Indische Stippvisite

Das heutige Indien ist – vor allem in den Augen der Weltöffentlichkeit – durch die ethnisch-religiösen Gruppen, insbesondere zwischen Hindus und den Moslems, gekennzeichnet.
Zwischen Weihnachten und Neujahr befand ich mich – aus privaten, touristischen Gründen- für einige Tage in Indien. Genauer gesagt habe ich einige Sehenswürdigkeiten in Delhi, Rajasthan und Uta-Pradesh besichtigt. Zwischen den einzelnen Orten bewegten wir uns mit dem Auto fort, das von einem erfahrenen indischen Fahrer gelenkt wurde.

Bollywood-Produktion

Die Fahrten durch die kleinen Dörfer und die größeren Städte kamen mir vor wie im Film. Ein Film aus der Produktion von Bollywood (zusammengefasst aus Bombay und Hollywood) könnte das Leben auf den Straßen Indiens kaum eindrucksvoller darstellen. Und das Leben hier spielt sich sehr augenscheinlich auf den Straßen ab. Menschen mit und ohne Fahrzeuge und Tiere – Kühe, Schweine, Kamele, Ziegen, etc – sie alle befinden sich gleichzeitig auf den selben Straßen und teilen sich die Fahrbahn. Am Rande dieser Straßen befinden sich meist „Zelte“, in denen die Armen wohnen bzw. jene Armen, die wenigstens ein Zelt besitzen und dahinter kleine, ein- bis zweigeschossige Häuser.
Angesichts der immensen Menge von Menschen in diesem Land, das selbst quasi einen Kontinent darstellt, fragt man sich, wie überhaupt wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt erreicht werden kann. Und dennoch ist Indien inzwischen sogar zu einem Exporteur an Lebensmittel (Reis, Getreide etc.) geworden.

Das heutige Indien

Angesichts der vielen grünen Felder selbst in den Wüstengebieten Rajasthans – und das trotz mehrjähriger Trockenheit – kann man dieser Information auch durchaus Glauben schenken. Leider ist die Lager- und Verteilerkapazität Indiens dermaßen miserabel, dass bis zur Hälfte der eingelagerten Grundnahrungsmittel von Ratten aufgefressen wird. Im übrigen dürfte die Zuteilung von Reis und Getreide an die Armen vor allem parteipolitisch organisiert sein, so dass es trotz ausreichender Nahrungsmittel extreme Armut gibt.
Was aber das heutige Indien – vor allem in den Augen der Weltöffentlichkeit – kennzeichnet, sind die ethnisch-religiösen Gruppen, insbesondere zwischen Hindus und den Moslems. Diese Auseinandersetzungen haben eine lange Tradition, seitdem muslimische Herrscher u.a. aus der Türkei und vor allem aus Afghanistan, gegen die Hindus Krieg geführt haben und Teile des Landes besetzt hielten. Die großen Prachtbauten Nord-Indiens zeugen ebenso wie die Forts, die Moscheen und die Grabmäler von dieser Herrschaft.

Ein Meisterwerk muslimischer wie hinduistischer Baukunst

Eines dieser Grabmäler ist das Taj Mahal, das Shah Jahan für eine seiner Frauen, die Königin Mumtaz Mahal, ab 1632 erbauen ließ. Es gehört zweifellos zu den bedeutendsten Baudenkmälern der Welt.
Bei mir aber hinterließ ein anderer Gebäudekomplex einen fast noch größeren Eindruck: Fatehpur Sikri. Zwischen 1571 und 1586 wurde diese Anlage von einer äußerst interessanten und fortschrittlichen Herrscherpersönlichkeit namens Akbar erbaut. Akbar war 13 Jahre alt, als er den Thron bestieg und als Mogul eine bedeutende politische und militärische Karriere begann. Was ihn aber besonders auszeichnete, war seine Liebe zur Kunst, zur Philosophie und zur Theologie – und das, obwohl er nie lesen und schreiben gelernt hat. Aber nicht nur die muslimischen Künste und Religionsgrundsätze haben Akbar fasziniert und gefesselt, sondern auch die hinduistischen und darüber hinaus die Einflüsse anderer Religionen und Kulturen.

Richtungsweisend

Und so war bzw. ist Fatehpur Sikri ein Meisterwerk sowohl der muslimischen als auch der hinduistischen Baukunst. Beide Stilrichtungen wurden hier in einer durchaus ansprechenden, leichten Architektur miteinander verbunden. Akbar versuchte ähnliches mit den Religionen und lud deren Vertreter ein, sich einerseits gegenseitig zu respektieren und andererseits an einer gemeinsamen Religion zu arbeiten. Auch ein Vertreter der katholischen Kirche war zu diesem Unterfangen eingeladen und nahm an den Gesprächen teil.
Leider scheiterte Akbar mit seinen guten Ideen. Einerseits verließ er Fatehpur Sikri nach nur 15 Jahren – angeblich wegen der Schwierigkeiten mit der Wasserversorgung – und kehrte in das nahegelegne Agra zurück. Andererseits wurde seine Anregung zur Religionszusammenführung nicht aufgegriffen. Dennoch hatte er nachhaltige Auswirkungen. Denn der Muslim Akbar war Zeit seines Lebens ein aktiver Förderer hinduistischer Kultur, vor allem der Dichtung, und ein Bewahrer hinduistischer Tempel. Seinen Geist und seine Einstellung, seinen Respekt und seine Toleranz als die Grundlagen erfolgreicher politischer Systeme anzusehen, sollte nicht nur dem heutigen Indien, sondern der ganzen Welt ein Vorbild sein.

Wien, 1.1.2003