Im Kosovo

Der Kosovo ist ein Problemfall dar, den wir in den kommenden Monaten sehr intensiv beraten werden.
In dieser Woche reisten wir mit der Delegation des Europäischen Parlaments für Süd-Osteuropa in den Kosovo und nach Belgrad. Wir wurden dabei von einer kleinen Delegation des Unterausschusses des Außenpolitischen Ausschusses, der sich mit Fragen der Sicherheit beschäftigt, begleitet. Ich bin sowohl Mitglied dieses Untersausschusses wie auch stellvertretender Vorsitzender der Süd-Osteuropa-Delegation, und so ist es logisch, dass ich an dieser Reise teilnehme.

Dauerbrenner

Der Kosovo stellt einen Problemfall dar, den wir in den kommenden Monaten sehr intensiv beraten werden. Zugegeben ist das Europäische Parlament nicht ausschlaggebend. Aber es geht ja auch darum, in welcher Form die Europäische Union in der Zeit nach dem Finden einer Lösung für den Status und damit für die Zukunft des Kosovo beteiligt ist. Und genau aus diesem Grund muss sich das Europäische Parlament informieren und hat letztendlich auch ein Wort mitzureden – nicht zuletzt auch hinsichtlich der Konsequenzen für das EU-Budget.
Wir hatten uns in der Arbeitsgruppe Süd-Osteuropa des Außenpolitischen Ausschusses erst vor kurzem mit dem Kosovo auseinandergesetzt, ich habe die Arbeitsgruppe damals geleitet. Stefan Lehne, ein Mitarbeiter von Javier Solana, berichtete bei dieser Gelegenheit über die Situation im Kosovo. Auch Leopold Maurer, der derzeit den Kosovo innerhalb der Europäischen Kommission betreut, gab ein kurzes Statement ab. Der dritte Österreicher, der einen Diskussionsbeitrag lieferte, war Erhard Busek, zuständig für den Stabilitätspakt für Süd-Osteuropa. Es ist interessant und aus meiner Sicht äußerst positiv, dass derart viele Österreicher sich in dieser Frage engagieren.

Österreich hat Vorreiterrolle

Um es vorwegzunehmen: Beim Besuch des Kommandanten der NATO-Truppe im Kosovo, General Vallotto, hat dieser kritisch darauf hingewiesen, dass sich im Verhandlungsteam mit dem Kosovo so viele Österreich befinden – sowohl Stefan Lehne als auch der stellvertretender Verhandlungsleiter Albert Rohan.
Wenn ich daran denke, welche wichtige Rolle auch Wolfgang Petritsch in der gesamten Region gespielt hat und wie viele Banken, Versicherungen und weitere Investoren hier tätig sind, dann ist das eine beeindruckende Präsenz Österreichs. Und da ist es nicht verwunderlich, dass einige neidisch sind. Aus meiner Sicht ist es allerdings absolut notwendig und extrem positiv, dass Österreich in dieser Region derart aktiv und umtriebig ist.

Auf nach Pristina

Wir sind gestern über Wien in den Kosovo gereist. Ich hatte Angst, dass es zu größeren Verspätungen kommen könnte, weil wir genau an jenem Tag abreisten, an dem George W. Bush nach Wien gekommen war. Wider Erwarten lief aber alles relativ glatt und wir verließen den Schwechater Flughafen fast pünktlich und landeten auch pünktlich am Airport in Pristina, von wo aus wir direkt ins Hotel Victory fuhren.
Heute Morgen trafen wir mit Vertretern der Europäischen Union im Kosovo zusammen, die uns einen aktuellen Überblick über den Stand der Diskussion vermittelt haben. Es sind einige jungen ExpertInnen hier im Kosovo, die den Auftrag erhalten haben, sich auf einen verstärkten Einsatz der Europäischen Union vorzubereiten, nachdem eine endgültige Rechtssituation gefunden werden konnte. In diesem Fall würde sich ja die UNMIK, also die UN-Verwaltung, zurückziehen. Man weiß heute allerdings nicht, wie der endgültige Status gestaltet sein wird. Und man weiß vor allem nicht, in welchem Ausmaß die Europäische Union als Vertreterin der Internationalen Gemeinschaft an den Entwicklungen im Kosovo beteiligt sein wird, welche Rechte und welche Pflichten sie ausüben wird, etc. All das ist zum jetzigen Zeitpunkt offen.

