Ein deprimierender Tag im Nahen Osten

Die Auseinandersetzungen im Nahen Osten zeigen mehr als deutlich, dass Gewalt und militärische Stärke das eigentliche Problem nicht lösen können – weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Die einzige Chance, die besteht, sind Verhandlungen.
Für Ende April/Anfang Mai war ein Besuch der Delegation für die Beziehungen mit dem palästinensischen Legislativrat des Europäischen Parlaments in Palästina anberaumt. Dieser Termin kam mir sehr ungelegen, weil ich gerne mit Freunden des Bezirks an der SPÖ-Maikundgebung teilgenommen hätte.

Zusammenarbeit – ja oder nein?

Angesichts der kritischen Lage in Palästina wollten wir aber seitens der Fraktion im Europaparlament herausfinden, was wir untenehmen können, um die Situation zu verbessern. Und wir wollten ausloten, ob wir mit der neuen Einheitsregierung, die aus den verschiedensten politischen Kräften gebildet worden ist, Kontakt aufnehmen und die EU insgesamt dazu drängen sollten, mit dieser Regierung zusammenzuarbeiten. So habe ich mich letztendlich doch dazu entschlossen, an dieser Reise teilzunehmen.
Leider ist es noch dazu einem traurigen Zwischenfall gekommen, sodass ich meinen Aufenthalt in Palästina vorzeitig abbrechen muss: Ivica Racan, der Vorsitzende der kroatischen Sozialdemokraten und ehemalige Ministerpräsident, ist gestorben – zwar nicht überraschend, da er seit längerem schwer erkrankt war. Ich werde trotzdem meine Reise in den Nahen Osten verkürzen und morgen nach Zagreb fliegen, um an den Trauerfeierlichkeiten für Ivica Racan teilzunehmen.

Sture Haltung der EU

Ich habe also nicht viel mehr als einen Tag in Palästina verbracht. Allerdings einen Tag, der meine Empfehlungen bzw. Schlussfolgerungen maßgeblich beeinflusst hat. Sonntagabend war ich von Wien nach Tel Aviv geflogen, wo ich gemeinsam mit einer belgischen Kollegin der Europäischen Volkspartei nach Mitternacht angekommen bin. Wir fuhren mit dem Taxi ins American Colony Hotel in Ostjerusalem.
Heute Früh ging es zunächst zur Delegation der EU-Kommission in Ostjerusalem, wo wir ein erstes Briefing hatten. Schon dort hat sich herauskristallisiert, dass die überwiegende Mehrheit unserer Delegation, die aus verschiedenen Fraktionen zusammengesetzt war, die sture Haltung des Europäischen Rates, aber auch der Kommission, mit der neuen palästinensischen Regierung nicht zusammenzuarbeiten, nicht teilt. Das Argument, dass dieser Regierung auch Vertreter der Hamas angehören und diese nicht zu 100% den Standpunkt nicht nur der EU, sondern Israels und Amerikas übernehmen, ist eigentlich inakzeptabel.

Erfüllungsgehilfen

Es hat wenig Sinn, mit Vertretern der Kommission, die weisungsgebunden sind und das tun müssen, was von der Kommission vorgeschlagen wird, eine politische Diskussion zu führen. Die Kommission muss mehr oder weniger das umsetzen, was der Rat beschließt. Und im konkreten Fall ist das vor allem das, was Amerika möchte, und das wiederum ist im konkreten Fall das, was Israel möchte.
Israel hat zweifellos Anspruch auf Sicherheit und auf die Berücksichtigung seiner Interessen. Aber Israel hat keinen Anspruch darauf, dass gerade seine Linie zu 90%, 95% oder gar 100% vertreten wird. Noch dazu, wenn wir eigentlich zu der Erkenntnis kommen müssen, dass die kurzsichtige Interessensvertretung der israelischen Regierung nicht wirklich dazu beiträgt, Frieden zu schaffen. Indirekt verursacht sie vielmehr die nach wie vor existierende Unsicherheit und Infragestellung der Sicherheit in Israel mit. Doch dazu später.

