Ein Jahrestag für die Erweiterung

Trotz vieler Warnungen ist es bei der EU-Erweiterung um zehn neue Mitgliedsstaatennicht zu den befürchteten Katastrophen gekommen.
Am 1. Mai 2004 sind zehn neue europäische Länder der EU beigetreten: neben Malta und Zypern die drei baltischen und fünf mitteleuropäischen Länder. Und trotz vieler Warnungen ist es nicht zu den befürchteten Katastrophen gekommen.

Positive Bilanz

Unsere neuen Mitgliedsländer entwickeln sich gut und gerade Österreich profitiert von dieser Entwicklung. So haben die neuen Länder ein um 28 Prozentpunkte höheres Wachstum als die EU der 15 „alten“ Mitgliedsländer. Diese Länder zeichnet außerdem ein hohes Produktivitätswachstum aus. Und die Arbeitnehmerschaft verfügt zum Teil über eine ausgezeichnete Ausbildung.
Von diesen Faktoren hat gerade auch die österreichische Wirtschaft profitiert, die in den letzten Jahren äußerst stark in unseren Nachbarländern investiert hat. Das gilt insbesondere für den Banken- und Versicherungssektor, aber auch für andere Teile der Wirtschaft.

Der Pferdefuss

Der Pferdefuss der Entwicklung unserer Nachbarn ist die schwache Beschäftigungsentwicklung bzw. die auf hohem Niveau verbleibende Arbeitslosigkeit. Diese ist schon in den bisherigen Mitgliedsländern mit 8,1% sehr hoch. Mit 14,6% allerdings liegt sie in den acht kontinentaleuropäischen, neuen Mitgliedsländern noch deutlich über diesem Wert. Dabei besteht eine große Streuung zwischen Ungarn und Slowenien mit über 6% und der Slowakei mit 17,4% sowie Polen mit 19,6%.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich unsere Nachbarn um neue Arbeitsplätze und damit um zusätzliche Investitionen bemühen. Im Zuge dessen kommt es auch zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen aus den alten EU-Ländern, so auch aus Österreich in die neuen.

Integration vorantreiben

Wenn wir uns aber in einen gegenseitigen Abwerbe- und Abwehrkampf verstricken, dann werden wir weder die europäische Integration vorwärts bringen noch uns auf die internationale Konkurrenz, die aus China, Indien, etc. kommt, genügend vorbereiten können.
Die Integration unserer Wirtschaft und Gesellschaft geht nicht ohne Schmerzen vor sich. Aber wenn wir uns stärker den gemeinsamen Zielen widmen und der Union die entsprechenden Mittel in die Hand geben, wenn wir international geeint und gestärkt auftreten, dann könnten wir mehr für unsere Arbeitsplätze tun. So sollten die Wettbewerbsbedingungen fair gestaltet und vor allem ein Mindestmaß an Umweltschutz und Sozialrechten verlangt und werden – nicht nur in der EU, sondern weltweit.
Anläßlich des 1-Jahres-Tages der EU-Erweiterung habe ich KollegInnen aus den neuen Mitgliedsländern gebeten, einen kurzen Kommentar abzugeben.

MEP Edit Herczog/Ungarn

Das erste Jahr unserer Mitgliedschaft war zweifellos dem Lernen und Entdecken gewidmet – aber nicht nur. Parallel dazu begann schon in den ersten Tagen unseres Beitritts die harte Arbeit der effektiven Teilnahme in den EU-Institutionen.
Das Europäische Parlament ist sicherlich einer der besten Plätze, um die Arbeitsmechanismen zu beobachten und zu lernen, wie der konstruktive Ausgleich von miteinander im Widerspruch stehenden Interessen funktionieren kann – im Geiste der Solidarität, basierend auf gemeinsamen Prinzipien, Werten und Zielen.
Die bisher im Rahmen des Europäischen Parlamentes geleistete Arbeit hat uns in der Tat gelehrt, dass, so vielfältig, multikulturell und breit gefächert die EU und das EP im Speziellen sein können, wir eine große Familie bleiben, wo alle Interessen Aufmerksamkeit verdienen und auch erhalten, wo sich harte Arbeit immer lohnt und wo die ehrgeizigsten Ziele für all jene zu erreichen sind, die sich ehrlich und engagiert bemühen, sie zu erreichen. Es ist diese europäische Philosophie, welche ich versuche, in meiner Arbeit anzuwenden und die ich allen Abgeordneten ans Herz lege, ob neu oder alt, ebenfalls ihr eigen zu machen.

