Grünes Licht

Aus meiner Sicht ist es berechtigt, Rumänien und Bulgarien den EU-Beitritt zu gewähren. Und ich glaube, dass die Kommission vorschlagen wird, das im Jahr 2007 zu tun.
Am Montagabend reiste ich von Wien nach Bukarest. Meine Kollegen und deren Mitarbeiter kamen aus Brüssel, landeten allerdings erst um Mitternacht in der rumänischen Hauptstadt.

Unbeständige Sozialdemokratie

Am Bukarester Flughafen wurde ich von einem Mitarbeiter der rumänischen Sozialdemokratie abgeholt, den ich schon viele Jahre kenne und der uns auch immer sehr freundlich gesinnt war. Er hat schwierige Zeiten durchgemacht und die verschiedenen Richtungswechsel innerhalb der Sozialdemokratie hautnah miterlebt.
Heute ist er nicht mehr Abgeordneter, sondern Mitarbeiter der Sozialistischen Partei. Das erspart ihm vielleicht gewisse Entscheidungen, aber er muss trotzdem dem jeweiligen Vorsitzenden Folge leisten. Und das ist nicht so leicht, denn es gibt ja in der Sozialdemokratischen Partei verschiedene Vorsitzende, die mit jeweils unterschiedlichen Funktionen betraut sind – wenngleich der ehemalige Außenminister Mircea Geoana der 1. Vorsitzende ist.

Positive Entwicklungen

Mircea Geoana ist mir von vornherein nicht besonders sympathisch gewesen. Er ist ein großer Amerika-Sympathisant und war die „Morgengabe“ der Amerikaner für die Akzeptanz der Sozialistischen Regierung unter Premierminister Nastase. Trotzdem scheint Geoana gegen Korruption und für Transparenz innerhalb seiner Partei zu kämpfen und ist deshalb für uns der Hauptgesprächspartner der Sozialdemokratie in Rumänien.
Der Zweck dieses Besuches war allerdings nicht der Austausch mit den SozialdemokratInnen, mit denen wir Dienstagabend ein Arbeitsessen hatten. Vielmehr wollten wir NGOs und Investoren treffen, um uns ein Bild über die aktuelle Entwicklung in Rumänien zu machen. Insgesamt habe ich auch einen äußerst positiven Eindruck von dieser Entwicklung gewinnen können. Ich glaube nicht, dass uns etwas vorgetäuscht wurde. Das Land und die rechtsliberale Regierung scheinen die vielen Anstrengungen, die notwendig sind, um Rumänien ein Stück nach vorne zu bringen und die Voraussetzungen für einen Betritt in die Europäische Union zu schaffen, ernsthaft anzugehen.

Beim Premierminister

Der erste Besuch galt Premierminister Calin Popescu Tariceanu, der gerade damit beschäftigt war, Einsatzpläne für die Bekämpfung des Hochwassers zu organisieren. Das war auch der Grund, warum wir ihn in Jeans und kariertem Hemd antrafen – unmittelbar nach unserem Gespräch ging es für ihn in Richtung der Hochwassergebiete.
Trotzdem nahm sich Tariceanu Zeit und legte die Positionen und die Reformschritte Rumäniens dar. Er vermittelte uns den positiven Eindruck eines Mannes, der handelt und der weiß, worum es geht, der uns nicht anflunkert und keine Luftschlösser baut. Tariceanu setzt vielmehr ganz klare Schritte, etwa bei der Justizreform. Wir diskutierten mit ihm auch über Sicherheit und Grenzkontrollen, Themen, die wir später im Detail mit dem Innenminister und der Justizministerin erörtert haben.

Aufbau des Grenzregimes

Den rumänischen Innenminister Ioan Rus habe ich schon vor einiger Zeit besucht. Er kommt aus der demokratischen Partei und steht den Sozialdemokraten sehr nahe. Die Demokratische Partei ist früher Mitgliedspartei der Sozialistischen Internationale gewesen, bevor sie der jetzige Präsident des Landes aus der Sozialistischen Internationale herausgeführt hat.
Der Innenminister schilderte, was auf dem Gebiet der Sicherheit und der Verbrechensbekämpfung unternommen wird, um Fortschritte zu erzielen. Besonders erfolgreich dürfte man beim Aufbau des Grenzregimes gewesen sein. Und das bei einem Land, das eine riesige Grenze hat – die zweitlängste Außengrenze innerhalb der Europäischen Union nach Finnland. Deshalb ist es vor allem im Interesse unserer BürgerInnen wichtig, dass die Grenzkontrollen funktionieren. Es besteht berechtigte Angst, dass aufgrund der prekären geografischen Lage Rumäniens zu grenzüberschreitender Kriminalität, insbesondere zu Frauen- und Drogenhandel, etc. kommt. Bis zum Ende des Jahres dürften die Grenzkontrollen in Rumänien aber lückenlos funktionieren.

