Im selbstbewußten Russland

Der Westen, insbesondere Europa, sollte mit Sensibilität umgehen und Russland in einen permanenten Dialog einbeziehen, vor allem wenn es um Sicherheitsfragen geht.
Drei Tage Gespräche in Moskau bestätigen das Bild einer gekränkten Großmacht, die erst langsam die neue Weltlage mit Obamas neuen Raketenplänen, der notwendigen Klimapolitik und ein Europa aus West und Ost zur Kenntnis nimmt.

Populärer Putin

Die Prozesse gehen langsam. Dafür sorgt schon Putin. Der Direktor der bekannten Menschenrechtsorganisation „Memorial“ meinte uns gegenüber, Putins Popularität beruhe zu 80% auf der Tatsache, dass er ins Präsidentenamt gekommen ist, als die Wirtschaft im Wachsen begriffen war. Und zu 20% beruhe sie darauf, dass er den Menschen das Gefühl gegeben hat, wir – die Russen – sind wieder wer. Diese Haltung kam immer wieder zum Ausdruck.
Russland verlangt Respekt und Anerkennung seiner Größe und seines Einflussbereichs. Aber wenn dies auch für die USA ähnlich gilt, so kann die EU das nicht so ohneweiters hinnehmen. Und vor allem die Länder, die Russland zu ihrem Einflussbereich zählen, wie die Ukraine, können das nicht akzeptieren. Auf der anderen Seite sollte der Westen, insbesondere Europa, mit entsprechender Sensibilität umgehen und Russland in einen permanenten Dialog einbeziehen, vor allem wenn es um Sicherheitsfragen geht. Kollektive Sicherheit darf nicht nur ein Schlagwort sein, sondern sollte zum Grundprinzip der europäischen, aber auch russischen Sicherheitspolitik werden.

Wenig Kooperationsbereitschaft

Die Reden des russischen Präsidenten Medwedjew, die jüngsten Erklärungen von Präsident Obama, aber auch die erste größere Rede des neuen Nato-Generalsekretärs zum Verhältnis Russland-Nato gehen in diese Richtung. Alle Diskussionen in der Duma, mit dem Präsidenten des Föderationsrates, aber auch mit Experten haben diese Notwendigkeit bestätigt. Allerdings kann man unter Dialog sehr unterschiedliches verstehen. Die EU, aber auch die Nato verstehen darunter jedenfalls kein Vetorecht, z. B. gegen eine Mitgliedschaft in der EU oder der Nato.
Aus dem gesagten ergibt sich, dass Russland momentan nicht bereit ist, größere verpflichtende Vereinbarungen zu schließen. Das betrifft das Partnerschaftsabkommen mit der EU und den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO. Russland sieht hier zu wenige Vorteile. Und was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft, so möchte die bestehende Elite aus Politik und Wirtschaft (Oligarchen!) die Zölle als Schutzinstrumente zum Aufbau der eigenen Industrien verwenden – wo notwendig, mit ausländischer Hilfe und Beteiligung. Das erhöht überdies die Profite der Oligarchen, schädigt allerdings die KonsumentInnen durch hohe Preise. Und auch der wirtschaftliche Reform- und Modernisierungsprozess wird verlangsamt.