MEP Richard Falbr/Tschechische Republik

Der beste Beweis für die Zufriedenheit der Tschechen mit der Mitgliedschaft ihres Landes ist die Tatsache, dass in einem neuen Referendum viel mehr "Ja" sagen würden als sie es letztes Jahr getan haben. Ich hoffe wirklich, dass wir mit der Hilfe unserer wahren Freunde auch das letzte wichtige Hindernis überwinden werden: ein "Ja" für die Europäische Verfassung.

MEP Libor Rouček/Tschechische Republik

Tschechien in der Europäischen Union – eine Ein-Jahr-Bilanz
Im Mai vergangenen Jahres trat die Tschechische Republik der Europäischen Union bei. Viele Euroskeptiker aus den Reihen der tschechischen Kommunisten, Bürgerlichen Demokraten und anderen populistischen Gruppierungen malten bis zum letzten Zeitpunkt wortwörtlich den Teufel an die Wand. Nach dem Beitritt hätten Preise anwachsen sollen, die Wirtschaft hätte der härteren Auslandskonkurrenz nicht Stand halten können, die Situation der tschechischen Landwirte hätte sich verschlechtern sollen, die Arbeitslosigkeit hätte wachsen und das Lebensniveau sinken sollen. Wir hätten zu Bürgern zweiter Kategorie werden sollen und mehr in die Kasse der Europäischen Union zahlen als daraus beziehen sollen.
Wie sieht nun, nach einem Jahr der tschechischen EU-Mitgliedschaft, die Lage in der Wirklichkeit aus? Es ist eindeutig festzustellen, dass es der tschechischen Wirtschaft nie besser ging! Die Inflationsrate liegt bei 1,5% und wird voraussichtlich weiter sinken. Tschechien liegt so deutlich unter dem Durchschnitt der EU. (Niedrigere Inflationsrate weisen nur noch die skandinavischen Länder aus). Die tschechische Wirtschaft wächst, das BIP erreichte voriges Jahr 4% und auch für 2005 und 2006 sieht man ein ähnliches oder höheres Wachstum vor. Die tschechische Wirtschaft wird zu einer Exportwirtschaft, schon jetzt führen wir pro Einwohner mehr als z.B. Italien, Spanien, Großbritanien oder sogar Japan aus. Den Landwirten ging es auch nie besser – Fördermittel in Milliardenhöhe sowie Zugang zu den EU-Märkten sind dafür die Hauptfaktoren. Die Arbeitslosigkeit wächst keinesfalls, im Gegenteil sie sinkt allmählich und auch hier liegt die Tschechische Republik deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
Durch den Beitritt zur EU fielen viele unangenehme Hindernisse weg, wie z.B. beim Übergang der Grenzen. 2007 wird die Tschechische Republik auch zum Schengen-Raum beitreten, dann verschwinden auch die letzen Kontrollen der Personalausweise. Was die Öffnung der Arbeitsmärkte in den alten Mitgliedsstaaten anbelangt, taten dies bis jetzt Großbritanien, Irland und Schweden. Die bisherigen Erfahrungen beweisen, dass es zu keinen Flutwellen von billigen Arbeitskräften aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten gekommen ist. Im Gegenteil. Auch was den österreichischen Arbeitsmarkt betrifft, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die Ängste vor billigeren Arbeitern aus Tschechien oder der Slowakei durchaus unberechtigt sind. Etwas amüsiert konnte ich neulich in diesem Zusammenhang einen Bericht lesen, dass nun in Österreich viele Arbeitnehmer aus Ostdeutschland ihren neunen Job gefunden haben, weswegen sich wiederum die österreichischen Gewerkschaften anfangen Sorgen zu machen.
Die Bilanz des ersten tschechischen Jahres in der Europäischen Union fällt durchaus positiv aus. Wir verloren weder den tschechischen Rum, noch den mährischen Sliwowitz, noch den Olmützer Quarkkäse. Keine von den Ängsten, die von den Beitrittsgegnern geschürt worden waren, erwiesen sich als berechtigt. Nach dem Beitritt kommen noch mehr Auslandsinvestitionen ins Land, es entstehen neue Arbeitsplätze und das Lebensniveau der Bürger wächst. Wir verloren weder unsere Staatssouveränität noch nationale Identität. Dank der langfristigen pro-europäischen Politik der tschechischen Sozialdemokratie können die Bürgerinnen und Bürger in Tschechien bereits nach dem ersten Jahr in der EU eine positive Bilanz ziehen!

