Energie oder Menschenrechte?

Moskau

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Energiefragen sind Gegenstand sehr unterschiedlicher Diskussionen und Gespräche. Als Schattenberichterstatter der sozialdemokratischen Fraktion für die Richtlinie für Versorgungssicherheit und als einer der Wenigen, der Außenpolitik und Energiefragen kombiniert, werde ich immer wieder eingeladen, in Podiumsdiskussionen zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Oft sind es verschiedene Energieunternehmungen, die ihre Position und Stellungnahmen an den Mann bzw. an die Frau bringen wollen.

 Keine Abhängigkeiten schaffen

So fand ich mich gestern zwischen Vertretern von Wingas und des North Stream Projekts auf einem Podium placiert. Auch bei dieser Gelegenheit vertrat ich die Notwendigkeit einer EU-weiten Koordination der Versorgungssicherheit insbesondere im Krisenfall. Außerdem liegt mir das Projekt Nabucco am Herzen, weil es einen – wenn auch – kleinen Beitrag zur Diversifizierung der Gasversorgung leistet. Dabei handelt es sich nicht nur um eine neue, zusätzliche Pipeline, die die unsichere Ukraine umgeht. Vielmehr bezieht sie das Erdgas darüber hinaus nicht vom Hauptversorger Russland, sondern aus dem kaspischen Raum, aus dem Irak und später einmal, hoffentlich, aus dem Iran.
Immer wieder betone ich bei derartigen Diskussionen, dass Russland selbstverständlich ein wesentlicher Versorger für Europa bleiben wird. Und ich habe auch keine primitive anti-russische Einstellung, wie manche meiner KollegInnen. Nein, Europa sollte von niemandem in der Versorgung so stark abhängig sein wie derzeit von Russland. Das ist für mich eine prinzipielle Frage, unabhängig davon, wie das Land heißt und welche historischen Schicksale uns verbinden bzw. trennen.

Mehr Stärke zeigen

Heute hatten einige Interessierte von uns eine Diskussion mit dem Energiebeauftragten des amerikanischen Außenministeriums, Richard Morgenstern. Wir diskutierten mit ihm über die energiepolitische Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA. Dabei kamen natürlich auch die Rolle Russlands und die verschiedenen Pipelineprojekte zur Sprache. Morgenstern kritisierte keines der Vorhaben, sprach sich allerdings am stärksten und eindeutigsten für Nabucco aus. Und in diesem Fall teile ich die amerikanische Einschätzung.
Morgenstern war übrigens einer jener amerikanischen Vertreter, die die Ölpipeline von Baku über Tbilisi zum türkischen Hafen Ceyhan, also die TBC-Pipeline, betrieb und durchsetzte. Manchmal bedauere ich, dass wir nicht die entsprechend Stärke aufbringen. Auf meine diesbezügliche Frage meinte er, ja, es sei richtig, dass in der Energiefrage Politik und Wirtschaft immer verknüpft sind. „Natürlich müssen die Projekte wirtschaftlich lebensfähig sein. Aber man muss manche wichtige Projekte politisch unterstützen.“

Menschenrechtsverletzungen ansprechen

Ein Thema, das immer wieder angeschnitten wird, ist die Frage, wie wir es mit den Menschenrechten halten. Sind wir bereit, die Wahrung der Menschenrechte bzw. die Kritik an ihrer Verletzung gegen eine gute Versorgung einzutauschen? Menschenrechtsaktivisten werfen uns das ja oft vor. Einer meiner Kollegen stellte auch eine dahingehende Frage. Auch hier vertrat Richard Morgenstern einen pragmatischen Ansatz. Natürlich müssen wir all die Menschenrechtsverletzungen und undemokratischen Verhaltensweisen ansprechen. Aber deshalb sollte man nicht auf wirtschaftliche, vor allem energiewirtschaftliche Beziehungen verzichten. „Glauben sie, dass sich bei Verzicht auf den Bezug von Energie von diesen Ländern die Menschenrechtssituation verbessern würde?“
Dieser Haltung stimme ich sehr zu, allerdings ist das natürlich im Einzelfall nicht so leicht zu argumentieren. Zufällig haben mich unmittelbar nach besagter Diskussion MenschenrechtsaktivistInnen aus Kasachstan, Turkmenistan und Tadschikistan besucht. Ihnen ging es vor allem um eine Intervention gegen Finanzierungen von Energieprojekten durch die Europäische Investitionsbank. Denn dabei würden in ihren Ländern oftmals Menschenrechtsprobleme, aber auch die Umweltfragen missachtet. Grundsätzlich sollte keine Großprojekte unterstütz werden, sondern nur solche, die unmittelbar Energie für die lokale Bevölkerung zur Verfügung stellen.

Aufgabe der Politik

Man kann zweifellos nicht nach solchen einfachen Prinzipen vorgehen, aber natürlich wird sich das Parlament, das jetzt auch bei internationalen Verträgen etc. mehr Einfluss und Mitbestimmung bekommt, vermehrt diesen Fragen widmen müssen. Energie- und Außenpolitik bleiben, jede für sich, spannend, in ihrer Verbindung aber sind sie besonders interessant und stellen für viele Menschen existentielle Fragen dar. Aufgabe der Politik, zumal der europäischen, ist es, die Versorgung der eigenen Bevölkerung langfristig sicherzustellen und sich gleichzeitig für mehr Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen.

Brüssel, 18.11.2009