Ein anderes Amerika

Ein Sieg der Demokraten bei den nächsten Wahlen wäre sehr zu befürworten. Es würde dann doch einiges leichter gehen.
Der heutige Tag begann mit einem Treffen im National Democratic Institute, NDI, wo gemeinsam mit der Friedrich Ebert Stiftung eine Diskussion zu Fragen der islamischen Länder sowie der demokratischen Entwicklung in diesen Länder und auch zur Mittelostproblematik organisiert wurde.

Washington-Projekt

Alle Anwesenden haben übereingestimmt, dass die Bush-Konzeption des Weiteren Mittleren Ostens und der Demokratisierung in diesem Raum leider gescheitert ist. Und zwar deshalb, weil sie von Bush falsch angelegt worden ist. Es ging nicht um die Unterstützung für die lokalen Kräfte, sondern eher um ein „Washingtonprojekt“, also ein Projekt der Vereinigten Staaten und der Bushregierung. Das Scheitern war vorprogrammiert.
Natürlich hat die Demokratisierung in diesem Raum ohnedies einige Schwierigkeiten zu überwinden. Auf der einen Seite gibt es sehr autoritäre Regierungen, die von Demokratie nichts wissen wollen. Auf der anderen Seite liegt den bestehenden islamistische Strömungen die Demokratie nicht besonders am Herzen, obwohl es auch unter diesen einige gibt, die tendenziell in Richtung Demokratie gehen wollen – das sich etwa bei unserem Besuch bei den Moslembrüdern in Kairo gezeigt. Schon allein, um die Möglichkeit zu haben, sich politisch zu betätigen.

Islamisierungstendenzen

Bei den verschiedenen Rednern kam zum Ausdruck, dass viele Menschen sich deshalb den islamistischen Bewegungen anschließen, weil sie dort die Möglichkeit haben, sich frei zu äußern – zum Beispiel in den Moscheen. Dies sei der Mangel einer Alternative im normalen politischen Leben. Viele Parteien, vor allem aus dem laizistischen, sekulären Lager, würden von den Regierungen stark unterdrückt.
Ich sehe genau dieses Problem in einigen Ländern wie in Ägypten und Algerien. Wahrscheinlich gibt es in Algerien mehr Demokratie als in Ägypten. Jedenfalls setzen die unterschiedlichen autoritären Regierungen Schritte in Richtung der islamischen Bewegungen – man könnte das unter dem Begriff der Islamisierung subsumieren. Auf diese Weise versuchen sie, den islamistischen Bewegungen das Wasser abzugraben, ohne dabei Schritte in Richtung Demokratie setzen zu müssen. Das bedeutet in der Konsequenz eine stärkere Betonung des Vorrangs und der Dominanz des Islams gegenüber anderen Religionen bzw. gegenüber dem Laizismus.

Verbindung von Demokratie und Islam

Parallel dazu gibt es nach wie vor äußerst autoritäre Strukturen, die sich vor allem auf das Militär als machterhaltende Institution stützen. Umso mehr gilt es vor allem in der Türkei darauf zu achten, dass es zu einer Reformstruktur kommt, die die Grundsätze des laizistischen Staates aufrechterhält. Allerdings müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es Schritte in Richtung erhöhter Flexibilität und Akzeptanz islamischer Ausdrucksformen gibt, zum Beispiel das Tragen des Kopftuchs auch im öffentlichen Raum. Trotzdem müssen wir darauf drängen, dass auch die anderen Religionen eine stärkere Bewegungsfreiheit in der Türkei bekommen.
Wenn dem so ist und wenn eine stärkere demokratische Bewegung in Richtung Fallenlassen des Paragraphen 301, jenes Paragraphen, der die Meinungsvielfalt und -freiheit einschränkt, hinzukommt, dann kann sich ein zwar komplexer und fragiler, aber doch eigener Weg der Verbindung von Demokratie und Islam entwickeln. Ein solcher Weg kann der starken Dominanz des Islams als Religion der meisten Menschen der Türkei, aber auch der Religionsfreiheit und der Trennung zwischen Staat und Religion gerecht werden. Dieses Modell könnte generell ein Beispiel für andere islamische Staaten sein, wenngleich ich in diesem Zusammenhang den Iran ausklammere.