Lutfi Haziri, stellvertretender Premierminister

Nach diesem ersten Briefing ging es für uns weiter zu UNMIK. Man schilderte uns die persönliche Situation und forderte ein stärkeres Engagement der Europäischen Union, das eine raschere Lösung der anstehenden Probleme ermöglichen solle.
Im Anschluss daran besuchten wir Lutfi Haziri, den stellvertretenden Premierminister des Kosovo. Der Premierminister selbst war ebenso wie der Präsident und der Hohe Beauftragte der Vereinten Nationen für den Kosovo bei einem Arbeitsbesuch bei den Vereinten Nationen in New York. Wir konnten und wollten unseren Besuch im Kosovo deswegen allerdings nicht verschieben. Und es macht auch nicht immer einen wesentlichen Unterschied aus, ob man die hochrangigsten Persönlichkeiten oder lediglich deren Stellvertreter trifft.

Limited sovereignty

Unser Eindruck von den Gesprächen, gerade auch mit Lutfi Haziri, den ich schon seit einiger Zeit kenne, war jedenfalls äußerst positiv. Haziri hat – wie auch einige, die wir nach ihm getroffen haben – von einer limited sovereignty, also einer begrenzten Souveränität gesprochen.
Zwischen der serbischen und der kosovarischen Regierung gibt es eine große Auseinandersetzung: Die kosovarische Regierung gibt an, ausschließlich die Unabhängigkeit akzeptieren zu können. Und die serbische Regierung gibt sich zwar relativ offen und kann sich vieles vorstellen, allerdings nicht die Unabhängigkeit. Es ist schwer, zwischen diesen beiden Positionen zu vermitteln. Auch wenn der Eindruck entstehen mag, dass es sich lediglich um eine kleine Diskrepanz handelt, so geht es letztendlich um die Entscheidung für oder gegen die Unabhängigkeit des Kosovo.

Serbische Minderheitenrechte

Immerhin wird die Frage hier im Kosovo, wie von Haziri angedeutet, auf einen längeren Zeitraum hin als begrenzte Souveränität betrachtet. Dabei ist klar, dass die Begrenzung nicht durch Belgrad bzw. Serbien erfolgen kann. Vielmehr muss die Europäische Union, insbesondere in den Bereichen Polizei und Sicherheit, entsprechend stark präsent und in der Lage sein, die Souveränität einzuschränken. Aber auch durch den Verbleib der NATO-Truppe KFOR muss ein Schutz für die Minderheiten im Land, vor allem für die serbische Minderheit und für die serbischen Güter im kulturellen und religiösen Bereich gewährleistet werden.
Das Gespräch mit dem stellvertretenden Premierminister verlief angenehm. Haziri beherrscht Englisch relativ gut, und so konnten wir uns auf direktem Weg mit ihm verständigen. Er hat ausdrücklich betont, dass es verfassungsmäßig gewährleistete Rechte für die Serben geben muss. Das trifft in erster Linie auf den Prozess der Dezentralisierung zu, im Zuge dessen den serbischen Mehrheiten in den verschiedenen Gemeinden die entsprechenden – auch finanziellen – Rechte zuerkannt werden. Derzeit arbeiten Vertreter der einzelnen Gemeinschaften an dieser Aufgabe – zum Teil im griechischen Saloniki, zum Teil im albanischen Durres. Auf diese Weise soll in Vorbereitung auf die Wiener Gespräche eine neue Verfassungsstruktur für den Kosovo ausgearbeitet werden – losgelöst von der zentralen und entscheidenden Frage der Unabhängigkeit.

ParlamentarierInnentreffen

Wir haben uns auch mit dem Verhandlungsteam seitens des Kosovo für die Verhandlungen in Wien getroffen. Unter ihnen waren Parlamentspräsident Kole Berisha, der Koordinator des Verhandlungsteams Blerim Shala sowie der frühere Premierminister Bajram Rexhepi, der Hashim Thaci vertreten hatte. Er ist Vertreter jener Partei, die ursprünglich aus der Kosovo-Befreiungsarmee herausgewachsen ist und Gegenspieler zu Rugova war, die sich aber heute in eine sozialdemokratische Richtung orientiert – vielleicht auch nur deshalb, weil sich Rugovas und Haziris Mehrheitspartei in Richtung Christdemokraten und Konservative bewegt.
Hier verlief das Gespräch ähnlich wie bereits mit Haziri und beim anschließenden Treffen mit ParlamentarierInnen, das unter dem Vorsitz von Parlamentspräsident Berisha stattfand. Als es bei diesem ParlamentarierInnen-Treffen zu den Gesprächen, Formulierungen, Änderungen und schließlich zur Abstimmung über die Schlusserklärung kam, habe ich allerdings gemerkt, dass die anwesende serbische Parlamentarierin keine Unterlagen hatte. Ich meldete mich zu Wort und gab zu bedenken, dass es keinen Sinn habe, über Details zu sprechen, wenn die serbische Vertreterin gar keinen Ausgangstext in Händen hält.

