Die Griechen sind am Zug!

Am 1.1.2003 hat Griechenland die EU-Präsidentschaft von Dänemark übernommen.
Das neue Arbeitsjahr hat mit Gesprächen mit den wichtigsten Repräsentanten der griechischen EU-Präsidentschaft für das erste Halbjahr 2003 begonnen. Die relevantesten Ministerinnen und Minister standen bei der Sitzung des SPE-Vorstandes im Hotel Athenes Plaza im Herzen der Stadt vis à vis dem griechischen Parlament und fünfzehn Minuten von der Akropolis entfernt Rede und Antwort.

Papandreou, Giannitsis, Papantoniou

Für mich waren die Gespräche mit Außenminister George A. Papandreou, seinem Stellvertreter und Europaminister Tassos Giannitsis, sowie Verteidigungsminister Yannos Papantoniou am interessantesten. Sie alle kenne ich schon von früheren Begegnungen und schätze sie auch sehr. George Papandreou, dessen Vater Andreas und Großvater Giorgos griechische Premierminister waren, ist eine besonders beeindruckende und zugleich bescheidene Persönlichkeit. Er hat trotz vieler Kritik und Skepsis die Beziehungen zum „Erzfeind“ Türkei wesentlich verbessert und damit auch den Weg für eine Lösung des Zypernproblems freigemacht. Die neue türkische Regierung ist dabei besonders an einer Lösung interessiert, aber noch ist unklar, ob das türkische Militär und der türkisch-zypriotische Pseudopräsident Denktasch einer Lösung zustimmen werden. Eine große Demonstration im türkisch-zypriotischen Teil selbst hat jedenfalls versucht, auf Denktasch Druck auszuüben.
Die griechisch-türkische Entspannung hat aber nicht nur die Zyperngespräche ermöglicht, sondern auch andere wichtige Türen geöffnet – für die EU-Türkei Zusammenarbeit bei der Bekämpfung illegaler grenzüberschreitender Aktivitäten vom Drogenhandel bis zum Menschenschmuggel. Der griechische Innenminister bestätigte mir dies auf meine Frage ausdrücklich.

Mit einer Stimme sprechen

Mit Außenminister Papandreou diskutierten wir vor allem die Irak-Krise und die Situation am Balkan. Unsere Ablehnung eines einseitigen, nicht durch UN-Beschlüsse gedeckten militärischen Eingreifens der Amerikaner war ziemlich einmütig. Papandreou selbst gab deutlich zu verstehen, daß er unsere Meinung teilt, aber ebenso, daß er große Mühe haben wird, die gesamte EU auf eine solche Linie festzulegen. Dabei wäre aber gerade das in den Augen der europäischen Öffentlichkeit wichtig: dass die EU mit einer Stimme spricht und dass diese Stimme jedenfalls Nein zu einem US-Militärabenteuer im Irak sagt!
Hinsichtlich des Balkans unterstütze ich die Bemühung der griechischen Präsidentschaft, am Gipfel in Saloniki mit den Balkanstaaten klare Signale zur – mittel- bis langfristigen – Integration dieser Staaten in die EU auszusenden. Papandreou signalisierte in diesem Sinn, dass die griechische Präsidentschaft diesen Gipfel als Integrationsgipfel bezeichnen und behandeln will. Hoffentlich sind sich alle Beteiligten bewusst, wie wichtig entsprechende Weichenstellungen bei diesem Treffen im Juni 2003 für Frieden und Stabilität werden können.

Europäische Zusammenarbeit

Verteidigungsminister Papantoniou seinerseits leitet schon seit Anfang der dänischen Präsidentschaft die EU-Beratungen zu Sicherheits- und Verteidigungsfragen, da die Dänen an diesen Beratungen nicht teilnehmen. Sie wollen diese Frage ausschließlich im Bereich der NATO verhandelt sehen. Papantoniou kündigte jedenfalls griechische Initiativen im Bereich einer besseren europäischen Zusammenarbeit, im militärischen Beschaffungswesen und auch bei Forschung und Entwicklung im militärischen Bereich an.
Zum Abschluss unserer Gespräche begaben wir uns zum griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis in sein Amt. Auch er ist sehr ruhig, bescheiden und freundlich, allerdings um einiges kleiner als Papandreou. Beeindruckt haben mich seine präzise Art des Formulierens, aber auch sein aufmerksames Zuhören.

Die Stunde der Wahrheit rückt näher

Die Lösung des Zypernproblems bzw. die Festigkeit der Bereitschaft, Zypern auf jeden Fall zum selben Zeitpunkt wie die übrigen neuen Mitgliedsländer in die EU aufzunehmen, lag ihm sehr am Herzen! Für Griechenland hat die vorgesehene Unterzeichnung des Beitrittsvertrages am 16. April durch die Mitgliedsländer und die zehn Beitrittskandidaten am Fuße der Akropolis mehr als symbolische Bedeutung. Diese Unterzeichnung, die den Beitritt Zyperns miteinschliesst, krönt die griechische Präsidentschaft und belohnt die langjährigen Bemühungen des EU-Mitglieds Griechenland.
Die Akropolis, die über diese Unterzeichnung „wacht“, soll dabei Griechenland als die Wiege der europäischen Kultur und Demokratie symbolisieren. Der Parthenon beispielsweise war in seiner Geschichte Tempel, Kirche, Moschee und osmanisches Munitionslager. Als solches wurde er von den Venezianern, die Griechenland dem osmanischen Reich entreißen wollten, beschossen. Die Wunden sind noch heute sichtbar. So steht dieser griechische Tempel auch für die wechselvolle Geschichte unseres Kontinents.

Akropolis im Morgengrauen

Da weiters keine Zeit war, bestieg ich den Akropolishügel zeitig am Morgen und war der erste Besucher. Von der Morgensonne bestrahlt und ohne Touristen – nur ein paar Katzen und die ersten Arbeiter für die Renovierung der Tempelanlage waren zugegen – bot die Akropolis und die ihr zu Füßen liegende Stadt ein beeindruckendes Bild. Wahrlich ein geeigneter Ort, um ein zukunftsweisendes Dokument für Europa zu unterzeichnen.
Athen, 7.1.2003