Roma-Integration

Es gibt auch sehr positive Berichte von Autoritäten im Grenzbereich aus anderen europäischen Ländern. Ich habe den Innenminister gefragt, ob sich das, was er mir das letzte Mal angedeutet hatte – die Kooperation mit der neuen Regierung in der Ukraine – tatsächlich verbessert hat und ob die Kooperation nun funktioniert. Er bejahte meine Frage und schilderte im Detail, wie gut die Reform mit der Ukraine und letztendlich auch mit Moldawien, Serbien und auch im Bereich des Schwarzen Meeres funktioniert.
Auch auf die Frage, ob und wie weit die Roma-Bevölkerung in das Sicherheitssystem integriert wird, nannte er mir einige Beispiele, die Rumänien unternimmt, um die Integration vollziehen zu können. Insgesamt waren wir von dem Treffen sehr beeindruckt. Auch wenn der Innenminister mit einem großen Team gekommen war, das ihn bei einzelnen Fragen unterstützte, wirkte er as personam äußerst kompetent.

Korruptionsbekämpfung

Justizministerin Monica Macovei hingegen ist keine einfache und gewinnende Persönlichkeit, zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber sie wird aufgrund ihrer strengen Vorgehensweise allgemein geschätzt.
Macovei präsentierte uns ein Papier, das zeigen sollte, wie von der amtierenden Regierung im Unterschied zur sozialistischen Regierung politische Mandatare verfolgt werden, deren Immunität aufgehoben wurde. Daraufhin ergab sich eine scharfe Diskussion. Der Nachweis über die Bekämpfung der Korruption kann ja nicht allein darin bestehen, möglichst viele Abgeordnete, denen die Immunität aberkennt wurde, zu verfolgen und anzuklagen.

Wenig konkrete Ergebnisse

Zudem gibt es bisher sehr wenige konkrete Ergebnisse. Die Justizministerin meinte nicht zu Unrecht, das es noch zu früh sei, um Ergebnisse von abgewickelten Verfahren und Verurteilungen zu haben. Wir haben festgehalten, dass erstens Korruption keine Frage der Politik ist und dass es zweitens im Falle von Politikerbestechungen auch Personen geben muss, die die Bestechungen durchführen – und dazu gab es eigentlich wenig Überblick.
Wir konnten uns nicht ganz des Eindrucks verwehren, dass das Vorgehen gegen die vorherige Regierung etwas einseitig gewesen zu sein scheint, wenngleich auch einige Mitglieder der jetzigen Regierung unter Verdacht stehen und entsprechende Untersuchungen eingeleitet worden sind. Wie dem auch sei, selbst wenn sich einige der jetzigen Regierung freuen, ihren Vorgängern eins auswischen zu können – Ministerpräsident Nastase steht ja selbst unter Korruptionsverdacht – so bleibt dennoch festzuhalten, dass wesentliche Weichen in Richtung Korruptionsbekämpfung und Richtung Nulltoleranz gehen was die Korruption betrifft.

EU-Druck aufrechterhalten

Mittags führten wir ein Gespräch mit einigen Experten und Analysten, die uns im Großen und Ganzen ebenfalls bestätigten, dass die Reformen der letzten Jahre wichtige Schritte waren. Die Menschen, die wir getroffen haben, waren weder gegen die Sozialdemokraten noch die frühere Regierung feindlich gestimmt. Aber sie gaben doch den Eindruck wieder, dass der Kampf gegen die Korruption jetzt viel offener und direkter geführt wird als das früher der Fall war.
Das wurde auch von den Nichtregierungsorganisationen und den Vertretern einiger Investoren, u.a. der Raiffeisenbank, die wir am Abend getroffen haben, bestätigt. Trotzdem gibt es auch noch etliche Mängel. So wurde uns immer wieder vermittelt, dass die Europäische Union ihren Druck auf die Rechtsreformen weiter aufrechterhalten sollte, um keine Müdigkeitserscheinungen aufkommen zu lassen. Aber letztendlich hat uns niemand empfohlen, der Beitritt Rumäniens sollte auf das Jahr 2008 verschoben werden.

Monitoring

Wir haben in Bukarest auch die Europaministerin, Anca Boagiu, getroffen. Sie gilt allgemein als Sprachrohr und Freundin des Präsidenten. Auch Boagiu wies auf die Rechtsreformen hin und meinte, Rumänien habe intensive Anstrengungen unternommen, um den Forderungen Europas gerecht zu werden. Sie zeigte sich allerdings nicht sehr angetan von der Möglichkeit, dass es nach dem Beitritt ein spezifisches Monitoring, also eine spezielle Beobachtung seitens der Europäischen Kommission geben soll.
Der Premierminister und die anderen Minister sahen dies etwas lockerer und meinten, man habe das Ende der Reformen noch nicht erreicht und würde deshalb besondere Beobachtungen und Sicherheitsklauseln akzeptieren. Zum Teil gibt es ohnehin automatische Konsequenzen. Wenn beispielsweise im Bereich der Agrarpolitik und im Besonderen in sanitären Angelegenheiten bis Ende kommenden Jahres keine entsprechenden konsumentenschutzrechtlichen Bestimmungen entwickelt sind, dann könnten verschiedene Produkte gar keinen Zugang zu den europäischen Märkten finden. Und wenn jene Agentur, die die europäischen Gelder zu verwalten hat, noch nicht fertig ist, dann gibt es eben keine Geldflüsse.

