Wien ist mehr…

Es bleibt zu hoffen, dass die politischen Verhältnisse auch in Zukunft die Offenheit dieser Stadt, das gleichgewichtige Verhältnis von sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen und die Bereitschaft zu kulturellen Experimenten zulassen.
Wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt und – vielleicht mit einem Fotoapparat – durch Wien geht, dann kann man sehen, dass diese Stadt mehr ist als ihre historischen Gebäude, ihre touristischen Attraktionen und auch mehr als ihre von manchen als grantelnte, von vielen Touristen als sehr freundlich wahrgenommenen typischen WienerInnnen ist.

„Melting pot“ Vienna

Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich etwas wiederholt, was schon vor 100 Jahren stattgefunden hat: eine starke Zuwanderung. Sie ist sicher in der Art und der Struktur der ZuwanderInnen anders. Sie ist vielfältiger und globaler. Traditionelle ZuwanderInnen aus den Nachbarländern mischen sich mit neuen Gruppierungen aus Asien und Afrika. Arme, und Flüchtlinge mischen sich mit begüterten MigrantInnen.
Vielleicht ist der Ausdruck „mischen“ nicht ganz der richtige. Vielfach leben die Menschen unterschiedlicher Herkunft nebeneinander. Entweder in Parallelgesellschaften, in kleinen familiären Gruppen oder als „Monaden“. Aber bis zu einem bestimmten Ausmaß ist das auch im „melting pot“ New York der Fall und unvermeidlich.

Vielfältigkeit auf allen Ebenen

Bei meinen Rundgängen durch Wien, beim Einkaufen auf den Märkten, wenn ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahre, dann erlebe ich ein durchaus friedliches Mit- oder Nebeneinander. Dabei weiß ich auch, dass es beim „Zusammenwohnen“ sehr wohl Probleme gibt. Und deshalb unternimmt auch die Stadt Wien einiges, um die vorhandenen Spannungen ab- und neue Verständigungsmöglichkeiten aufzubauen. Im Verhältnis zu manch anderen, europäischen Städten sind wir durchaus beispielhaft. Allerdings sollte das Schulwesen für die Integration eine noch größere Rolle spielen.
Vielfältig sind in Wien nicht nur die Menschen, sondern auch die Stadtlandschaften und die Architektur. Dabei ist nicht alles gelungen. Manches Erbe wie Otto Wagners Gesamtkunstwerk am Donaukanal wird nicht gebührend bewahrt und gepflegt. Dann wieder sind die architektonischen Lösungen zu wenig mutig. Aber insgesamt gesehen haben wir es auch baulich mit einer anregenden und spannenden Stadt zu tun.

Europäische Vorreiterrolle

Ich denke mir oft, dass die Menschen dieser Stadt mehr aus der geografischen Lage und aus der Vielfältigkeit ihrer Bürgerinnen machen könnten. Aber vielleicht ist Wien zu schön und zu ruhig, um sich dauernd in einen internationalen Wettbewerb zu begeben. Und außerdem schneiden wir bei internationalen Vergleichen ohnedies sehr gut ab.
So bleibt nur zu hoffen, dass auch in Zukunft die politischen Verhältnisse die Offenheit dieser Stadt, das gleichgewichtige Verhältnis von sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die Bereitschaft zu kulturellen Experimenten zulassen. Es wäre schade, würde Wien seine europäische Voreiterrolle, die es auf vielen Gebieten der Kommunalpolitik hat, aufgeben. Wir brauchen die europäische Einigung, aber Europa braucht auch Städte wie Wien, um seine Identität zu bewahren.

Wien, 21.9.2009