MEP Marek Siwiez/Polen

Ein Jahr danach
Das erste Jahr der EU-Mitgliedschaft Polens ist ein großer Erfolg gewesen – das kann ich mit Überzeugung sagen. Das bedeutet nicht, dass alles perfekt wäre oder dass es keinen Raum für Verbesserungen gäbe. Die positiven Auswirkungen unserer Mitgliedschaft haben aber sogar die optimistischsten Erwartungen übertroffen.
Aus einer ausschließlich makroökonomischen Sicht ist diese Aussage sogar noch zutreffender. Obwohl wir zu Beginn einige Steigerungen bei den Lebensmittelpreisen erlebten, erhielt die polnische Wirtschaft einen gewaltigen Auftrieb. Polens BIP stieg um 5,3 % in 2004 und ist dieses Jahr weiter am Wachsen, wenn auch nicht genauso kräftig. Die Arbeitslosigkeit hat endlich begonnen zu sinken, langsam, aber beständig. Zahlreiche Wirtschaftssektoren konnten sofort die Vorteile des größeren Zugangs zum europäischen Markt nutzen. In den letzten 12 Monaten stiegen die polnischen Exporte um über 30 % und zur selben Zeit konnten die Lebensmittelerzeuger ihre Verkäufe an die alten EU-Mitgliedsstaaten um 60 % ausweiten. In der Folge erzielte Polen einen Überschuss von einer Milliarde USD in seiner Außenhandelsbilanz.
Genauso bedeutend ist die Tatsache, dass sich all jene Ängste, die es bei den Menschen sowohl der alten als auch der neuen Mitgliedsstaaten gegeben hat, nicht bewahrheitet haben. Billige Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa haben nicht die EU-Länder überschwemmt, jene selbstverständlich, die sich dazu entschlossen hatten keine Übergangsbeschränkungen bezüglich der freien Bewegung der Arbeitskräfte zu verhängen. Auch gibt es keinen brain-drain der polnischen hochqualifizierten und fachkundigen Jugend. Auf der anderen Seite konnten polnische Betriebe und insbesondere die Agrarindustrie mit der westlichen Konkurrenz mithalten. Auch waren wir bis jetzt in der Abwicklung fast aller strukturellen Fonds erfolgreich – trotz der Befürchtungen hinsichtlich der Effizienz der lokalen polnischen Verwaltungen.
Aber die Vorteile der Erweiterung sind nicht nur einseitig – die Öffnung unserer Märkte für die alten Mitgliedsstaaten führte zu Firmenwachstum und damit zur Schaffung tausender neuer Arbeitsplätze. Somit hat sich die die Angst vor den negativen Auswirkungen der Firmendelokalisierung von den alten zu den neuen Mitgliedsstaaten nicht bewahrheitet. Selbstverständlich werden einige Betriebe nach Osten wandern, aber das Nettowachstum an Arbeitsplätzen in den westlichen Ländern ist offenkundig.
Hinsichtlich jener polnischer Populisten, die behauptet hatten, dass Polen und seine Bevölkerung seine nationale Identität verlieren würde, dass die Westeuropäer unser Land aufkaufen und wir unsere Unabhängigkeit verlieren würden, hat dieses Jahr Polens in der EU bewiesen, wie falsch sie gelegen sind.
Die größte Befriedigung ist für mich die Tatsache, dass all diese positiven Aspekte unserer ein Jahr alten Mitgliedschaft von der polnischen Öffentlichkeit wahrgenommen und geschätzt werden, einer Öffentlichkeit, die im Großen und Ganzen zufrieden mit unseren anfänglichen Erfahrungen mit der EU ist. Ich kann nur hoffen, dass sich die folgenden Jahre ähnlich erfolgreich gestalten werden.