Positives Signal für 2007

Immerhin schienen die Politikerinnen und Politiker und mit gewissen Einschränkungen auch die Europaministerin zu akzeptieren, dass es noch offene Momente gibt, die gelöst werden müssen und daher eine besondere Beobachtung über einen längeren Zeitpunkt auch nach dem Beitritt angebracht ist.
Insgesamt hat unser Besuch ein positives Bild hinterlassen. Vielleicht waren manche der MinisterInnen direkter und selbstkritischer in ihren Aussagen als wir es bei unserem in Bulgarien erlebt hatten. Unterm Strich ist es aus meiner Sicht jedenfalls berechtigt, beiden Ländern den EU-Beitritt zu gewähren. Und ich glaube, dass die Kommission vorschlagen wird, das im Jahr 2007 zu tun, wenn auch in einigen Bereichen ein Monitoring und einige Sicherheitsklauseln einzuführen, die die Interessen der Europäischen Union und deren BürgerInnen gewährleisten.

Amerikanische Truppen in Bulgarien

Diese Sicherheitsklauseln könnten im Herbst festgelegt werden. Beide Länder – besonders Bulgarien – hätten dann noch Zeit, sich entsprechend vorzubereiten und die notwendigen Änderungen vorzunehmen. Wie bei der letzten Erweiterung müssen wir auch bei dieser Erweiterung die Chancen, die sich gerade auch für österreichische Investoren ergeben, voll nützen, um aus diesem größeren Europa ein Europa zu machen, das selbstbewusst agieren und den schwierigen internationalen Bedingungen mit entsprechend klarer Stimme begegnen kann.
Während dieses Besuches erhielt ich die Nachricht, dass Bulgarien mit den USA ein Abkommen über die Stationierung von Truppen abgeschlossen hat und dass vereinbart wurde, dass die bulgarische Justiz nur bei größeren, schwereren Verbrechen von amerikanischen Militärangehörigen Zugriff hat. Ist es sinnvoll, dass in Rumänien und Bulgarien amerikanische Truppen stationiert sind? Stört das nicht die Einheitlichkeit Europas, sind diese Truppen doch auch Ausdruck eines besonderen Verhältnisses dieser beiden Länder zu Amerika?

Gespaltenes Europa

Ich bin nicht erfreut über die Stationierung amerikanischer Truppen – nicht, weil diese immer und überall Böses tun. Aber gerade in Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und einer möglichen Interventionen etwa im Iran geben sie den Amerikanern einen gewissen Vorsprung. Und sie üben auch entsprechenden Druck auf die Regierungen dieser beiden Länder aus, indem sie zumindest die Intervention der Amerikaner dulden.
Solange Europa aus eigenen Kräften heraus keine entsprechende militärische Kapazität entwickelt und Sicherheit anbieten kann, solange werden die Amerikaner diesen Vorsprung haben und ihn ausnützen. Die Amerikaner treten sehr stark und einheitlich auf. Sie setzen Regionen unter sanfteren oder stärkeren Druck. Und sie sind lautstark. Europa ist hingegen in vielen Fällen gespalten, und auch die großen europäischen Länder können sich nicht einigen, Entsprechendes anzubieten.

Mit einer Stimme sprechen

Man kann also nicht den Amerikanern die Schuld geben, ebenso wenig wie den betroffenen Ländern, die solche Verträge eingehen. Die Schuld liegt primär in der Schwäche Europas. Europa muss sich stärker zusammenschließen, mit einer Stimme sprechen und entsprechend agieren. Das gilt insbesondere für jene in Europa, die sich nicht blindlings den Amerikanern in ihren doch manchmal sehr simplen und primitiven Denkungsweisen anschließen wollen.
Dennoch werde ich diese Stationierung amerikanischer Truppen nicht zum Anlass nehmen, um gegen einen Beitritt zu stimmen. Der Beitritt als solches ist ohnedies sicher gestellt. Und ich werde nicht für die Aufschiebung auf 2008 plädieren, weil das nichts an der Sache ändert. Im Gegenteil: kritische und negative Haltungen gegenüber Bulgarien und Rumänien tragen dazu bei, die Länder noch stärker in die politischen Arme der Amerikaner zu treiben. Die einzige Antwort kann daher nur sein, selbst ein klares europäisches Bewusstsein, insbesondere auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln und ihm die entsprechenden Strukturen zu geben.

Bukarest, 26.4.2006