In Kiew

P1010252Am Flughafen von Odessa sah ich kurz vor dem Abflug nach Kiew im Fernsehen, wie Präsident Yanukovich ein Jahr nach seinem Amtsantritt die „Reformarbeitsgruppe“ eröffnete. Diese kam dann auch in Kiew in einigen Gesprächen zur Sprache.

Die „Reformarbeitsgruppe“

Für den Staatspräsidenten ist es wichtig, die notwendigen Reformen direkt bei seinen Ministern einzufordern. Und er tut dies mit aller Schärfe in der Öffentlichkeit und unter Beiziehung unseres EU-Botschafters in der Ukraine. Wie mir der Außenminister in einem bilateralen Gespräch erklärte, ist es für den Präsidenten wichtig, sich nicht nur auf den Apparat und die bürokratischen Prozesse zu verlassen. Er will die notwendigen Reformen, die die Ukraine in die EU bringen sollen, direkt einfordern und ermahnt seine Minister, die Reformen zu beschleunigen.

Andere wieder meinen, eine solche Methode kann nicht funktionieren. Man kann das System nicht auf diesem Weg umgehen und die notwendigen Reformschritte erzwingen. Vor allem wenn man weiß, wo die Reformwiderstände wirklich liegen und welche Macht die verschiedenen Oligarchen haben. Diese sind vor allem auch im Parlament direkt vertreten. Es gibt kaum ein Parlament, das so sehr durch Oligarchen bestimmt und so wenig durch ideologische Differenzen gekennzeichnet ist. Die Alternative zu ideologischen Disputen ist nämlich in vielen Fällen nicht die pragmatische Zusammenarbeit, sondern die reine – persönliche – Interessenspolitik. So ist es jedenfalls in der Ukraine.

Die Opposition einbeziehen

Aber nicht nur das Parlament, sondern auch die Medienlandschaft ist stark oligarchisch geprägt. Zwar gibt es auch öffentliche elektronische Medien, und diese sind sehr regierungsnahe. Aber es gibt viele private, von Oligarchen finanzierte Medien, also einen oligarchischen „Medienpluralismus“. Auf den bezog sich auch Premierminister Azarov, als wir auf die Notwendigkeit der Medienfreiheit hinwiesen. Ich verwies aber sowohl bei ihm als auch beim Außenminister auf die Notwendigkeit, in wichtigen Angelegenheiten – so bei der Ausarbeitung der Verfassung, aber auch in europäischen Angelegenheiten – die Opposition zur Mitarbeit einzuladen. Sollte sie nicht konstruktiv mitarbeiten, dann sollte man das durchaus in der nationalen und europäischen Öffentlichkeit darstellen.

Auch die Prozesse gegen führende VertreterInnen der letzten Regierung sollten rasch, fair und transparent durchgeführt werden. Andernfalls muss der Eindruck einer parteiischen, von der Regierung gelenkten Justiz entstehen. Und das schadet der Ukraine sicher. Nachdem derzeit mehrere wichtige Abkommen mit der EU in Verhandlung sind, sollten schon aus diesem Grund keine Schatten auf das Justizsystem fallen. Im Übrigen ist für ein Abkommen über die Visaliberalisierung noch einiges zu erledigen, und auch bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen und über das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit stockt es noch.

Korruption muss gestoppt werden

Die entscheidende Frage ist allerdings, wie die Korruption bekämpft wird. Und natürlich fragt man sich, warum diese gerade in der Ukraine so endemisch ist. Und warum hat sich der Transformationsprozess hier als so schleppend und brüchig erwiesen? Verschiedene Antworten wurden auf diese meine Frage gegeben. Der ehemalige kroatische Präsident Stipe Mesic, der so wie ich beim „5. EU-Ukraine-Forum“ sprach, meinte, das liege am „bolschewistischen“ System, das hier im Unterschied zu Jugoslawien herrschte. Aber das gab es auch in anderen Ländern. Einer der polnischen Organisatoren der besagten Konferenz meinte mir gegenüber, hier gab es keine gemeinsame, nationale Grundphilosophie der politischen Kräfte zur Veränderung des vorherrschenden Systems mit einer Orientierung am westlichen Model.

Wahrscheinlich stimmt beides, und die verschiedenen Persönlichkeiten und Machtgruppen, die sich jeweils bereichert haben – nicht zuletzt am öffentlichen Eigentum – halten sich gegenseitig an der Macht. Es ist ja auch bezeichnend, dass bei aller auch gerichtlichen Verfolgung des politischen Gegners die wirklichen Oligarchen auf beiden Seiten des politischen Spektrums verschont bleiben. Weder die wahren Ursachen noch die wahren Verursacher der Korruption wurden bisher aufgedeckt oder angetastet. Darauf habe ich immer wieder hingewiesen und jedenfalls einen möglichst konsequenten Übergang zu einem System verlangt, das die Möglichkeiten der Korruption minimiert. Ich mache mir nun über die Folgen meiner Mahnungen keine Illusionen, aber wir alle, die wir die EU vertreten, müssen dies immer wieder ansprechen.

Kiew, 23.2.2011