MEP Justas Paleckis/Litauen

In Brüssel wissen alle, wenigstens annähernd, in welchem europäischen Land welch ein wirtschaftliches Wachstum aufzuweisen ist. Europaabgeordnete aus Litauen können mit erhobenem Kopf laufen. Das wirtschaftliche Wachstum meines Landes wird dem berühmten irischen Wachstumstempo ähnlich: durchschnittlich acht Prozent in den letzten fünf Jahren im Umfeld der Null Inflation. Das ist zum größten Teil deswegen, dass wir uns derzeit auf die EU Mitgliedschaft vorbereiteten und nun Mitglieder geworden sind.
Gewiß, der Rückstand von den führenden EU Mitgliedstaaten ist immer noch enorm. Aber vor fünf Jahren war das BSP pro Kopf in Litauen ein Drittel des EU Durchnitts, jetzt – ungefähr eine Hälfte. Wenn man solche Tempos hält, kann man den EU Durchschnitt in 15-20 Jahren erreichen.
Was hat sich in Litauen in einen Mitgliedschaftsjahr verändert? Was mit blossem Auge nicht zu übersehen ist?
Die Jungen und die Talentierten studieren an den europäischen Universitäten. Den Jungen und den Starken ermöglichte sogar eine begrenzte Öffnung des Arbeitsmarktes in den anderen EU Mitgliedsländern einen grösseren Verdienst.
Fuer die Jungen, die Talentierten und die Starken… Und für die, die nicht so stark sind? Diejenigen brauchen ein sozialdemokratisches Model, das die schwächeren unterstützt. Ein Modell, das in Europa verfasst worden ist und unserem Kontinent eine außergewöhnliche Stärke gewährleistet. Ich denke, das Interesse Litauens liegt darin, sich zu bemühen, dass Europa dieses Model nicht verliert und so viel wie möglich von ihm nach Litauen übertragen wird.
Mein Land wird für unsere Bürger immer atraktiver, und der alte Spruch bestätigt sich: (Nord, Sued, Ost, West – zu Haus´ ist Best) zu Gast ist es gut, aber zu Hause ist es am besten. Es ist erfreulich, dass es immer weniger Menschen gibt, die aus Litauen verreisen möchten. Die neuste Umfrage zeigt, dass es nur 1,3 Prozent der Litauer auf immer ins Ausland zu gehen planen.
In diesem Frühling habe ich ein neues Phänomen bemerkt. Auf den gläsernen Türen der Einkaufszentren sind Anzeigen aufgetaucht: „Verkäuferinnen – Kassiererinnen gesucht!“. Noch vor einem Jahr schwärmte es von jungen Mädels, die dort arbeiten wollten.
Im Sommer letzten Jahres konnte man deutlich mehr Touristen aus den EU Mitgliedstaaten in Litauen beobachten. Die sind aus reiner Neugier gekommen: wie sehen denn diese neuen Mitgliedstaaten aus?!. Andererseits fühlen sich heutzutage die Menschen aus dem Westen in Litauen psichologisch sicherer. Sie laufen auf dem Boden „ihres eigenen“ EU Landes, wo dieselben EU Gesetze gelten. Der „unbekannte Osten“ hat sich weitergerrückt.
EU – das sind wir und die übrigen 24 Mitgliedsländer. In der Tat will ich gar nicht das erste EU Jahr idealisieren. An Übel, Mangel und Armut gibt es in Litauen immer noch genug. So was gibt es auch in den anderen EU Mitgliedsländern. Jedoch – ein Jahr unter dem Zeichen Europa´s ist schon vergangen. Das Verhältnis zwischen dem Licht und der Dunkelheit verändert sich zu Gunsten des Lichtes, und das nicht nur jetzt im Frühling.

Wien, 1.5.2005