Europas geteilte Stadt

Es ist faszinierend und bedrückend zugleich, ein Land zu besuchen, das nach wie vor geteilt ist und sich in einer Stadt aufzuhalten, durch die eine Mauer verläuft.
Ostern verbrachte ich diesmal mit meiner Frau und Freunden auf Zypern. Ein solcher Urlaub bleibt für einen politischen Menschen naturgemäß nie ganz privat.

Noch viele Probleme

Zum ersten ist es faszinierend und bedrückend zugleich, ein Land zu besuchen, das nach wie vor geteilt ist und sich in einer Stadt aufzuhalten, durch die eine Mauer verläuft. Und zum zweiten konnte ich – wenn auch nur zwei – politische Termine wahrnehmen, die sehr angenehm verlaufen sind.
Zypern ist für mich schon seit längerem ein äußerst interessanter Ort. Es ist eine wunderschöne Insel. Im Sinne eines chinesischen Sprichwortes ist es eben aber auch eine interessante Insel, und interessant bedeutet im konkreten Fall, dass noch viele anstehende Probleme zu lösen sind.

Groteske Situation

Von der zypriotischen Hauptstadt aus haben wir uns daran gemacht, nicht nur den Norden Nicosias, der im türkischsprachigen Teil liegt, zu besuchen, sondern auch einen Ganztagesausflug im Norden Zyperns zu absolvieren. Der Grenzübertritt ist einfach und in wenigen Minuten erledigt. Man füllt ein Formular aus, da die griechischen Zyprioten einen Stempelvermerk im Pass nicht akzeptieren würden – die Grenz ist nicht anerkannt.
Das ist eine einigermaßen groteske Situation. Einerseits verläuft hier eine Grenze zu einem besetzten Teil innerhalb eines EU-Landes. Ganz Zypern ist zwar Mitglied in der Europäischen Union, aber nur die griechisch-zypriotische Regierung hat auch ein Mitspracherecht und besetzt die entsprechenden Positionen, inklusive der Mitglieder im Europäischen Parlament. Die Nordzyprioten sind hingegen von jeglicher Mitsprache ausgenommen, und zwar mit dem Argument, dass Nordzypern durch türkische Truppen besetzt ist und keine Bereitschaft signalisiert, sich an den Entwicklungen in Zypern zu beteiligen.

In Famagusta

Der hinter der Grenze liegende Norden von Nicosia ist vielleicht sogar spannender als der Süden, weil hier verschiedene Kulturen sichtbarer aufeinander treffen. Christliche Kirchen wurden zu Moscheen umgebaut. Es gibt einen wunderschönen, restaurierten alten Khan, eine Art Karawanserei. Und vereinzelt finden sich noch Bauten aus der britischen Kolonialzeit.
Wir besuchten auch Famagusta, jenen ursprünglich sehr geschäftigen Hafen Gesamt-Zyperns, der heuet im türkischen Teil liegt und seine überragende Hafentätigkeit an Limassol im griechischen Teil abgeben musste. Auch in Famagusta wurden alte Kirchen in Moscheen umgewandelt und es gibt viele liebevoll gepflegte Sehenswürdigkeiten.

Kleinod

Wir besuchten außerdem das am Meer gelegene Girne, ein idyllischer kleiner Hafen, der zum Verweilen einlädt, was uns leider nicht vergönnt war. Ein Zwischenstopp fand in St Barnabas statt, einem alten orthodoxen Kloster, das ebenfalls schön restauriert wurde.
Nordzypern bietet seinen BesucherInnen also viele Sehenswürdigkeiten. Allerdings ist der Flughafen nach wie vor ausschließlich für aus der Türkei kommende Flüge zugelassen und ist international nicht anerkannt.

Justamentstandpunkte

Nicosia selbst ist von der schwierigen Diskussion über eine Übergang im Verlauf der so genannten Ledrastreet, der Hauptgeschäftsstraße der Stadt, betroffen. Beide Seiten wären bereit, die Straße zu öffnen. Das bestätigten mir sowohl der Bürgermeister des Nordens wie auch des Südens von Nicosia. Allerdings verlangten die türkischen Truppen, dass sie unterhalb einer Brücke, die die Ledrastreet verbinden soll, jederzeit passieren könnten. Das verärgerte die griechische Seite, die eine direkte Verbindung ohne Brücke bevorzugt.
Es handelt sich zweifellos um Justamentstandpunkte. Der Einwand der türkischen Truppen ist zudem inakzeptabel. Sie könnten die Ledrastreet in der Nacht queren und es ist nicht nachzuvollziehen, warum dies tagsüber geschehen sollte. Käme es zu einer Krisensituation, würde der Übergang ohnehin gesperrt werden.

Der Bürgermeister des Südens

Meine Gespräche mit den bedien Bürgermeistern von Nicosia waren insgesamt sehr interessant. Den Bürgermeister des Südens, Michael Zampelas, traf ich zum ersten Mal. Er ist Geschäftsmann, der von rechten Parteien in die Politik geholt wurde, scheint aber gemäßigt zu agieren. Zampelas betonte in unserem Gespräch immer wieder, dass er kein Politiker sei, sondern ausschließlich am Wohlergehen der BürgerInnen und der Stadt interessiert sei.
Er berichtete mir, dass sich viele Arbeitsgruppen damit beschäftigen, einen gemeinsamen Entwicklungsplan für Nicosia aufzustellen. Dieses Projekt gestalte sich aber schwierig, da der Bürgermeister im Norden oft keine Entscheidungen treffen könne, weil ihn das türkische Militär bzw. die Türkei daran hindere.

Der Bürgermeister des Nordens

Unmittelbar darauf traf ich den Bürgermeister des Nordteils der Stadt, Kutlay Erk, den ich schon seit längerem kenne und schätze. Er nahm uns an der Grenze in Empfang. Indirekt bestätigte mir Erk bei unserem Treffen, dass das türkische Militär hinsichtlich des Übergangs in der Ledrastreet Einwände erhoben hat.
Zugleich meinte er aber auch, dass der griechisch-zypriotische Bürgermeister von Nicosia ebenfalls nicht so agieren könne, wie er wolle, weil er auf die nationale Situation im Süden Rücksicht nehmen müsse. Insofern sei ein gemeinsamer Weg aus der derzeitigen Pattsituation sehr schwierig.

Übergang Ledrastreet

Der Übergang in der Ledrastreet und mit ihm das Schaffen zusätzlicher Begegnungsmöglichkeiten zwischen Nord und Süd ist ein Bestandteil der Gesamtkonzeption der Europäischen Union. Daher werde ich selbst versuchen, auf europäischer Ebene entsprechenden Druck auszuüben, dass der Übergang in der Mitte der Stadt endlich Realität wird.
Der bestehende Übergang nahe dem ehemaligen Hotel Ledra Palace liegt etwas außerhalb, auch wenn er relativ leicht zu erreichen ist – Nicosia ist eine kleine Stadt. Aber es wäre ein wichtiges Symbol, wenn dieser Übergang künftig in der Hauptgeschäftsstraße erfolgen könnte.

Nicosia, 12.4.2006