Gefährliche Entwicklungen

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Fraktionstagung Budapest

Es waren anstrengende und ernüchternde Tage, die wir diese Woche als Fraktion in Budapest und dann in Sofia verbrachten. Die Entwicklungen in Ungarn und Bulgarien dürften tatsächlich so schlimm sein, wie sie in manchen westeuropäischen Medien geschildert werden.

Neues MachtsystemEs war kaum zu glauben, was wir alles von den sozialdemokratischen Kritikern gehört haben. Deshalb holten wir uns auch Informationen von unabhängigen Kritikern. In Ungarn war dies vor allem Gyorgy Konrad, der bekannte liberale Schriftsteller, und in Bulgarien waren es verschiedene Journalisten, auch hier nicht zuletzt aus dem liberalen Lager.  Es ist ein System, das sich in beiden Ländern entwickelt hat und nicht nur einzelne Maßnahmen. Die neuen Machthaber wollen alles kontrollieren und die Macht nicht mehr so schnell aus der Hand geben. In Ungarn hat ja Fides, die Partei von Premier Orban, ohnedies eine Zweidrittel-Mehrheit. Und in Bulgarien verfügt Borisov mit seiner Gerb fast über die absolute Mehrheit. Was der Partei  an Stimmen fehlt, bekommt sie von anderen kleinen Parteien, nicht zuletzt von der rechtsextremen Ataka-Partei. Sowohl Borisov als auch Orban können sich dabei sehr smart geben, sind sehr gut in der Kommunikation und in der Beeinflussung der Medien. Zudem helfen Geld und Freunde und wo das nicht genügt, kommen Druck und Drohungen.

 

Nationale RevolutionNach dem Aufenthalt in Budapest fing es für einige von uns spät abends nach Sofia. Dort diskutierten wir noch ab 12 Uhr Mitternacht mit dem sozialdemokratischen Parteivorsitzenden und früheren Premierminister Sergei Stanishev die Lage in Bulgarien. Ich musste allerdings früh raus, da ich für die Morgennachrichten vom bulgarischen „Nationalradio“ interviewt wurde. Dabei verhielt ich mich zurückhaltend in meiner Kritik. Ich stützte mich allerdings nicht nur auf die Aussagen der Sozialdemokraten, sondern auch auf verschiedene Berichte der westlichen, „bürgerlichen“ Medien, vor allem auf die übereinstimmenden Kritikpunkte. Diese Übereinstimmungen verweisen auf Tendenzen, die schlimm genug sind. Auch in Bulgarien versucht die Regierung von Ministerpräsident Borisov eine „kulturelle“ und nationale Revolution. Und da diese „Revolution“ klar den demokratischen Grundsätzen widerspricht, konnte ich auch eine klare Position vertreten und vor allem eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justizbehörden sowie einen nicht parteipolitisch orientierten Kampf gegen die Korruption und die nach wie vor vorhandenen Mafiastrukturen fordern.

 

Willkürlich und willfährigDie verschiedenen Regulierungsbehörden, vor allem diejenigen, die für die Medien zuständig sind, wurden willkürlich gemacht. Die Mandate wurden geändert und die Personen wurden gegen willfährige ausgetauscht. Auch scheut sich der Ministerpräsident nicht, persönlich direkt bei den Herausgebern zu intervenieren. Der Innenminister geriert sich als Chefankläger und viele, vor allem solche, die der früheren Regierung nahe standen, werden verdächtigt und angeklagt. Nach Beweisen wird dann oft erst im Nachhinein gesucht. Und inzwischen wird eine Gesetzgebung vorbereitet, die vorsieht, dass jene, auf die auch nur ein Verdacht fällt, nicht für ein politisches Mandat kandidieren dürfen. Dabei sind es Minister, die dann öffentlich den Verdacht aussprechen. Sogar ein Absetzungsverfahren gegen den –sozialdemokratischen – Präsidenten Parvanov wurde versucht.
Groteske der Geschichte
Parvanov haben wir auch im Präsidentenpalast getroffen. Ich kenne ihn schon sehr lange, habe ich doch mitgeholfen – gemeinsam mit meinem Ex Kollegen Jan Marinus Wiersma –, dass er einen Einigungsprozess auf der Linken erfolgreich bewältigen konnte. Jetzt allerdings ist er nicht ganz zufrieden mit seiner Partei, und so versucht er eine neue Sammelbewegung auf die Beine zu stellen. Dabei ist nicht ganz klar, ob daraus eine Partei werden soll oder eine Bürgerbewegung gegen die Machenschaften von Rechts und die Rettung der Demokratie. Es ist jedenfalls eine Groteske der Geschichte, dass ein Ex-Kommunist heute die größte Bremse gegen die schleichende Entdemokratisierung in Bulgarien darstellt.

