Der Reformvertrag ist da!

Die institutionellen Reformen ergeben noch keine neuen Inhalte. Aber sie ergeben eine Struktur, die, wenn es zu neuen Inhalten kommt, die Leistungs- und Entscheidungsfähigkeit der EU erhöhen.
Der jüngste Gipfel von Lissabon ist erfolgreich verlaufen. Der detaillierte Vorschlag der Staats- und Regierungschefs, wie die EU reformiert werden soll, liegt nunmehr vor.

Was ist neu?

Es handelt sich allerdings nicht mehr um einen Verfassungsvertrag. Man könnte auch mit gutem Recht vom zuletzt in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten Vertrag behaupten, dass es sich um keinen Verfassungsvertrag gehandelt hat – aber er trug zumindest diesen Titel. Der nun vorliegende Entwurf trägt diesen Titel nicht mehr, sondern ist eben ein Vertrag über die Reformen der EU.
Was ist anders, was ist neu? Das ist erst im Detail nachzuvollziehen (siehe dazu auch die Synopse der SPE-Fraktion im Anhang). Es gibt jedenfalls einige wesentliche Eckpunkte dieser Reform. Einerseits ist dies die Stärkung des Europäischen Parlaments, nicht zuletzt dadurch, dass ihm mehr Kompetenzen bei der Mitbestimmung gegeben werden, weil vom Prinzip der Einstimmigkeit im Rat stärker in Richtung der Mehrstimmigkeit gegangen wird. Außerdem wird eine höhere Stabilität und Kontinuität beim Rat durch einen eigenen längerfristigen Ratspräsidenten angestrebt. Es geht weiters vor allem darum, einen gemeinsamen quasi Außenminister zu installieren – auch wenn er nicht so heißt. Diese Person soll sowohl das Amt des Hohen Vertreters des Rates als auch des Vizepräsidenten der Kommission für auswärtige Angelegenheiten repräsentieren.

In die nächste Runde

All diese Neuerungen sind Voraussetzungen dafür, dass die EU vor allem international stärker auftreten und damit auch die Interessen der Bevölkerung entsprechend stark vertreten kann. Die institutionellen Reformen ergeben noch keine neuen Inhalte. Aber sie ergeben eine Struktur, die, wenn es zu neuen Inhalten kommt, die Leistungs- und Entscheidungsfähigkeit der EU erhöhen. Und sie schaffen einen gewissen Anreiz, zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu gelangen, wenn entsprechende Personen entsprechenden Druck auf eine solche neue Struktur ausüben.
Ob dieser Vertrag jemals Wirklichkeit wird, steht in den Sternen. Zunächst muss er in den einzelnen Mitgliedsländern ratifiziert werden. Ich persönlich gehe davon aus, dass es im Falle einer parlamentarischen Ratifizierung nirgendwo Probleme geben wird. Derzeit ist verfassungsmäßig lediglich in Irland ein Referendum vorgesehen. Niemand kann sagen, wie dieses ausgehen wird. Die Möglichkeit eines positiven Ausgangs ist gegeben, es besteht aber auch die Möglichkeit eines Scheiterns. Was in diesem Fall passiert, weiß heute niemand. Aus meiner Sicht kann es sich die EU aber nicht leisten, aufgrund einer Nichtratifizierung eines kleinen Landes wie Irland den gesamten Fortschritt über den Haufen zu werfen.

Die soziale Dimension

Ich hoffe, dass die jetzt entstandene Dynamik mit der in Lissabon vereinbarten Übereinkunft die Stimmung in der EU insgesamt verbessert. Bundeskanzler Gusenbauer hat ganz recht, wenn er meint, dass wir nun mehr Zeit haben, uns um die inhaltlichen Themen und um die Ausgestaltung von Europa, besonders was die sozialen Aspekte betrifft, zu kümmern.
Trotzdem darf man sich keine Illusionen machen: Weder ist die EU dazu berufen, alle einzelnen sozialen Aspekte in den verschiedenen Mitgliedsländern zu behandeln – dazu besteht weder die Kompetenz noch wollen das die Mitgliedsländer – noch gibt es eine Rückkehr zu alten sozialen Strukturen, da wir heute in einer anderen Welt mit anderen Herausforderungen leben. Gerade weil es diese globale Herausforderung gibt, darf die soziale Dimension der EU nicht verdeckt werden. Denn Globalisierung, Internationalisierung, Öffnung der Märkte führen einerseits zu hohen Gewinnen, andererseits aber auch zu Benachteiligungen. Um diese Benachteiligungen geht es, will man nicht einen totalen Widerstand in weiten Kreisen der Bevölkerung gegen Globalisierung und Modernisierung.

Globalisierung mitgestalten

Es ist unsinnig, gegen die Globalisierung und Öffnung der Märkte zu kämpfen. Sinnvoll ist hingegen, dass die Gestaltung der Globalisierung nicht völlig frei erfolgt oder nur den Kapitalträchtigen überlassen wird. Vielmehr muss die öffentliche Hand nicht so sehr auf der nationalen Ebene, aber auf der europäischen Ebene und auch unter Einflussnahme auf die internationalen Organisationen dafür Sorge tragen, dass vor allem auch die sozial Schwächeren nicht einfach den verschiedenen Markteinflüssen geopfert werden.
Auch das ist leichter gesagt als getan. Trotzdem muss es klare Signale geben, dass die soziale Ausgestaltung, wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen, nach wie vor eine der wesentlichen Aufgaben der politischen Ebene ist, die sie im Dialog, zum Teil aber auch im Widerstand zu manchen irrationalen Marktkräften zu erfüllen hat. Die politische Dimension ist eben heute nicht nur auf der nationalen, sondern verstärkt auch auf der internationalen und europäischen Ebene angesiedelt. Und genau deshalb müssen wir vor allem dort entsprechend aktiv werden. Das ist einer der Hauptzwecke der EU.

Schlüsselfaktor Energie

Neben der sozialen Dimension geht es vor allem auch um die ökologische Dimension, die nicht nur in der Umweltpolitik im engeren Sinn, sondern auch in der Energiepolitik zum Ausdruck kommen muss. Die Energiepolitik, die gerade auch im Mittelpunkt der Beratungen der nächsten Monate stehen wird, wenn das derzeit dem Rat und dem Parlament übermittelte Energiepaket seitens der Kommission von uns behandelt werden muss und wenn auch neue Vorschläge um die Jahreswende kommen werden.
Auch hier geht es nicht nur um Schwarz und Weiß, sondern darum, dass die Wirtschaftlichkeit des Energiesektors genauso zu beachten ist wie seine ökologische Seite. Und die soziale Seite im Sinne der Energiesicherheit und damit die Leistbarkeit für die sozial Schwachen darf nicht außer Acht gelassen werden. Die neue Struktur der EU, wie sie der Reformvertrag vorzeichnet, bringt also auch im Energiesektor zusätzliche Kompetenzen der EU, ohne die nationale Verantwortung ganz beiseite zu schieben. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Reformvertrag neue Akzente setzt, die absolut wichtig sind, um die Interessen der europäischen Bevölkerung insgesamt angesichts der globalen Entwicklungen besser vertreten zu können.

Wien, 19.10.2007