Die Schmutzkübelkampagne

Politik und der Beruf des Politikers werden heute, vor allem in Österreich, aber auch in einigen Nachbarländern, zum Teil nicht nur nicht geschätzt, sondern generell geringgeschätzt und permanent in der Öffentlichkeit abgewertet.
Ich bin auf kurzer Zwischenstation in Rom. Heute abends um 20.00 Uhr angekommen, fliege ich morgen früh weiter nach Algerien, wohin ich zur Wahlbeobachtung eingeladen worden bin. Am 8. April wird in Algerien ein neuer Präsident gewählt.

Spitzeleien

Die vergangenen Tage, ja Wochen waren zweifellos eine Zeit der permanenten Diskussion über die Spesenregelungen im Europäischen Parlament. Als österreichische SozialdemokratInnen haben wir immer klar für eine andere Regelung Stellung bezogen. Wir haben das bestehende System aber nie dazu verwendet bzw. missbraucht, um uns zu bereichern – wie das derzeit generell den Abgeordneten vorgeworfen wird.
Die laufende Debatte beruht auf einer intensiven Spionagetätigkeit unseres Kollegen Hans Peter Martin. Ich habe mich bisher bemüht, soweit das möglich war, öffentliche Stellungnahmen zu Hans Peter Martin zu vermeiden. Ich wollte den bei manchen ohnedies bestehenden Eindruck, es handle sich um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen Martin und mir, nicht noch verstärken. Aber auch deshalb, weil es sich um keine politische Auseinandersetzung gehandelt hat. Durch die von Martin angewendete Methode – nicht um Missstände aufzudecken, sondern um eigentlich generell die Abgeordneten und ihre Tätigkeit zu verunglimpfen und damit der Demokratie auf europäischer Ebene Schaden zuzufügen – wird vor den bevorstehenden Wahlen insgesamt eine katastrophale Situation herbeigeführt.

Positive Bilanz

Man kann sich nie sicher sein, dass das eigene Verhalten richtig oder angemessen war. Aber wir haben trotzdem versucht, Dinge, die wir an diesem Europa verändern und die wir für Österreich in diesem Europa erreichen wollten, in den Vordergrund unserer Arbeit zu rücken. Und ob es der Kampf gegen sinnlose Tiertransporte oder für eine andere Verkehrspolitik war, der Kampf für Sicherheit und Frieden in Europa und in unseren Nachbarregionen, für eine sozial ausgewogene Erweiterung und eine effiziente Beschäftigungspolitik – all diese Auseinandersetzungen haben wir mit Ehrlichkeit, großer Anstrengung und, wie ich meine, auch entsprechendem Fleiß geführt.
Wir würden in diesem Sinn auch sehr gerne das Ergebnis unserer Arbeit der Öffentlichkeit zur Wahl stellen. Dazu sind wir aber noch gar nicht gekommen. Stattdessen müssen wir uns einer permanenten Verteidigung widmen, um die schlimmsten Vorwürfe zurückzuweisen und zu entkräften – wobei einige Medien an einer ausbalancierten und objektiven Darstellung der Angriffe von Martin und der eigentlichen Sachlage gar nicht interessiert sind.

Kein Leben in Saus und Braus

Man muss als Politiker zur Kenntnis nehmen, dass bestimmte Fragestellungen in den Vordergrund gerückt werden. Und ich verstehe durchaus, dass für viele Menschen bei uns und auch in anderen Ländern, die in einer schlechten sozialen und Einkommenssituation leben, die im Zuge der laufenden Debatte genannten Beträge geradezu Horrorsummen darstellen. Aber es wird eben nie dazu gesagt, was wir mit diesen Beträgen finanzieren müssen. Wir müssen einen zweiten Haushalt in Brüssel führen, müssen Hotelkosten begleichen, etc.
Niemand von uns lebt in Saus und Braus. Wir sind in unserer Tätigkeit vielmehr so zu beurteilen wie die Abgeordneten im österreichischen Parlament. Und wenn einigen EU-Abgeordneten vielleicht wirklich mehr übrig bleibt als einem österreichischen Parlamentarier, so muss berücksichtigt werden, dass österreichische Parlamentarier in der Regel einen „Brotberuf“ ausüben und so etwas zu ihrem Abgeordnetengehalt dazuverdienen und darüber hinaus die strapaziösen und zeitaufwendigen Reisen eines EU-Abgeordneten nicht auf sich nehmen müssen.

Die Leistung zählt!

Es geht aber nicht darum, zu klagen und Mitleid zu erhaschen. Jeder von uns übt jenen Beruf aus, den er oder sie sich selbst gewählt hat. Worum es dagegen sehr wohl geht, ist der Wunsch nach Fairness und nach einer gewissen Solidarität innerhalb der Partei, für die wir diese Tätigkeit ausüben und die uns auch für die Wahl durch die österreichische Bevölkerung nominiert hat.
Zweifellos lebt man in einer solchen Situation in einer unbestimmten Angst, weil man nie weiß, welche Unterstellungen und Vorwürfe noch folgen werden. Es ist unklar, was Hans Peter Martin alles abgehört hat – von privaten Gesprächen bis hin zu internen Besprechungen, deren Inhalte nicht unbedingt für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Das gilt übrigens für jeden von uns. Ich möchte gar nicht wissen, was alles Martin wo und wann gesagt hat. Entscheidend ist aus meiner Sicht aber nicht, was man in welcher Form über etwas gesagt hat, sondern vielmehr, welche Arbeit man geleistet hat. Aber da müssten sich einige ein bisschen mehr Zeit nehmen und sich bemühen, um beispielsweise bei den KollegInnen im Europäischen Parlament nachzufragen, welche Arbeit wir tatsächlich geleistet haben. Ich bin überzeugt, dass wir etwas vorzuweisen haben. Und zu Sechst hat gerade auch die sozialdemokratische Delegation – und das gilt im Großen und Ganzen auch für die anderen österreichischen KollegInnen – eine Leistung erbacht, auf die wir durchaus auch ein wenig stolz sein können.