Eingemauert

Nach dem Gespräch mit der Europäischen Kommission fuhren wir nach Ramallah. Die Anreise dauerte diesmal wesentlich länger als sonst. Es wurden Grenzbefestigungen ungeheuren Ausmaßes errichtet – Mauern, Stacheldraht, etc. Insgesamt werden die PalästinenserInnen immer mehr eingemauert, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das hat nicht nur mich extrem betroffen gemacht.
Das erste politische Treffen fand mit Azzam el-Ahmad, dem stellvertretenden Premierminister und Chef der Fatah im palästinensischen Parlament, statt. Azzam el-Ahmad ist ein erfahrener Politiker der Fatah. Er hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung eine Einheit ist und dass die von der Hamas gestellten Minister innerhalb der Regierung eigentlich keinen großen Einfluss haben. Vor allem können sie für ihre Ressorts relevante Entscheidungen nicht alleine treffen. Die Regierung entscheidet immer kollektiv.

Bei Fatah-Chef Azzam el-Ahmad

Trotzdem: Der Entscheidungsprozess als solches gestaltet sich schwierig. Der Ministerpräsident residiert in Gaza, das er nicht verlassen kann, während der stellvertretende Regierungschef der Fatah und die meisten Minister in Ramallah stationiert sind. Die Kommunikation muss also über Telekommunikationseinrichtungen erfolgen. Im Übrigen ist beispielsweise der Justizminister wie einige andere Minister nicht direkt Mitglied der Hamas. Sie sind vielmehr von der Hamas nominiert worden und anerkennen etwa, dass der Status von Frauen bei den Palästinensern gegenüber dem übrigen arabischen Raum eine wesentlich stärkere Rolle spielt.
Azzam el-Ahmad teilte uns mit, dass sich auch die Hamas-Minister unmissverständlich gegen jüngste Attacken gegen Internetcafes im Gazastreifen ausgesprochen haben. Auf meine Frage, wie weit die Fatah den Reformprozess vorangetrieben hat, um auch in einer besseren Wettbewerbssituation gegenüber der Hamas zu stehen, antwortete er allerdings ausweichend. Er hat stattdessen darauf hingewiesen, dass in den einzelnen Ortsgruppen und Sektionen der Fatah durchaus intensiv diskutiert wird und dass die Fatah auch wieder Gewinne verzeichnet, etwa bei Wahlen auf der Hochschule und in anderen Gremien. Azzam el-Ahmad geht davon aus, dass die Hamas nicht mehr in diesem Umfang gewinnen würde, wenn heute gewählt werden würde.

Rückhalt für die Einheitsregierung

Nach dem Treffen mit dem zweifellos versierten und eloquenten stellvertretenden Ministerpräsidenten und Chef der Fatah ging es ins Parlament, wo wir vom stellvertretenden Präsidenten und den einzelnen Fraktionsführern empfangen wurden. Der Präsident des Parlaments ist nach ja wie vor im israelischen Gefängnis inhaftiert – ein absolut unhaltbarer und inakzeptabler Zustand. Israel ist allerdings nicht bereit, die demokratische Entscheidung, die in Palästina getroffen worden ist, zu akzeptieren.
Nun, die Diskussion hat nicht viel Neues gebracht. Es wurde uns gegenüber der Wunsch aller Fraktionsführer bekräftigt, der Regierung, der allerdings nicht alle Fraktionen angehören, Rückhalt und Unterstützung zu geben. Für alle Beteiligten steht fest, dass das die einzige Chance ist, um das bereits um sich greifende Chaos, insbesondere im Gaza, einzudämmen. Die bestehende Einheitsregierung, die insbesondere auf Druck des Westens und vor allem der Europäer gebildet worden ist, ist tatsächlich die einzige Chance, in Palästina wieder Stabilität herbeizuführen. Wer das Gegenteil möchte, muss dafür sorgen, dass die Regierung scheitert. Und das würde bedeuten, dass die sich abzeichnenden mafiösen Strukturen, insbesondere im Gazabereich, sich weiter entwickeln können.

