Europa: Fragen, Zweifel und Umdenken

Vielleicht bedarf es grundlegender Veränderungen in der EU, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Und vielleicht auch müssen wir die EU neu denken und neu gestalten.
Alle haben wir unsere Fragen und Forderungen an das Europa der Europäischen Union. Insbesondere derzeit, wo wir uns in einer Krisen- und Umbruchssituation befinden. Die Grundfrage dabei ist, ob die EU fähig ist, in dieser Situation nicht nur zu bestehen, sondern auch mehr Lösungen anzubieten als einzelstaatlich möglich wäre. Vor allem gilt es, mehr Lösungen zu erzielen als Probleme zu schaffen. Ich glaube fest daran, dass das möglich ist, aber kann nachvollziehen, dass viele BürgrerInnen Zweifel haben. Und vielleicht bedarf es auch grundlegender Veränderungen in der EU, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Vielleicht auch müssen wir die EU neu denken und neu gestalten. Wie dies gehen könnte, möchte ich im Folgenden anhand von 10 Fragen nachspüren.

1) Was alles soll überhaupt die EU regeln und was soll sie den einzelnen Mitgliedsstaaten bzw. den Regionen und Gemeinden überlassen? Ich meine, derzeit regelt die EU zu viel und manches ohne Sensibilität für nationale und regionale Empfindungen und Bedürfnisse. Auf der anderen Seite ist sie gerade dann vielfach zu schwach und handlungsunfähig, wenn sie unsere gemeinsamen Interessen gegenüber unseren globalen Partnern vertreten soll. Seit längerem beschäftige ich mich immer wieder mit der spannenden Frage, wie man dieses Ungleichgewicht korregieren kann. Ich plädiere für Zurückhaltung nach Innen und für eine vernehmbare Außen- und Sicherheitspolitik.

2) Kann die Union nach außen geschlossen und stark auftreten und gleichzeitig im Inneren die Vielfältigkeit der Traditionen, Sprachen und Kulturen bewahren und die Minderheiten schützen? Ich jedenfalls engagiere mich sowohl für eine aussage- und tatkräftige Außen- und Sicherheitspolitik als auch für die Minderheitskulturen. Je mehr wir unsere Vielfältigkeit bewahren und die Rechte der Minderheiten schützen, desto mehr werden wir international ernst genommen. Daher arbeite ich für den Respekt aller Bevölkerungsgruppen, ob in Österreich selbst oder in unseren Nachbarstaaten wie der Slowakei, am Balkan usw. Im besonderen bemühe ich mich um die Besserstellung der Roma, aber auch der MigrantInnen. Dabei geht es immer um Rechte und um Pflichten.

3) Kann aus Europa eine Sozialunion werden, ohne einerseits leere Versprechungen zu machen oder anderseits die sozialen Aufgaben der Mitgliedsstaaten auszuhöhlen? Ich glaube, die EU muss insbesondere angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder stärker die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft vertreten. Sie muss darüber hinaus die Bedeutung der Gemeinwirtschaft unterstreichen und vor allem mithelfen, Arbeitslosigkeit, Armut und Ausschluss aus der Gesellschaft zu bekämpfen. Sie muss also die soziale Orientierung der Mitgliedssaaten unterstützen. Ob bei der Gestaltung der Dienstleistungsrichtlinie oder jetzt im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise, ich fordere in meiner parlamentarischen Arbeit immer wieder die soziale Dimension der EU ein.

4)Kann man Europa eine Seele geben, kann also das Projekt Europa auch die Sinne und die Emotionen der Menschen ansprechen? Die EU muss dies immer wieder versuchen. Deshalb mache ich auch bei der Initiative „Europa eine Seele geben“ mit, weil ich überzeugt bin, dass Kunst, Kultur und positive Emotionen zur Europäischen Einigung einen wichtigen Beitrag leisten können. Bei aller konkreten und pragmatischen Ausgestaltung Europas, wir müssen nicht nur die Hirne, sondern auch die Herzen der Menschen gewinnen.

