Zusammen und doch getrennt

Es gibt eine leichte Bewegung auf der kosovo-albanischen Seite. Die Serben hingegen sind gespalten.
Heute Morgen besuchten wir die KFOR, jene NATO-Truppe, die für Ruhe und Sicherheit im Kosovo sorgt.

KFOR-Truppe

Es ist interessant, dass hier im Kosovo alle – die albanisch sprechende Mehrheit ebenso wie die serbische und die übrigen Minderheiten – darauf beharren, dass die KFOR-Truppe als einzige Garantie für Sicherheit und gegen ein Wiederaufflackern von Gewalt im Land verbleibt. Genau das versuche ich auch immer wieder all jenen zu vermitteln, die etwas simpel gegen die NATO argumentieren. Man muss auch diese friedensstiftende und -erhaltende Seite der NATO anerkennen. Und man muss respektieren, dass diese Truppen wesentlich einfacher agieren können als etwa UNO-Truppen, die aus einer Vielzahl von Kulturen zusammengesetzt und wesentlich größeren bürokratischen Hürden ausgesetzt sind als es bei der NATO der Fall ist, auch wenn es hier ebenfalls nicht ganz ohne Bürokratie geht.
General Vallotto, Generalkommandant der KFOR-Truppe, hat uns bei unserem Besuch einen generellen Überblick über die aktuellen Entwicklungen gegeben. Er berichtete, dass die Zwischenfälle rapid zurückgegangen sind und es nur mehr ganz wenige ethnisch motivierte Attacken und Attentate auf beiden Seiten gibt. Vallotto zog ein äußerst positives Resümee.

Im Kloster Gracanica

Im Anschluss an den Besuch bei der KFOR -Truppe ging es weiter nach Gracanica in ein Kloster, das wir schon bei allen unseren bisherigen Aufenthalten im Kosovo besucht haben, um dort die höchste orthodoxe Autorität Bischof Artemije zu treffen. Der Bischof berichtete uns über eine Diskrepanz zwischen ihm und Father Sava, den wir bisher ebenfalls immer getroffen haben und der offen ist, an konkreten Lösungen und Schutzmassnahmen für die kirchlichen orthodoxen Güter und Heiligtümer im Kosovo mitzuarbeiten.
Bischof Artemije zeigte sich hart. Er hatte uns zwar sehr aufmerksam mit Kaffee, Schnaps (schon am frühen Vormittag!), Obst und Süßigkeiten empfangen. In der Sache allerdings war er unnachgiebig. Er maßregelte unsere Vorsitzende Doris Pack und warf ihr vor, dass sie mit Vorurteilen beladen sei und bereits die Unabhängigkeit des Kosovo im Kopf habe. Das käme aber nicht in Frage.

Harte Ablehnung

Mir selbst warf Artemije vor, dass ich von einer serbischen Gemeinschaft („community“)spreche. Dies sei vielleicht in Österreich oder Deutschland der Fall, im Kosovo handle es sich aber um das serbische Volk, das mit Recht tief verwurzelt sei, und die Serben seien hier keine Minderheit. Der Kosovo gehöre zu Serbien, und der Begriff Minderheit sei daher unzulässig.
Bei dem Gespräch ist insgesamt nicht viel herausgekommen. Im Mittelpunkt stand die Ablehnung von Bischof Artemije und sein Vorwurf, dass nach wie vor viele Klöster und Kirchen sowie Serben selbst attackiert werden. Diese Aussage stand in Widerspruch zu dem, was die KFOR-Angehörigen und auch andere uns gesagt hatten und auch zum in New York präsentierten Bericht des Hohen Beauftragten der Vereinten Nationen, Sörensen. Mir bzw. uns fällt eine Beurteilung schwer. Wahrscheinlich ist der Zugang der internationalen Vertreter zu positiv und die Argumentation zu sehr in Richtung Unabhängigkeit orientiert. Und es dürfte so sein, dass manche serbische Vertreter – allen voran Bischof Artemije – eine extrem negative Zugangsweise haben.