Ein Fallbeispiel

Ein Zeichen dafür ist zum Beispiel die jüngste Entführung des britischen Journalisten Alan Johnston. Er wurde von einer Großfamilie mit mafiösen Tendenzen entführt, ohne politische Hintergründe, primär, um eine hohe Geldsumme zu bekommen und eventuell auch andere Interessen der Familie durchzusetzen.
Dieser Vorfall hat nichts mit der Hamas oder den alltäglichen politischen Auseinandersetzungen zu tun. Es würde aber permanent auf der Tagesordnung stehen, wäre die Regierung mangels politischer, moralischer und finanzieller Unterstützung unfähig, im Interesse der Palästinenser zu agieren – was derzeit Israel, Amerika und im Schlepptau von Amerika leider auch Europa verhindern.

Internationale Forderungen erfüllt

Mittags traf ich bei einem Arbeitsessen mit einem sozialdemokratischen Kollegen einen Vertreter eines Forschungsinstitutes. Auch er zeigte sich überzeugt, dass es absolut notwendig wäre, die palästinensische Regierung zu unterstützen. Er versicherte uns, dass die Regierung alle wesentlichen Forderungen, die vor allem auch von der internationalen Gemeinschaft gestellt worden sind, erfüllt hat.
Man wolle einen Staat in den Grenzen von 1967, also in jenen Grenzen, die auch das internationale Recht bzw. die Beschlüsse der Vereinten Nationen als die Grenzen von Israel anerkennen. Es werde zwar nicht klar formuliert, dass man Israel und einen palästinensischen Staat in diesen Grenzen haben will. Aber man spreche explizit vom palästinensischen Staat, was eigentlich impliziere, dass es auf der anderen Seite einen anderen Staat gibt – Israel. Man bekenne sich zu allen internationalen Vereinbarungen, etwa hinsichtlich der PLO, also der überstaatlichen Behörde, die sowohl die palästinensischen Gebiete als auch die die außerhalb dieser Gebiete lebenden palästinensischen Flüchtlinge vertritt. Und man beauftrage Mahmoud Abbas, den palästinensischen Präsidenten und Präsidenten der PLO, Friedensverhandlungen zu führen und erkläre sich bereit, die Gewalt, wo immer es geht, zu verhindern.

Gemeinsamer Willen zum Frieden ist da

Die Kritik unseres Gesprächspartner lautete zusammengefasst: Obwohl all diese Bedingungen erfüllt wären, sei man, leider auch seitens Europa, nicht bereit, die palästinensische Regierung anzuerkennen. Und das sei absolut unverständlich und führe die Regierung lediglich in die Isolation. Wenn Europa zudem die Position einnähme, nur mit ausgewählten Ministern, etwa mit den unabhängigen und den Fatah-Ministern, zu sprechen, dann sei das absolut grotesk, denn es gäbe eine gesamte Regierung und man müsse mit allen sprechen. Andernfalls würde das Land nur immer mehr gespaltet.
Alle Meinungsumfragen würden deutlich belegen, dass es einen gemeinsamen Willen zum Frieden gibt – sowohl in Israel als auch in Palästina. Und genau dieses Bestreben müsste von Europa auch entsprechend unterstützt werden.

