Die Finnen sind an der Reihe

Die finnische Präsidentschaft hat zwei für uns interessante Schwerpunkte auf ihrer Agenda: die so genannte nordische Dimension, insbesondere die Zusammenarbeit mit Russland und die Weiterentwicklung der europäischen Energiepolitik.
In dieser Woche geht die österreichische Präsidentschaft zu Ende.

Österreich hat seine Sache gut gemacht

Ich habe mich bisher nicht sehr intensiv an den entsprechenden Bewertungen bzw. Benotungen dieser Präsidentschaft beteiligt. Es ist schwierig, jede/n einzelne/n MinisterIn zu bewerten – insbesondere in Fällen, in denen man keinen guten persönlichen Kontakt hat. Insgesamt hat Österreich seine Sache aber gut gemacht. Eine andere Beurteilung wäre unfair und falsch.
Die MitarbeiterInnen der verschiedenen Ministerien haben äußerst fleißig und teilweise extrem qualifiziert gearbeitet, ebenso wie einige MinisterInnen selbst. Ich habe auch sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Dass der Bundeskanzler generell geschickt agiert, ist ja kein Geheimnis. So kann er auch eine durchaus abgerundete Präsidentschaft vorweisen.

Mehr Informationstätigkeit

Zweifellos wurde etwas zu viel gefeiert, präsentiert und repräsentiert. Das ist zwar bei den EU-MinisterInnen sowie den Staats- und Regierungschefs gut angekommen, war aber wahrscheinlich für die heutige Form der Politik etwas übertrieben.
Was mir außerdem gefehlt hat, war eine intensive Informationstätigkeit – schon vor und vor allem auch während der Präsidentschaft -, die entsprechend vermitteln hätte können, worum es geht und was die Aufgaben, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer Präsidentschaft sind. Das trifft etwa auf den Lateinamerika-Gipfel zu, um nur ein Beispiel zu nennen. Hier wären mehr und bessere Informationen sinnvoll gewesen. Das gilt aber zugegebenermaßen nicht nur für Österreich, sondern auch für die anderen EU-Länder.

Die Finnen, seriöse und kühle Nachfolger

Am 1. Juli beginnt die finnische Präsidentschaft. Das war auch der Anlass für einen Arbeitsbesuch der sozialdemokratischen Fraktionsspitze in Helsinki. Wir haben dort den finnischen Ministerpräsidenten Matti Vanhanen getroffen, ebenso wie den Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Erkki Tuomioja und den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Finanzminister, der gleichzeitig auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei ist, Eero Heinäluoma.
Diese Gespräche haben uns einen Ausblick auf eine zu erwartende seriöse Präsidentschaft gegeben, die voraussichtlich kühler als die österreichische, eher barock angelegte Präsidentschaft über die Bühne gehen wird. Ob sie mehr bewirken wird oder weniger, können wir jetzt nicht beurteilen. Der Habitus wird jedenfalls anders sein. Das liegt wahrscheinlich auch im Unterschied zwischen einem katholischen Land und einem nördlichen, protestantischen Land. Auch vom klimatischen Gesichtspunkt gibt es einen Unterschied.

Nordische Dimension und Energiefrage

Die finnische Präsidentschaft hat zwei für uns interessante Schwerpunkte auf ihrer Agenda. Das sind einerseits die so genannte nordische Dimension, insbesondere die Zusammenarbeit mit Russland und andererseits die Weiterentwicklung der europäischen Energiepolitik. Beide Bereiche hängen zusammen.
Die Finnen sind aus der Geschichte heraus gebrannte Kinder hinsichtlich Russlands. Sie haben ihre Lehre gezogen – manche würden vielleicht sagen, sie haben zu sehr den Schwanz eingezogen bzw. verhalten sich gegenüber den Russen zu neutral und unkritisch. Die Finnen wissen aber auch ganz genau, was ein kleines Land gegen ein riesiges Reich bewirken kann. Sie kennen Großmachtinteressen und verstehen es, mit ihnen umzugehen.

Unterschiedliche Erfahrungen mit Russland

Wir setzen uns heute in Europa mit diesen Punkten zweifellos kritischer auseinander. Es gibt Länder, die es nicht so leicht hatten wie Finnland und Österreich, unabhängig und unbesetzt von Russland zu bleiben. Finnland musste zwar einen Teil seines Staatsgebietes abgeben, Österreich war 10 Jahre u.a. von Russland besetzt und musste Reparationszahlungen leisten. Aber immerhin: Wir haben unsere Freiheit wieder erlangt.
Aus diesem Grund ist auch das unterschiedliche Verhalten in der EU gegenüber Russland nicht so sehr eine Frage der Strategie, Taktik oder Ideologie, sondern eine Frage der jeweiligen Erfahrung. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder ein Land machte mit Russland eine gute Erfahrung im gemeinsamen Kampf gegen den Nationalsozialismus und das Hitler-Regime, oder es machte ein gute Erfahrung, weil es zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg seine Unabhängigkeit bewahren oder wieder erlangen konnte. Es gab aber auch Länder, die extrem schlechte Erfahrungen mit Russland gemacht haben, weil sie entweder in die Sowjetunion einverleibt wurden – wie etwa die Baltische Staaten – oder weil sie von der Sowjetunion von außen her beherrscht wurden – wie die einzelnen Mitgliedsländer des Warschauer Paktes.

