Das Dilemma der Nichtverständigung

Bei aller Kritik an Religionen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen darf man nie den Respekt vor den Gläubigen vergessen.
Am Rande der Präsentation der derzeitigen EU-Präsidentschaft durch den Ratspräsidenten, den niederländischen Premierminister Balkenende, im EU-Parlament kam auch der furchtbare Mord an Theo van Gogh zur Sprache.

Mord an Theo van Gogh

Der niederländische Kritiker und Filmemacher, ein Nachfahre des weltberühmten Malers, wurde auf offener Straße von einem muslimischen Extremisten ermordet. Theo van Gogh war durch seine scharfen Attacken auf verschiedene Glaubensrichtungen und vor allem auf den Islam bekannt. Seine Ermordung hatte zahlreiche Anschläge auf islamische Einrichtungen zur Folge, und diese traurige Auseinandersetzung hat inzwischen auch auf Belgien übergegriffen. Wahrlich keine guten Zeichen für die Toleranz und Integration in unserer Gesellschaft!

Absolut keine Rechtfertigung

Ich persönlich meine, dass man bei aller Kritik an Religionen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen den Respekt vor den Gläubigen nicht vergessen sollte. Für viele Menschen hat der Glaube an Gott einen solchen persönlichen Stellenwert, dass man dies auch im Rahmen der Kritik respektieren sollte. Nichts, absolut nichts kann allerdings einen tödlichen Angriff oder gar Mord an einem Kritiker der Religion bzw. den Religionen rechtfertigen. Dafür gibt es absolut keine Entschuldigung und keine gerechtfertigte Erregung. Aber auch für die Racheakte gegen Gotteshäuser der Religion des Mörders kann es keine Akzeptanz geben.

Dialog auf Basis des gegenseitigen Respekts

Respekt und Toleranz auf Basis der Gegenseitigkeit sind die einzigen Verhaltensweisen, die aus dem Dilemma der Nichtverständigung führen. Wir müssen uns mehr um die Integration in unsere Gesellschaft bemühen, über die Arbeit, über Vereine, nicht zuletzt auch über politische Parteien, über die Medien, etc. Eine Gesellschaft muss aber auch verlangen, dass ihre im Laufe der Zeit erworbenen Werte und Einstellungen akzeptiert und respektiert werden.
Je mehr ein Dialog auf Basis des gegenseitigen Respekts stattfindet, desto eher sind solche extremistischen Einzeltaten vermeidbar. Polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen sind unvermeidbar, aber sie sind keineswegs ausreichend. Es gilt, das Umfeld derartiger potentieller Täter zu beeinflussen. Und da bedarf es der Mitarbeiter, der Bekannten, Freunde, religiösen Berater und Vorbilder, etc. Und es bedarf eines intensiven Dialogs in der gemeinsamen Gesellschaft. Dabei müssen sich all jene bewähren, denen das Miteinander ein wirkliches Anliegen ist.

Im gegenseitigen Interesse handeln

Das Aufspüren von Extremisten, die als potentielle Täter in Frage kommen, ist im Interesse aller – gerade auch der Mitglieder und Vertreter des islamischen Glaubens. Und daher müssen sie ein Interesse an der entsprechenden Mitarbeit haben. Aber sie können diese vor sich selbst nur rechtfertigen, wenn sie und ihr Religionsbekenntnis mit Respekt und Akzeptanz behandelt werden.
Straßburg, 18.11.2004