Zwickmühle

Ein Ergebnis der von dem Forschungsinstitut durchgeführten Untersuchungen sei außerdem, dass die Palästinenser dann Fatah wählen, wenn sie glaubwürdig vermittelt, dass sie den Frieden will und diesen auch herbeiführen kann. Prinzipiell gingen die Menschen demnach davon aus, dass die Fatah den Frieden will und ihn auch bringen kann. Wenn das allerdings nicht möglich sei, weil Israel einfach nicht bereit ist, einen vernünftigen Friedenskompromiss zu schaffen, dann würden sich die PalästinenserInnen von Fatah abwenden und Hamas wählen. Eine Hamas mit einer sozialen und moralischen Struktur, die den Menschen insbesondere im Fall der Unsicherheit und des Chaos mehr Rückhalt bieten würde als die Fatah.
Wenn die Fatah keinen Frieden bringen könne, rücke zusätzlich die Frage der Korruption mehr in den Vordergrund. Da sei bereits vorher bekannt gewesen. Aber wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, dass Fatah den Frieden ohnehin nicht umsetzen könne, weil Israel ihn verweigert, dann bliebe ihnen nichts anderes übrig, als eine andere politische Kraft zu wählen. Eine Partei, die weniger korrupt sei und zumindest in einigen sozialen Aspekten mehr auf die Bedürfnisse der einfachen Bevölkerung eingehe. Alles, was wir schon vorher gehört hatten, hat sich in diesem Gespräch mit einem der Chefexperten im Bereich der Sozial- und Meinungsforschungsforschung in den palästinensischen Gebieten bestätigt.

Bei den Hamas-Vertretern

Unmittelbar nach diesem Gespräch trafen wir mehrere Minister, die entweder der Hamas bzw. der „Bewegung für Reform und Veränderung“, wie sich die Partei bei ihrer Kandidatur genannt hat, angehören oder die von ihr nominiert worden sind. Unter ihnen waren der Unterrichtsminister, der Minister für die lokale Verwaltung, der Justiz- sowie der Planungsminister.
Auch diese vier Politiker haben das bestätigt, was bereits mehrfach gesagt worden ist: Die Regierung bekennt sich zum Friedensprozess und zu einem Staat in den Grenzen von 1967, was den Verzicht des Anspruches auf die übrigen Gebiete beinhaltet. Ein Wermutstropfen besteht zugegebenermaßen darin, dass diese Anerkennung nicht für alle politischen Bewegungen gilt. Einer politischen Bewegung kann man allerdings nichts vorschreiben, einer Regierung hingegen sehr wohl.

Schwierig, aber nicht unmöglich

Es wäre zweifellos ein schwierigern Prozess, eine allfällige Vereinbarung, die beispielsweise von Abbas mit den Israelis getroffen wird, der Bevölkerung entsprechend zu vermitteln. Es müsste ein Referendum stattfinden, darüber wurde ja in Israel bereits mehrfach diskutiert. Angesichts der aktuellen Situation und der tagtäglichen Erniedrigung, die den Menschen hier im Alttag widerfährt, ist ein solches Referendum ohne jeden Zweifel nur sehr schwer zu gewinnen.
Trotzdem: Der eigentliche Erfolg, eine terroristische Bewegung bzw. eine politische Gruppierung, die einer terroristischen Bewegung nahesteht, dazu gebracht zu haben, die genannten Bedingungen anzuerkennen, würde zunichte gemacht, wenn wir jetzt die palästinensische Regierung hängenlassen würden.

Bei Außenminister Ziad Abu Amr

Wir trafen schließlich auch Außenminister Ziad Abu Amr, der sich für unser Gespräch viel Zeit genommen hat. Er ist ein äußerst angenehmer und sehr ernsthafter Gesprächspartner. Ich bin sehr froh, dass Österreich, konkret Außenministerin Ursula Plassnik, sehr bald nach Bildung der neuen palästinensichen Regierung Ziad Abu Amr eingeladen hat, um mit ihm ein Gespräch zu führen. Vielleicht würden Österreich bzw. die österreichische Außenministerin noch weiter gehen – sie sollte das auch tun können. Aber leider sind weder die EU insgesamt noch einzelne KollegInnen europäischer Regierungen soweit. Auf Seiten des Europäischen Parlaments werden wir jedenfalls versuchen, unserer möglichstes zu tun.
Auch der palästinensische Außenminister betonte ganz unmissverständlich, dass die Regierung eine Einheit ist. Sie fordere daher auch jegliche Aufhebung von Blockade und Sanktionen. Es müsse mit allen Mitgliedern dieser Regierung gesprochen werden. Sie sei zudem die Regierung des palästinensischen Präsidenten Abu Mazen. Und sie sei vom Westen verlangt worden und sollte daher jetzt nicht im Regen stehen gelassen werden. Ziad Abu Amr betonte, dass die Regierung anerkennt und zum Ziel hat, dass die Sicherheit Israels mit der palästinensischen Unabhängigkeit verbunden wird und gleichzeitig geschaffen wird.