Problematische Entwicklung unter Putin

Diese unterschiedlichen Erfahrungen kommen heute zum Ausdruck. In diesem Sinn waren auch die Wortmeldungen zu Russland bei unserer Diskussion mit den finnischen KollegInnen in Helsinki von unterschiedlicher Schärfe und Aggressivität einerseits und Milde andererseits gekennzeichnet. Ich kann Formulierungen, die wesentlich schärfer sind als ich dies je tun würde, nachvollziehen. Man muss die schlechten Erfahrungen, die einzelne Länder mit Russland gemacht haben, akzeptieren.
Leider distanziert bzw. entschuldigt sich Russland auch heute nicht für die Vergangenheit und hat kein Interesse an ihrer Aufarbeitung. Und leider gibt es gerade unter Putin negative Entwicklungen in Russland. Das Regime hat eine problematische Richtung eingeschlagen, nicht zuletzt auch im Energiebereich und dem Einfluss in und über Gasprom sowie dem Wirken gegenüber den Nachbarländern.

Zwei ausschlaggebende Fragen

In manchen Bereichen mag es zu mehr Disziplin, Ordnung und Sicherheit der russischen StaatsbürgerInnen gekommen sein – das ist durchaus anzuerkennen. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von kritischen Elementen. Aus meiner Sicht werden wir in Zukunft zwei entscheidende Fragen diskutieren müssen: Zum einen geht es um Russlands Verhalten zu seinen Nachbarn, die vielfach auch unsere Nachbarn sind, wenn ich etwa an die Ukraine, Weißrussland, Moldawien oder den Südkaukasus denke. Hier scheint es sich um ein äußerst gespaltenes, interessensbezogens und letztendlich tendenziell auf Zwang und Erpressung ausgerichtetes Verhalten zu handeln.
Zum anderen müssen wir die Energiefrage unter die Lupe nehmen und herausfinden, inwieweit Russland bereit ist, auf gleichberechtigte und gleichgewichtige Rahmenbedingungen zwischen der Europäischen Union und Russland zu setzen. Hinzu kommen das Tschetschenien-Problem und die Menschenrechtsfrage in Russland selbst.

Offene Worte sind notwendig

Wir werden nicht von heute auf morgen befriedigende Lösungen finden können. Und trotzdem erwarte ich mir in diesen beiden zentralen Bereichen eine Vermittlungstätigkeit und auch offene Worte seitens der finnischen Präsidentschaft. Wahrscheinlich möchte diese ähnlich zurückhaltend agieren wie es Österreich getan hat. Aber klare Formulierungen sind ganz einfach unabdingbar.
Für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland ist es gar nicht so schlecht, dass in jüngster Zeit mehrere Länder die Präsidentschaft innehatten, die ein positives Verhältnis zu Russland haben – zunächst Großbritannien, dann Österreich, jetzt Finnland und in der Folge Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass durch entspannte Gespräche nicht nur ein Dialog zustande kommt, sondern sich Russland auch gelassener fühlen kann und schließlich gegenüber seinen Nachbarn und vor allem in der Energiepolitik eine vernünftige Position einnimmt.

Weiße Nächte

Am Abend unseres Aufenthaltes in Helsinki hatten wir ein Arbeitsessen mit unseren sozialdemokratischen Freunden, an der auch der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister sowie der Außenminister teilnahmen. Das Treffen fand in einer der unzähligen Buchten Helsinkis statt.
Es war Ende Juni, wenige Tage nach der Sommersonnenwende. Wir genossen also eine der berühmten „weißen Nächte“, in denen es eigentlich nicht wirklich dunkel wird. Für mich persönlich war es ein Erlebnis, nach vielen Jahren wieder einmal im Juni in Finnland zu sein und diese helle Nacht zu erleben. Ich versuchte trotzdem, zumindest fünf Stunden zu schlafen, denn heute ging unser Programm weiter.

Ruhige und überlegte Herangehensweise

Wir trafen unter anderen Erkki Likkanen, den früheren EU-Kommissar, den ich stets geschätzt und gemocht habe und der jetzt Präsident der finnischen Nationalbank ist. Er berichtete uns über die russische Wirtschaft und die Beziehungen zu Russland. Danach besuchte uns der stellvertretende Direktor der Grenzschutzdivision, mit dem wir die Grenzschutzproblematik zu Russland diskutierten. Schließlich fanden noch Diskussionen mit GewerkschaftsvertreterInnen und nicht zuletzt auch mit der Arbeitsministerin Tarja Filatov, eine der VizepräsidentInnen der Sozialdemokratischen Partei, statt.
Wir absolvierten insgesamt einen interessanten und sachorientierten Besuch bei der finnischen Präsidentschaft. Wir haben die unterschiedlichsten Themen angesprochen, unter anderem auch die Verfassung. Finnland möchte diese während seiner Präsidentschaft ratifizieren. Das wäre ein äußerst positives Signal an all jene, die verfassungsskeptisch bis -ablehnend agieren. Die ruhige und überlegte Art, mit der Finnland an die Präsidentschaft herangeht, lässt sich sehr positiv an. Ob das auch in Finnland selbst zu einer Verbesserung des Klimas und der Einstellung gegenüber der EU beitragen wird, bleibt abzuwarten.

Helsinki, 26.6.2006