Kluge und engagierte Köpfe

Was die politische Entwicklung betrifft, so sieht die Elite jedenfalls keine dringende Notwendigkeit für Reformen. Die sporadischen diesbezüglichen Reden von Präsident Medwedjew bleiben ohne großartige Konsequenzen. Seitens der EU können wir immer auf weitere Schritte der Demokratisierung und des Respekts für Menschenrechte drängen, aber wirklich verändert werden kann das politische System nur von innen heraus.
Dabei gibt es eine Reihe sehr kluger und engagierter Köpfe. Die Organisation „Memorial“ hat solche. Die Gespräche mit ihren RepräsentantInnen waren besonders interessant. Scharfzüngig, mit Detailkenntnissen und entsprechender Differenzierung analysierten sie die Situation, insbesondere im Nordkaukasus. Dabei unterschieden sie die Politik in Ingussetien von jener in Tschetschenien. In ersterer Republik versucht die Führung, die Zivilgesellschaft in den Kampf gegen den "islamischen" Terrorismus zu involvieren. Auch Menschenrechtsorganisationen wie „Memorial“ werden gehört. In der tschetschenischen Republik hingegen werden seitens der politischen Führung und seitens der Sicherheitskräfte Menschenrechtsverletzungen geduldet und/oder selbst systematisch begangen. „Memorial“ zählt zu den Feinden. Ich glaube, man muss immer wieder auf diese Unterschiede aufmerksam machen und die Vorteile des "Modells Ingussetien" hinweisen. Allerdings lassen die terroristischen Bewegungen auch diesem Modell keine Ruhe und daher kann es nicht so leicht überzeugen. Aber das Mindeste, was wir von Russland verlangen müssen, ist der Schutz der MenschenrechtsaktivistInnen und die konsequente Verfolgung der Mörder solcher AktivistInnen. Diesen Standard der Demokratie und dieses Niveau des Rechtsstaates sollte Russland erreicht haben und umsetzen.

Neues Thema: Klimapolitik

Zum ersten Mal bei einem Gespräch mit russischen Vertretern haben wir diesmal auch ausführlich über die Klimapolitik gesprochen. Insbesondere der Präsident der Zweiten Kammer des Parlaments, des Föderationsrates, Mironow, schilderte uns eine Position, die in Russland sehr en vogue ist. Er ist ein Naturwissenschaftler und betonte die Wichtigkeit der Klimapolitik. Er unterstrich auch den menschlichen Anteil an der Klimaerwärmung. Allerdings gibt es auch natürliche, nicht steuerbare Faktoren. Überdies sei mittel- bis langfristig eine Abkühlung des Weltklima zu erwarten.
Kurzfristig sind Maßnahmen gegen die Erwärmung durchaus sinnvoll, sie müssten aber von allen Staaten getroffen werden. Ich ersuchte allerdings Mironow, auch wenn das nicht die Aufgabe des Parlaments sei, auf die Durchführung der beschlossenen Programme gegen den Klimawandel und zum Energiesparen zu drängen. Wie wir nämlich in einem Gespräch mit den Vertretern der EU-Kommission in Russland erfahren haben, gibt es tolle Programme, die schon im Detail ausgefeilt wurden, die aber nicht umgesetzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass Russland bei den Beratungen in Kopenhagen einen fortschrittlichen Standpunkt vertritt und dass auch in Russland selbst die notwendigen Maßnahmen nicht nur beschlossen, sondern auch umgesetzt werden.

Beeindruckendes Moskau

Im Rahmen solcher Besuche bleibt keine Zeit für eine Sightseeingtour durch Moskau. Da aber unser Hotel gleich neben dem Roten Platz liegt, war ein Morgen- und ein Abendbesuch möglich. Der Platz ist noch immer sehr beeindruckend, ist aber sicher nicht mehr so furchterregend und politisch schwergewichtig wie in kommunistischen Zeiten. Und leider ist das alte Kaufhaus Gum auch zur Nicht-Wehnachtszeit kitschig beleuchtet. Dass der Rote Platz Moskau und Russland etwas Imperiales gibt, ist trotzdem nicht zu leugnen.
Von der vergangenen – kommunistischen – Zeit gibt es nach wie vor viele Zeichen im Straßenbild. Vor allem aber zeugen etliche U-Bahnstationen mit heroischen Bildern und Mosaiken von der vergangenen Epoche. Lenin jedenfalls bleibt ein großer Führer. Stalin sieht man kaum und wir trafen auch den Herausgeber der Stalin betreffenden Dokumente. Die Reaktion auf die kritische Auseinandersetzung mit Stalin ist unterschiedlich. Insgesamt allerdings "modernisiert" sich Moskau auf vielfältige Weise. Und das ist gut so. Aber die Widersprüche der Gesellschaft werden noch lange sichtbar und spürbar bleiben. Und Moskau hoffentlich eine beeindruckende Metropole.

Moskau, 25.9.2009