5) Können wir in Europa das Wirtschaftswachstum ankurbeln, Arbeitsplätze auch in der Industrie bewahren und zugleich den Klimawandel bekämpfen? Durch gezielte Anstrengungen zu Innovation, Forschung und Entwicklung können wir Energie sparen, nachhaltige Energieproduktionen in Gang setzen, die C0²-Emissionen reduzieren und in der Folge Vollbeschäftigung anstreben. Insbesondere im Rahmen des Energie- und Industrieausschusses im Europäischen Parlament leiste ich meinen Beitrag zu einer solchen europäischen Strategie. Und so habe ich auch sehr intensiv am Zustandekommen des Klimapakets mitgewirkt und auch darin den Ausgleich zwischen Umwelt- und Arbeitsplatzinteressen gesucht.

6) Kann Europa seine globalen Partner von einer aktiven, konsistenten Politik für Vollbeschäftigung, gegen den Klimawandel und für den Respekt der Menschenrechte überzeugen? Und das, obwohl wir einen immer kleiner werdenden Anteil der Weltbevölkerung auf unserem Kontinent beherbergen? Ich jedenfalls setze mich in der EU für eine selbstbewusste, aber zugleich partnerschaftliche Politik mit all unseren globalen Partnern ein. Besonders spannend ist dabei die Frage, wie sich das Verhältnis zu den USA unter Barack Obama entwickelen wird. Ich arbeite in diesem Zusammenhang mit einigen KollegInnen an einem konkreten Projekt zur nuklearen Abrüstung, gemeinsam mit amerikanischen Partnern, aber auch im Dialog mit PolitkerInnen und ExpertInnen aus anderen Ländern.

7) Gelingt es uns, die Länder des Balkans Zug um Zug in die EU zu integrieren und auch diese Region zu einer Zone des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands zu machen? In meiner vielfältigen Tätigkeit für und am Balkan, insbesondere als Berichterstatter des EU-Parlaments für Kroatien, engagiere ich mich intensiv für die Integration dieser unserer Nachbarn in die EU. Es wäre gut, hätten wir 100 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – also2018 – dieses für unsere Stabilität wichtige Ziel erreicht.

8) Kann die EU durch eine überlegte und verstärkte Nachbarschaftspolitik im Mittelmeer- und im Schwarzmeerraum einen Ring der Freunde im Süden und Osten der EU schaffen? Und hilft uns dieser Ring der Freunde im Dialog mit dem Islam? Ich jedenfalls engagiere mich sowohl für eine Union für das Mittelmeer als auch für eine Union für das Schwarze Meer. Dabei geht es auch um möglichst enge Beziehungen mit der Türkei, die einen grossen Beitrag zu Europas Stabilität leisten kann. Auch ein offener und ehrlicher Dialog mit dem Islam, an dem ich mich in unsrer Nachbarschaft, aber auch in Europa selbst insbesondere in Wien beteilige, dient unserem Frieden und unserer Sicherheit.

9) Ist die EU fähig zu den notwendigen Reformen im Inneren? Der Vertrag von Lissabon wäre ein wesentlicher Schritt nach vorne. Ich habe mich für diesen Reformvertrag und seine Ratifizierung engagiert, aber er löst nicht alle Probleme. Wichtig ist der Wille – vor allem der Regierungen – im Europäischen Geist zu handeln und die Institutionen der EU transparent und lebendig zu gestalten. Als parlamentarischer Geschäftsführer der Sozialdemokraten im EU-Parlament, aber auch als österreichischer Abgeordneter versuche ich jene Transparenz an den Tag zu legen, die es jedenfalls dem Interessierten ermöglicht, der EU näher zu kommen.

10) Kann die EU bürgerInnennäher handeln? Die EU wird den BürgerInnen nie so nah sein wie die Gemeinde oder auch die nationalen Regierungen. Aber sie könnte viel mehr für die Vermittlung europäischer Politik tun, vor allem dann, wenn der Nutzen der EU auch den einzelnen BürgerInnen einsichtig gemacht werden kann. Aber auch die nationalen PolitikerInnen, die ja entweder am Entstehen oder an der Durchführung der EU-Politik beteiligt sind, sollten sich nicht dieser Vermittlungsaufgabe entziehen. Ich versuche meinen Teil durch Vorträge, Diskussionen, meine Internetauftritte etc. zu leisten und freue mich über die vielfältigen Reaktionen und den kritischen Dialog mit meinen MitbürgerInnen. Nur so können wir nämlich das gemeinsame Haus Europa immer wieder neu entwerfen und neu gestalten. Und es ist noch lange nicht fertig.

Wien, 19.12.2008