Quod erat demonstrandum

Nach dem Treffen mit Außenminister Abu Amr nahmen wir an einem Empfang einer Nichtregierungsorganisation teil, die die Tausenden Inhaftierten in israelischen Gefängnissen – unter ihnen auch Frauen und etwa 100 Kinder und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren – unterstützen, vor allem auch den bekanntesten Gefangenen Marwan Barghouti. Barghouti ist ein Kämpfer für eine friedliche Lösung. Er war auch ein revolutionärer Kämpfer, der vor allem bei der Jugend gut angekommen ist. Als ich jemanden gefragt habe, warum Sharon Barghouti eigentlich inhaftiert hat und ihm der Prozess gemacht wurde, lautete die aus meiner Sicht glaubwürdige Antwort: Sharon hat in Nachfolge seiner Vorgänger argumentiert, dass es auf palästinensischer Seite keine Gesprächspartner gibt. Und daher mußte man einseitige Maßnahmen setzen, wie den einseitigen Rückzug von Gaza, der den Weg ins Chaos bereitet hat.
Genau diese Haltung hat dazu geführt, jemanden, der Ansätze zu einem alternativen Führer in sich hatte und die Jugend in seinen Bann ziehen konnte, aber gleichzeitig auch für den Frieden eingetreten ist, also nicht als Terrorist abqualifiziert werden konnte, aus dem Weg zu schaffen und ins Gefängnis zu stecken, was beweisen soll, dass es eben keine Gesprächspartner gibt. Arafat hatte man ohnehin in seinem Hauptquartier kaserniert und es ihm verunmöglicht, sich in irgendeine Richtung zu bewegen. Und auch den neuen Präsidenten Abbas ließ man links liegen und erklärte ihn als zu schwach. Man hat sich auf Wahlen versteift, und diese haben der Hamas zum Sieg verholfen. Doch der Dialog mit der Hamas wurde verweigert.

Warum?

Mir ist bewusst, dass ich mit meiner Einstellung und mit meinen Aussagen auch auf heftige Kritik stoßen werde. Aber die Situation ist für mich unglaublich deprimierend und unverständlich. Ich kann nicht nachvollziehen, dass die Regierungen und Militärs eines Volkes, das durch über Jahrhunderte dauernde Diskriminierung und Verfolgung und zuletzt durch den unfassbaren Holocaust derart immenses Leid erfahren hat, so brutal gegen ein anderes Volk vorgeht.
Und ich kann nicht nachvollziehen, dass viele im Westen – aus Gewissenbissen über die eigenen Untaten – dieses Vorgehen mehr oder weniger akzeptieren und einseitigen Druck auf die Palästinenser ausüben. Auch wenn die Palästinenser keine Engel sind und terroristische Entwicklungen stattgefunden haben, die absolut verurteilt werden müssen, kann ich dieses Vorgehen nicht akzeptieren.

