebt sie sein möge – mehr geschätzt werden als Brüssel. Dass dies gerade in der Republika Srspka anders ist, ist kein gutes Zeichen.

Korruptionsvorwürfe

Dennoch bin ich überzeugt, dass keiner der führenden Politiker der serbischen Teilrepublik von Sarajevo los will. So meinte auch Dodik in Ergänzung zur Erklärung mangelnder Liebe: „Bosnien ist eine Tatsache. Wir wollen es nicht zerstören. Ich bin kein Abenteurer.“ Man sollte daher auch manche Äußerungen über mögliche Abspaltungen und diesbezügliche Referenden nicht so ernst nehmen. Jedesmal, wenn wir uns darüber sehr erregen, kann das die Nationalisten nur freuen. Wir sollten einfach nur klar machen, dass das das Ende des Weges nach Europa bedeutet. Und Bosnien ist eben nicht die Schweiz.
Etwas anderes gibt mir sehr viel mehr zu denken, nämlich die Vorwürfe der Korruption gegen Dodik, aber auch einige andere Politiker des Landes – nicht zuletzt aus den Volksgruppen der Bosniaken und der Kroaten. Je mehr ein Land sich abschließt bzw. sich nach ethnischen Kriterien organisiert, desto eher ist es anfällig für die Versuchungen der Korruption. Und desto eher werden die „eigenen“ Leute von den Vertretern derselben Volksgruppe gedeckt. Verräterisch war eine Aussage, dass es einer gemeinsamen bosnischen Korruptionsbekämpfung nicht bedarf, man könne dies auch auf der Eben der Teilstaaten unternehmen. Ja, man kann, aber meistens will man das dann nicht. Denn das würde bedeuten, die eigenen Leute zu verfolgen. Korruptionsbekämpfung muss eine zentrale, überparteiliche und überethnische Aufgabe bleiben. Zusätzlich bedarf es einer engen Koordination und Zusammenarbeit auf regionaler, europäischer und internationaler Ebene.

Verfassungsänderung

In den Gesprächen mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, insbesondere mit Transparency International, gab es massive Vorwürfe gegen Premierminister Dodik und sein wirtschaftlich-politisches System. Hinzu kam die Anschuldigung massiver Interventionen in das Mediensystem. Nach deren Meinung hat sich die Situation der Demokratie massiv verschlechtert, nicht nur in der Republika Srpska, dort allerdings besonders stark, sondern auch in der Föderation der Bosniaken und Kroaten. Deshalb glaube ich, dass die internationale Gemeinschaft der Korruptionsbekämpfung besonderes Augenmerk schenken muss.
In einer anderen Frage war Premierminister Dodik gesprächsbereiter. Er eröffnete uns gegenüber einige Vorschläge zur Änderung der Verfassung. Dadurch könnte der Staat Bosnien-Herzegowina effizienter funktionieren und auch die ethnische Bestimmung etwas zurückgenommen werden. Immerhin könnten so einige positive Schritte gesetzt werden. Bleibt nur zu hoffen, dass sie von den anderen „Partnern“ akzeptiert werden können und von Dodik selbst nicht wieder zurückgenommen werden. Daher unterstrich ich auch in der an das Gespräch anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz, diese Reformbereitschaft und die Notwendigkeit, unmittelbar diesbezügliche Gespräche aufzunehmen. Und ich wiederholte diese Forderung auch in einem Interview mit dem Fernsehen aus der anderen Teilrepublik, der bosnisch – kroatischen Föderation in Sarajevo. 

Den Zug nicht versäumen  

Aber bevor es nach Sarajevo ging hatten wir im Rahmen eines späten Mittagsessen eine ausführliche Diskussion mit einigen jüngeren MitarbeiterInnen der Partei von Dodik der SNDS. Sie waren etwas offener und diskussionsbereit. Letztendlich wussten allerdings auch sie, was sie alles nicht wollten, hatten aber nur wenige Vorstellungen über die Zukunft des Landes. Und von der behaupteten sozialdemokratischen Einstellung bemerkte ich nur wenig. So begaben wir uns mit wenig Optimismus auf den Weg von Banja Luka nach Sarajevo. Die Fahrt dauerte vier Stunden. An den wenig bzw. schlecht ausgebauten Strassen bemerkte man das geringe Interesse an der Hauptstadt des Landes Bosnien- Herzegowina.
In Sarajevo organisierte das Forum ein Seminar über die Notwendigkeit, den „Zug nach Europa“ zu erwischen. In meinem Einleitungsreferat meinte ich, man könnte den Titel auch ins Zynische verändern und fragen: „Wie kann man den europäischen Zug, der ohnedies zu spät kommt, versäumen?“ Denn manchmal hat man den Eindruck, dass genau das einige bosnische PolitikerInnen anstreben oder zumindest in Kauf nehmen. Ich forderte die PolitikerInnen des Landes auf, die gute Stimmung in der EU nach der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zu nützen und die notwendigen Reformen durchzuführen. Die internationale Gemeinschaft und insbesondere die EU sollten dabei nicht alles verlangen, sondern sich auch mit einem Zwischenschritt zufrieden geben. Manches wird dann ohnedies im Laufe der nächsten Jahre nachzuholen sein. Denn bis zum Beitritt dauert es jedenfalls noch einige Zeit. 

Bessere (Selbst)Organisation

So sehr viele PolitkerInnen von Bosnien träge sind und die notwendigen Reformen maximal halbherzig angehen, so sehr sind manche Organisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft überaus ungeduldig, streng und bedingungslos in ihren Forderungen nach Reformen. Man muss versuchen, das Mögliche durchzusetzen. Der Friedensvertrag von Dayton hat nun mal zwei Teilstaaten innerhalb Bosniens geschaffen – und einer davon ist serbisch dominiert, nämlich die Republika Srpska. Es macht keinen Sinn, das jetzt radikal ändern zu wollen.
Auf der anderen Seite müssen auch die VertreterInnen dieses Teilstaates anerkennen, dass ein moderner Staat, der noch dazu in die EU will, sich besser und effizienter organisieren muss. Banja Luka muss zur Kenntnis nehmen, dass der Weg nach Brüssel auch(!) über Sarajevo führt. Die VertreterInnen der serbischen Teilrepublik haben ohnedies auch entsprechenden Einfluss in den zentralen bosnischen Institutionen. Und letztendlich geht es um die BürgeInnen, unabhängig von der ethnischen Herkunft und dem Wohnort. Sie wollen mehr Chancen zu einem Leben, das ihnen einen anständigen und angemessenen Lebensstandard garantiert. Und das kann nur ein Staat, der auf die Rechte und Pflichten der BürgerInnen aufbaut, wie dies den Werten der EU und der nun in Kraft tretenden Charta der Grundrechte entspricht. 

Gutes Angebot  

Mit der in dieser Woche im EU-Parlament beschlossenen Visa-Liberalisierung haben wir den BürgerInnen und den PolitikerInnen des Balkans ein gutes Angebot gemacht. Ich hoffe, sie machen einen verantwortungsvollen Gebrauch davon. Dann können sie die Bereitschaft unserer Bevölkerung, die Erweiterung der EU um die Länder des Balkans voranzutreibe,n stärken. Denn wir brauchen für diesen Prozess auch gute Erfahrungen, die unsere Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit der weiteren Erweiterungsschritte überzeugen.

Sarajewo, 14.11.2009