 

Klarer Rückschritt

Die übereinstimmenden Kritikpunkte der westlichen Presse und der Sozialdemokraten wurden in einer Konferenz zur Pressefreiheit diskutiert, die wir als europäische Sozialdemokraten in Sofia veranstaltet haben. Dabei waren keineswegs nur Sympathisanten der bulgarischen Sozialisten anwesend. Auch wurde durchaus die frühere Medienpolitik der Regierung von Sergei Stanishev kritisiert. Aber diese Kritik steht in keinem Vergleich zur Kritik an der Medienpolitik der gegenwärtigen Regierung. Kollegen und Journalisten aus Rumänien berichteten aus ihrem Land übrigens von ähnlichen Tendenzen. So gibt es derzeit einen Gesetzentwurf, der Journalisten als potentielles Sicherheitsrisiko betrachtet und entsprechende Schutzmaßnahmen vorsieht. Auch gegen die sozialdemokratischen Bürgermeister geht die Regierung in Sofia mit gezielten Maßnahmen vor. Mehrere Kontroll- und Überwachungsstellen werden in den Rathäusern speziell der sozialdemokratisch regierten Städte etabliert. Und generell sollen in Zukunft die Bürgermeister der kleineren Gemeinden und die Bezirksvorsteher in den größeren Städten nicht mehr gewählt, sondern von der Regierung bestellt werden. Also ein klarer Rückschritt in der demokratischen Entwicklung.

Unterstützung im Widerstand

Vieles von dem, was wir gehört haben, konnten wir kaum glauben. Es ist für uns völlig unverständlich. Sicher gab es auch bei uns unter Schwarz-Blau Umfärbungsversuche. Aber das, was heute in Ungarn und Bulgarien passiert, wäre bei uns undenkbar – bisher jedenfalls. Und wir sollten das auch in anderen Ländern unseres gemeinsamen Europas nicht akzeptieren. Natürlich können wir die Verhältnisse in den einzelnen Mitgliedsländern der EU nicht einfach von außen ändern. Aber wir müssen den Betroffenen aus diesen Ländern Gehör verschaffen, wir müssen sie in ihrem Widerstand zumindest moralisch unterstützen. Als sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament wollen wir jedenfalls – gemeinsam mit anderen Fraktionen, die dabei mitmachen wollen – die Betroffenen zu verschiedenen Enqueten und Konferenzen einladen und auch die EU Kommission mit diesen Tendenzen konfrontieren. Unsere Besuche und Tagungen in Ungarn und Bulgarien waren nur ein Anfang dafür.

Interessante Parallelen

Zuletzt möchte ich noch auf eine interessante Parallele zwischen Borisov und dem rumänischen Präsidenten Basescu verweisen. So meinte unlängst der bulgarische Ministerpräsident, dass der frühere kommunistische Diktator, bei dem er als Leibwächter agierte, der bedeutendste bulgarische Politiker sei. Und Basescu meinte kürzlich, dass dasselbe für Ceaucescu gilt, wäre er nur nach zehn Jahren Regierung zurückgetreten. Es ist interessant, wie diese autoritären Staatsmänner einerseits einen antikommunistischen Kampf führen, um ihre politischen Gegner zu diskreditieren und andererseits die ehemaligen kommunistischen Diktatoren verehren. Wie schon erwähnt, wir haben es mir einer gefährlichen Mischung zu tun, ohne klare Ideologie, aber mit festem Willen zur Machterhaltung. Und das in einem Europa, das sich oft als demokratiepolitischer Lehrmeister aufspielt.