Europa eine Seele geben

Kulturschaffende sollten nicht nur die Kulturpolitiker ansprechen, sondern ihr Lobbying an alle richten: an die Wirtschaftspolitiker, an die Außenpolitiker, etc. Nur durch breit angelegte Vernetzung von Kultur und Politik können wir Europa meine Seele geben!
Nach Berlin hat mich, wie schon erwähnt, auch eine zweite Konferenz geführt, die unter dem Motto „Europa eine Seele geben“ (Jacques Delors) stand und sich mit dem kulturellen Europa beschäftigte. Initiator dieser Tagung war und ist mein ehemaliger Berliner Kollege aus Stadtplanungszeiten, Volker Hassemer, der mich auch persönlich eingeladen hatte. Dabei ging es nicht um die Kulturpolitik im engeren Sinn, sondern um die Kultur als europäisches Bindeglied.

Who is Who der (Kultur)Politik

Die Einleitungsreferate hielten unter anderem Bundeskanzler Gerhard Schröder, EU-Präsident José Manuel Barroso, der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Außenminister Joschka Fischer. Aber auch viele Intellektuelle und Kulturschaffende wie Timothy Garton Ash, der belgische Maler Luc Tuymans, der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani oder der ungarische Regisseur Istvan Szabo lieferten äußerst interessante Beiträge – ebenso wie viele engagierte VertreterInnen von Kulturstiftungen.
Natürlich ging es auch um die Frage der direkten europäischen Kulturpolitik und vor allem Kulturprogramme sowie um die Erhöhung der diesbezüglichen Budgetausgaben. Im Vordergrund stand aber eindeutig das Vorhaben, Kultur und die unzähligen kulturellen Möglichkeiten und Chancen unseres vielfältigen Kontinents als Träger der europäischen Idee zu verstehen. Dabei sollte diese Vielfältigkeit ebenso erhalten bleiben wie identitätsstiftende, europäische Eigenarten.

Gefahr der Verflachung und Harmonisierung europäischer Kultur

Meine Aufgabe als einer der Schlussredner auf der Konferenz war es, einige Themenfelder zu skizzieren, in denen wir auch nach der Berliner Tagung und in Vorbereitung auf Nachfolge-Konferenzen aktiv sein sollten. Auf Grund der Diskussionen und Debattenbeiträge schlug ich vier Themenfelder vor.
1.)
Auch die Kulturpolitik generell und einzelne kulturelle Leistungen sind der Gefahr ausgesetzt, in die marktwirtschaftliche Logik eingebunden und ihr unterworfen zu werden – so im Bereich der Welthandelsvereinbarungen, bei der Gestaltung der EU-Dienstleistungsrichtlinie bzw. durch Anwendung des budgetären Stabilitätspaktes. Dies könnte zur Aushöhlung, Verflachung und Harmonisierung europäischer Kultur führen und sie dem kommerziellen Diktat unterwerfen. Das muss unter allen Umständen verhindert werden.

Kultur als Beitrag zur Integration

2.)
Eine offene, tolerante Kulturpolitik in Europa kann einen wesentlichen Beitrag zur Integration der Zuwanderer leisten. Insbesondere nach dem tragischen Mord an Theo van Gogh ist viel Unsinn über das Scheitern der Multikulturalität und der Integration gesprochen worden. Multikulturalität wurde nie als Akzeptanz von kriminellem Töten verstanden, und in den wenigsten Fällen wurden in Europa ausreichende Integrationsangebote gemacht. Weder ist das bisherige Laissez faire noch sind die jetzt überlegten bzw. nicht überlegten, sondern angedrohten Zwangsmaßnahmen sehr hilfreich.
Eine in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten und den Regionen und Gemeinden zu entwickelnde Kulturpolitik, die europäischen Werte – in Dialogform und nicht mit Androhungen – vermittelt, könnte viel zum gegenseitigen Verstehen und zur Akzeptanz europäischer Werte beitragen. Dabei könnten und sollten auch viele Kulturschaffende aus allen Zuwandererbereichen miteinbezogen werden.

Die europäische Stadt

3.)
Viele ökonomische Veränderungen, beispielsweise auch die Zuwanderung, haben ihre stärksten Auswirkungen in den verdichteten Räumen, den Städten. Städtische Kommunalpolitik ist dabei besonders gefragt, die wirtschaftliche und soziale Basis unserer Städte zu stärken, vor allem durch ein ausgeglichenes Verhältnis von Bewahren und Verändern.
Die gewachsene europäische Stadt könnte dadurch ihre gesellschaftliche Integrationskraft im urbanen Mikrokosmos, auch in den Dienst der europäischen Integration stellen. Und die bewahrende Veränderung bzw. verändernde Erhaltung der Stadt ist vor allem eine kulturelle Aufgabe.

Europäische Kulturattaches

4.)
Aber nicht nur unseren BürgerInnen, sondern auch der Außenwelt gegenüber, mit der wir kommunizieren, ist eine umfassende Kulturpolitik Europas wichtig. So dient die Einigung Europas der friedlichen Transformation unserer Nachbarschaften – auch dies durch einen aktiven kulturellen Dialog, der nicht zuletzt einen religiösen Dialog umfasst.
Daher sollten die verschiedenen nationalen Auslandskulturstiftungen- und Institute im europäischen Sinn zusammen arbeiten. Und so sollte auch im Rahmen des zukünftigen diplomatischen Dienstes der EU die Einrichtung von Kulturattaches vorgesehen sein, die den Geist und die Vielfältigkeit der europäischen Kultur vermitteln könnten. So könnte die Kultur auch im Rahmen der Außenvertretung der EU ein Bindemittel sein.

Vernetzung von Kultur und Politik

Als Quintessenz meiner Anmerkungen verstand ich die Aufforderung, dass die Kulturschaffenden nicht nur die Kulturpolitiker ansprechen, sondern ihr Lobbying an alle richten sollten: an die Wirtschaftspolitiker, an die Außenpolitiker, etc. Nur durch breit angelegte Vernetzung von Kultur und Politik können wir Europa meine Seele geben!

Berlin, 27.11.2004