Schroffe und belehrende Serben

Vom pittoresken Kloster in Gracanica ging es weiter in den Norden von Mitrovica. Mitrovica ist eine durch den Fluss Ibar geteilte Stadt im Norden des Kosovo. Im Süden der Stadt befindet sich der kosovo-albanische Teil, nördlich der serbische Tei – mit der jeweiligen Minderheit der anderen Gruppe. Das Gespräch mit den serbischen VertreterInnen verlief weitgehend negativ. Sie gaben lediglich Phrasen von sich. Auf meine Frage, ob sie für die Abtrennung Mitrovicas vom Kosovo und die Teilung des Landes eintreten, antworteten sie erst gar nicht. Ich gab ihnen schließlich zu verstehen, dass wir nicht gekommen waren, um Belehrungen entgegen zu nehmen – aber es nützte nichts. Sie zeigten sich stur. Und sie beschuldigten die Kosovo-Albaner, dass sie sie im Stich lassen. Insgesamt entwickelte sich jedenfalls kein Gespräch.
Die serbischen Vertreter verstehen es nicht, ihre Position darzulegen. Ich behaupte gar nicht, dass sie nur falsche Argumente vorbringen. Aber die Art und Weise, wie das getan wird, ist kontraproduktiv. Seine Anliegen schroff, belehrend und aggressiv zu deponieren löst beim Gesprächspartner lediglich Distanz und Zurückhaltung aus.

Offene Fragen

Anders war es bei den Vertretern der albanischen Mehrheit im Süden. Sie haben ihre Position wesentlich geschickter präsentiert. Trotzdem blieben einige Fragen offen. Erhalten die Menschen im Norden tatsächlich weniger Geld oder stimmt das, was im Süden behauptet wurde, dass man sich nämlich weigerte, Geld – beispielsweise für das Spital von Mitrovica – anzunehmen. Es war äußerst schwierig, sich aus dem Gesagten einen Reim zu machen. Deutlich gezeigt hat sich jedenfalls, dass der Dialog nicht funktioniert. Die Vertreter des Nordens und des Südens treffen sich zwar von Zeit zu Zeit, um einzelne Fragen zu besprechen. Unterm Strich finden sie aber nicht zusammen.
Auch unsere Fragen hinsichtlich der Roma-Lager wurden vom Süden nicht wirklich beantwortet. Der Hinweis, man habe keinen Zugang und könne nicht sagen, ob diese Lager mit Wasser und Strom versorgt seien, war nicht besonders befriedigend. Wenn man die Verantwortung für eine Region trägt, muss man sich selbstverständlich auch um solche Dinge kümmern – selbst wenn es sich um ein Lager einer NGO oder einer karitativen Organisation handelt.

Leichte Bewegung

An diesem Gespräch nahm erneut der frühere Premierminister Bajram Rexhepi teil. Ich vereinbarte mit ihm bei dieser Gelegenheit, dass er uns im Herbst gemeinsam mit Hasim Thaci, dem Vorsitzenden seiner Partei, in Brüssel besuchen sollte. Unser genereller Eindruck war, dass es eine leichte Bewegung auf der kosovo-albanischen Seite gibt. Es wird anerkannt, dass die Internationale Gemeinschaft noch länger präsent sein muss und insbesondere die Bereiche Sicherheit und Justiz sehr genau beobachtet werden müssen. In manchen Bereichen kann es lediglich eine begrenzte Souveränität geben. Die Internationale Gemeinschaft, vor allem die Europäische Union, müssen diese Begrenzungen vornehmen können.
Die Serben sind gespalten. Einige versuchen, unabhängig von der Statusfrage konkrete Maßnahmen zu diskutieren. Andere wiederum verhalten sich äußerst stur, was die Position der Serben in diesem Prozess nicht stärkt, sondern schwächt.

Pristina, 22.6.2006