Die Hearings haben begonnen

Die Anhörungen der KommissarInnen bewirken, dass der europäischen Öffentlichkeit die Anschauungen und Fähigkeiten der Kommissionsmitglieder etwas klarer werden.
Die erste Woche der Anhörungen der zukünftigen Kommissare im Europäischen Parlament ist vorbei. Wie zu erwarten war, gab es recht unterschiedliche Präsentationen seitens der KandidatInnen.

Brillanter Verheugen

Brillant war Günther Verheugen. Er ist ein politischer Kopf, ist sachlich beschlagen, witzig und selbstbewusst, aber nicht überheblich. Und er hat für einen Industriekommissar der EU die richtige Mischung aus marktwirtschaftlichem und sozialem Denken. Zweifellos hätten sich manche von uns mehr sozialdemokratische Stichworte gewünscht, aber Verheugen wollte nicht die Illusion wecken, dass der Strukturwandel grundsätzlich verhindert bzw. wesentlich abgeschwächt werden könnte.

Enttäuschende Kroes

Besonders enttäuschend war hingegen die Präsentation von Nelly Kroes. Sie war schon bald nach ihrer Nominierung aufgrund ihrer zahlreichen Verbindungen zu privaten Unternehmungen (teils im Vorstand, teils im Aufsichtsrat) in Kritik geraten. Nicht, dass sie wirtschaftliche Erfahrung in ihrem Aufgabenbereich Wettbewerbspolitik mitbringt, ist das Problem. Es besteht noch mehr die Gefahr, dass sie in manchen Wettbewerbsentscheidungen, die sie zu treffen hat, befangen ist und die Entscheidung abgeben müsste. Aber auch ihre inhaltliche Präsentation war aus meiner Sicht äußerst schwach. Überdies gab es massive Vorwürfe einiger Abgeordneten, die sogar ins Kriminelle gingen, die aber entweder schon gerichtlich geklärt sind oder für die es keine Beweise gibt. Jedenfalls hinterließ Kroes´ Auftreten einen schalen Nachgeschmack, und so gab es seitens des zuständigen Ausschusses zwar keine negative, aber eine durchaus kritische Bewertung.

Mittelmäßiger Kovacs

Mehrere Kommissarsanwärter lieferten eine Performance mittlerer Qualität, so auch der von mir sehr geschätzte ungarische Außenminister Laszlo Kovacs. Er war bzw. ist noch immer dermaßen in die inner-ungarischen politischen Entscheidungen verstrickt, dass er nicht genügend Zeit fand, sich auf das für ihn völlig neue Gebiet, die Energiepolitik, ausreichend vorzubereiten. Schade, denn auch er wird einige kritische Bemerkungen in der Beurteilung durch den Ausschuss abbekommen, aber ich gehe dennoch davon aus, dass Kovacs ein guter Kommissar werden wird. Zumindest bringt er ein großes Ausmaß an politischer Erfahrung mit.

Nachsicht oder Bauchweh?

Machen diese Anhörungen Sinn? Nun, ablehnen können wir nur die Kommission insgesamt. Wir könnten allerdings den Kommissionspräsidenten auffordern, eine/n KommissarIn auszutauschen oder seinen/ihren Geschäftsbereich („Ministerium“) zu wechseln – dies wäre beispielsweise im Falle von Nelly Kroes angebracht. Aber jedenfalls bewirken die Anhörungen, dass der europäischen Öffentlichkeit – soweit darüber berichtet wird, und dies ist in Österreich nicht sehr umfangreich – die Anschauungen und Fähigkeiten der Kommissionsmitglieder etwas klarer werden.
Für uns Sozialdemokraten ergibt sich das Problem, dass wir einige sehr gute KommissarInnen bekommen werden, die generelle Ausrichtung der Kommission allerdings sehr wirtschaftsliberal sein wird. Das war ja auch der Grund für die Ablehnung von Kommissionspräsident Barroso. Allerdings ist dies auch das Resultat der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament, jedenfalls europäisch gesehen. Es ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, dass wir auch die Kommission insgesamt ablehnen werden. Ob wir uns allerdings enthalten oder mit Nachsicht und Bauchweh zustimmen werden, ist noch offen!
Wien, 30.9.2004