Keine Gespräche ohne Text

Es stellte sich heraus, dass sie tatsächlich keinen Text hatte, und schon gar keinen serbischen Text, auf den sie Anspruch hat. Wir haben schließlich trotz des Ärgers einiger kosovarischer Abgeordneter, der von einigen unangenehmen Bemerkungen begleitet war, unser Vorhaben auf den Abend verschoben. Wir forderten eine serbische Übersetzung des Ausgangstextes und wollten erst dann darüber sprechen und ihn entsprechend verabschieden.
Die junge serbische Abgeordnete Vejsna Juvanovic stammt aus einer serbischen Enklave im Kosovo. Sie nimmt zwar nicht an den Parlamentssitzungen teil, da die Serben diese im Allgemeinen boykottieren, sehr wohl aber an den Ausschusssitzungen. Gerade in diesem Fall war es gut, dass sie da war. Ich habe sie am Abend zum Präsidiumstisch gebeten, um zu demonstrieren, dass die serbische Minderheit eine besondere Position haben sollte.

Zumindest Anerkennung und Unterstützung

Bei einer Textstelle, die Vejsna Juvanovic mit gewissem Recht nicht akzeptieren konnte, habe ich einen Änderungsvorschlag vorgebracht, den die junge Serbin goutiert hat. Es ging mir persönlich dabei weniger um einzelne Worte. Ich wollte aber dokumentieren, dass wir darauf bestehen, dass die – insbesondere serbische – Minderheit, die in der besonderen Position ist, früher Vertreterin der Mehrheit gewesen zu sein, entsprechend respektiert wird. Den Serben darf heute nicht das gleiche angetan werden, was früher den Albanern angetan wurde.
Die Sicherheitslage im Kosovo ist ohnedies keineswegs derart gewährleistet, dass sich die Serben frei bewegen können. So sollte man zumindest den serbischen Abgeordneten, die einen konstruktiven Weg einschlagen, eine klare Anerkennung und Unterstützung seitens der Mehrheit zukommen lassen.

Roma-Minderheit

Im Kosovo gibt es nicht nur die serbische Minderheit. Auch Roma, Aschkali, Ägypter, Gorani oder Bosnier stellen Minderheiten, wobei die Roma verwandten Minderheiten – die Roma selbst, die Ägypter und die Aschkali, die über unterschiedliche Wege nach Europa gekommen sind – entsprechend zu berücksichtigen sind. Sie sehen sich zum Teil zwischen den beiden Mühlsteinen der Albaner und der Serben eingeengt. Zum Teil sind sie aber bereits aktiv dabei, an der Gestaltung der Gesellschaft teilzunehmen.
Schon bei der Vorbereitung unseres Besuches im Kosovo habe ich darauf bestanden, dass wir VertreterInnen dieser Minderheitengruppen treffen. Ursprünglich wollte ich auch selbst eines der Roma-Lager besuchen, das war allerdings aufgrund des dicht gedrängten Programms nicht möglich. Während die Übrigen an einer anderen Diskussionsveranstaltung teilgenommen haben, habe ich deshalb mit einigen Abgeordneten zwei Vertreter dieser Gemeinschaft empfangen: einen Vertreter der ägyptischen Seite, der zugleich stellvertretender Minister für die Flüchtlingsrückkehr ist und einen Vertreter einer Roma-NGO, die sich für die Integration und die Rückkehr der Roma in den Kosovo einsetzt.

Umfassende Integrationspolitik ist notwendig

Diese beiden Vertreter lernten sich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal persönlich kennen – was bereits ein Fortschritt war! Wie so oft hat sich gezeigt, dass es nicht damit getan ist, den Vertreter einer Minderheit in die Regierung zu berufen und mit einer entsprechenden politischen Position auszustatten, wenn er nicht auch die Möglichkeit erhält oder nicht genügend aktiv ist, sich intensiv für die Minderheit einzusetzen.
In einem derart gespaltenen, sich in einem frühen Entwicklungsstadium befindlichen Land wie dem Kosovo gilt es, eine umfassende und überlegte Integrationspolitik für die Minderheiten zu betreiben. Unser Besuch und unsere beharrliche Forderung, auch immer wieder die Minderheitenfrage anzuschneiden, sollten in diesem Sinn dazu beitragen, entsprechend auf die albanische Mehrheit einzuwirken.

Pristina, 21.6.2006