Öffentliche Diffamierung

Politik und der Beruf des Politikers werden heute, vor allem in Österreich, aber auch in einigen Nachbarländern, zum Teil nicht nur nicht geschätzt, sondern generell geringgeschätzt und permanent in der Öffentlichkeit abgewertet. So werden auch in diesem Fall Fehler und Mängel eines Entlohnungssystems in den Mittelpunkt einer Kampagne gerückt und nicht als ein Element eines umfassenden Kataloges von Leistungen und Fehlern gesehen.
In diesem Sinn werden wir noch anstrengende Wochen vor uns haben. Ich hoffe, dass wir trotzdem die Chance bekommen, unseren umfassenden Rechenschaftsbericht der Öffentlichkeit darzulegen und zu präsentieren. Ebenso wie unser Programm, das wir uns für die nächsten Jahre vorgenommen haben.

Demokratiegefährdung

Auch wenn sich die Debatte in Österreich nun auf ein oder zwei Fragen konzentriert: Die europäische Diskussion und die europäischen Entscheidungsprozesse gehen weiter, und es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre. Es wäre katastrophal, wenn Europa aufgrund der unterschiedlich wahrgenommenen Probleme in den einzelnen Ländern zu einem Stillstand oder gar einem Verfall kommen würde. Und es wäre insbesondere extrem traurig, wenn die demokratische Ebene dieses Europas – die in erster Linie durch das Europäische Parlament repräsentiert wird – besonderen Schaden erleiden würde.
Für Regierungen wäre so etwas keine große Sache, manche sähen es vielleicht sogar gerne, wenn das Europäische Parlament in seiner Legitimität und Effizienz Schaden erleiden würde. Insgesamt ist das aus meiner Sicht aber eine extrem kurzfristige Schadensfreude, die man an Tag legen kann. Das nächste Mal sind dann die Regierungen selbst an der Reihe. Die Legitimierung und demokratische Basis für Entscheidungen ist zweifellos auch auf der nationalen Ebene für die Regierungen gegeben. Aber das allein genügt nicht, um diesem Europa auch insgesamt eine stärkere Legitimität und demokratische Basis zu geben. Und genau das ist das Parlament, das von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten gewählt wird – wenn auch mit zugegeben zu geringer Beteiligung, unter der wir Abgeordneten in besonderem Maße leiden. Durch einseitige Darstellungen, wie sie derzeit stattfinden, wird die Wahlbeteiligung allerdings sicher noch viel weiter hinuntergedreht werden.

Populismus ist kein politisches Programm

Dennoch, ein Aufgeben – das einem manchmal schon in den Sinn kommt – würde letztlich all jenen Recht geben, die einer Kampagne beipflichten, bei der Schmutz über all jene gegossen wird, die aufrechte Arbeit leisten. Und das widerstrebt mir eigentlich. Wenn ich eines in der Politik – insbesondere in meiner Zeit im Wiener Rathaus – gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass absolute Korrektheit notwendig ist, um mit Fug und Recht nicht nur politische Inhalte vertreten zu können, sondern auch für manche nicht so angenehme Dinge einzutreten.
Der Populismus und das Verfolgen populärer Maßnahmen und Ziele war nie meine Sache, vielleicht habe ich das ja auch viel zu wenig im Auge gehabt. Vielleicht war ich zu stur in der Verfolgung von Zielsetzungen, die mir als wichtig und richtig erschienen sind. Aber ich meine doch, dass Politik zwar danach trachten muss, Unterstützung zu erfahren und eine gewisse Popularität zu haben – aber nur populär zu sein, ist ein bisschen zu wenig Inhalt.

Sich der Wahl stellen

In diesem Sinn habe ich mir persönlich vorgenommen, mich durchaus der Wahl zu stellen. Es mag sein, dass eine Grenze der Belastbarkeit oder der Akzeptanz für mich selbst erreicht wird, wenn die Attacken zu persönlich und zu infam werden, aber es müsste dennoch möglich sein, jene Attacken, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie noch kommen werden, so abzuwehren, dass man seine moralische Integrität und sein Selbstbewusstsein bewahrt.
Jedenfalls habe ich das für mich vor. Das bedeutet aber nicht, dass man alles und jedes schluckt, es heißt auch nicht, dass man sich nicht manchmal mehr Unterstützung aus der Sozialdemokratie wünschen würde. Für mich bedeutet es vor allem, offensiv zu bleiben, manche Attacke zu überwinden und durchzutauchen, aber letztendlich mit einem offensiven Konzept für die nächsten Jahre vor die Wählerinnen und Wähler zu treten.
Rom, 5.4.2004