Veränderung der Landkarte

Wir haben im NDI auch über den Nahen Osten diskutiert, wobei sich diese beiden Themenschwerpunkte vermischt haben. Grundlage unseres Gesprächs war ein Referat von Dr. Mustafa Barguti. Er war Minister in der Einheitsregierung, solange es sie noch gegeben hat, und ist ein Kritiker der Fatah, kommt allerdings nicht von der islamistischen Seite. Barguti ist auch ein Kritiker der Oslo-Abkommen, weil er sie für nicht durchführbar gehalten hat. Er hat diese aber nicht aus einer fundamentalistische oder gar terroristischen Sicht kritisiert, sondern aus einer sehr offenen, aber realistischen Position. Leider hat er Recht behalten.
Eindrucksvoll war seine Darstellung der Veränderung der Landkarte hinsichtlich Israel und Palästina. In mehreren Schritten rief er uns in Erinnerung, wie man von dem, was der Teilungsplan der UNO vorgebracht hat abgerückt ist zu den Grenzen von 1967, zu dem, was dem Osloabkommen zugrunde liegt und zu dem, was heute Faktum ist. Hinzu kommt, dass auch bei der jetzigen Landkarte die kleinen Enklaven – oder wie man auch in Anlehnung an die Südafrikanische Realität in der Apartheid gesagt hat, die verschiedenen Bantustans – die übrigbleiben würden, nach wie vor durch Siedlungsaktivitäten gefährdet sind.

Anspruch und Wirklichkeit

Die meisten von uns waren nicht sehr optimistisch, was die geplante Nah-Ostkonferenz in Annapolis betrifft. Wir haben die große Befürchtung, dass dabei, abgesehen von allgemeinen Erklärungen, nichts herauskommen wird. Trotzdem hoffen wir, dass dem nicht so ist. Realistisch gesehen könnte das ganze nur funktionieren, wenn es zu einem Stopp der Siedlungsaktivitäten und des Baues der Mauer käme, sodass nicht weitere Realitäten zu Ungunsten der Palästinenser und zu Gunsten Israels gesetzt werden.
Der nächste Schritt müsste die Implementierung eines Plans zur Schaffung zweier Staaten sein: Israel, das ja bereits besteht, und Palästina. Es ist heute, angesichts dessen, was an Realität geschaffen wurde, kaum vorstellbar, dass es zu einem lebensfähigen palästinensischen Staat kommt – auch wenn wir das in unseren Resolutionen im Europäischen Parlament immer wieder fordern. Die heutige Realität sieht völlig anders aus.

Der einzige Sozialist

Nach unseren Diskussionen im NDI fuhren wir zurück zum Kapitol. Einige trafen dort Repräsentanten des sogenannten progressiv caucasus der Demokratischen Partei. Ich selbst besuchte mit einer Kollegin Senator Berry Synders. Er war Demokrat und bezeichnet sich heute als Sozialist. Er ist der einzige sozialistische Senator. Seine Vorstellungen sind keineswegs radikal: Er wünscht sich eine verstärkte Aktivität in der Umwelt- und Gesundheitspolitik. Aus Synders Sicht haben die Demokraten gute Ansätze und Pläne. Wenn allerdings Konzerne und großen Firmen Einwände erheben, führe das umgehend zu einem Rückzieher der Demokraten, weil sie sich sehr stark an den großen Konzernen orientieren würden, von deren Finanzierung abhängig seien, etc.
Das entspricht sicherlich der Realität in den USA und wiegt hier noch viel schwerer als in Europa. Dennoch: Ein Sieg der Demokraten bei den nächsten Wahlen wäre sehr zu befürworten, das sieht auch Snyders so. Es würde doch einiges leichter gehen. Und ohne sich Illusionen zu machen, wäre es doch ein anderes Amerika, das mit den Demokraten im Senat und im Repräsentantenhaus sowie einem Demokratischen Präsidenten agieren würde. Ob es so kommen wird, steht in den Sternen. So unbeliebt die Bush-Regierung auch ist, so unsicher ist der Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahlen. Wie mehrere in den Debatten der letzten Tage immer wieder gezeigt haben: Die Demokraten sind im Stande, ihre eigenen Wahlchancen noch in letzter Minute zu vermasseln. Ich hoffe, sie können diesmal von dieser Kompetenz ablassen.

Washington, 31.10.2007