Bruno Kreisky fehlt

Genau in dieser Situation fehlt Bruno Kreisky. Er hat verstanden, wie gesellschaftliche Entwicklungen vor sich gehen. Er hat rechtzeitig erkannt, was getan werden muss. Und er hat seine KollegInnen, die eher zögerlich waren – wie etwa Willy Brandt – überredet, ja vielleicht sogar überzeugt, die Fatah zu integrieren. Wenn man allerdings ebendieser Fatah auf ihrem Weg vom Terrorismus zu einer politischen Gruppierung und Partei keine Chance gibt, etwas für die eigene Bevölkerung zu tun, kommt es eben zu der Gründung einer anderen Gruppierung wie der Hamas. Die Hamas ist zu Beginn von Israel als Alternative zur Fatah unterstützt worden und hat in der Folge jenen terroristischen Weg eingeschlagen, der nur allzu bekannt ist.
Nun bestünde die Chance, auch diese terroristische Hamas zu einer „normalen“ religiös-konservativen politischen Partei zu führen. Allerdings darf nicht das gleiche passieren, was im Fall der Fatah passiert ist – ihr gar keine Chance zu geben, sich in eine politische Partei zu transformieren und in einen politischen Wettbewerb einzutreten.

Winograd-Bericht

Erschwerend kommt hinzu, dass die israelische Regierung extrem geschwächt ist. Gerade in diesen Tagen ist der sogenannte Winograd-Bericht erschienen, der eine katastrophale Bilanz über das Versagen der Regierung unter der Führung von Ministerpräsident Ehud Olmert, Verteidigungsminister Amir Perez und Generalstabschef Dan Halutz bezüglich des Libanonkrieges zieht. Es wird ungeschminkt zum Ausdruck gebracht, dass diese Persönlichkeiten versagt und nicht bemerkt haben, dass Israel für diese militärische Auseinandersetzung gar nicht gerüstet ist.
Es stimmt mich traurig, dass zum Beispiel in einem Beitrag der Jerusalem Post nicht der Schluss gezogen wird, dass eine andere Art von Politik notwendig wäre, die nicht auf der vermeintlich militärischen Stärke liegt. Vielmehr wird im Gegenteil dargstellt, dass es auch schon vorher zu wesentlichen Fehlern gekommen ist: einerseits zum Fehler Baraks, sich aus Libanon zurückzuziehen, andererseits zum Fehler der Oslo-Vereinbarungen und des Rückzugs aus dem Gaza-Streifen. Die Libanon-Offensive sei letztlich deshalb gescheitert, weil man nicht genügend militärisch gerüstet gewesen ist.

Offensichtliche Verblendung

Die Verblendung, anzunehmen, das Problem sei rein militärisch zu lösen, ist aus meiner Sicht unfassbar. Es hat sich in Vietnam gezeigt, dass das unmöglich ist, ebenso wie im Irak, und auch in Afghanistan stößt man auf unglaubliche Schwierigkeiten. Und trotzdem glaubt man, man könne mit einem hochgerüsteten Militär alles niederbomben, was nicht ins Bild passt?
Jede Art der Entführung eines Soldaten oder eines Zivilisten und jede Art der Tötung ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Wenn man allerdings kurz überschlägt, wie viele Palästinenser, Libanesen und andere und wie viele Israelis getötet worden sind, dann ergibt sich ein völliges Ungleichgewicht. Auch wenn man noch mehr Menschen töten würde, würde das nicht mehr Sicherheit für Israel bringen. Es würde lediglich den Hass steigern und noch mehr Unsicherheit bereiten.

Wenig Hoffnung

Die Auseinandersetzungen im Nahen Osten zeigen mehr als deutlich, dass Gewalt und militärische Stärke das eigentliche Problem nicht lösen können – weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Die einzige Chance, die besteht, sind Verhandlungen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich in diesem Punkt angesichts des Verhaltens von Israel und der im Kern kaum veränderten Haltung der Bush-Regierung äußerst schwarz sehe. Hinzu kommen der Respekt des Gros der europäischen Regierungen vor der amerikanischen Position und ein Mangel an Eigenständigkeit der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik, insbesondere im Nahen Osten.

Tel Aviv, 1.5.2007