Korruptionsturbulenzen

Der Kampf gegen die Korruption ist einer der wesentlichen Faktoren in der Vorbereitung auf den EU-Beitritt Rumäniens. Aber auch die wirtschaftliche und soziale Lage darf auf keinen Fall verdrängt werden.
Am Ende der Straßburgwoche flog ich gemeinsam mit meinem Kollegen Jan Marinus Wiersma nach Rumänien.

Bei Oli Rehn

Schon am Mittwoch hatten wir bei einem Arbeitsessen mit Erweiterungskommissar Oli Rehn einige Frage zur zukünftigen Erweiterung der EU, insbesondere um Bulgarien und Rumänien, diskutiert. Wir erwähnten bei dieser Gelegenheit, dass wir nach Rumänien fahren werden und baten Rehn um seine Einschätzung der bisherigen Entwicklungen in diesem Kandidatenland.
Prinzipiell geht auch Oli Rehn davon aus, dass es in vielen Bereichen zu positiven Entwicklungen gekommen ist. Dennoch konnte er uns nicht sagen, ob es eine Empfehlung der Kommission für einen Beitritt im Jahr 2007 geben wird. Wird die Aufschubmöglichkeit in Anspruch genommen werden? Welche Sicherheitsmaßnahmen und -kontrollen sollen nach Ansicht der Kommission im Fall einer späteren Aufnahme in Gang gesetzt werden, um sicherzustellen, dass es nicht zu negativen Rückentwicklungen kommt? Diese Fragen blieben offen.

Frühstück mit Petr Roman

Wir kamen Donnerstag spätabends bzw. Freitag früh in Rumänien an und checkten in unserem Hotel ein, um dort eine relativ kurze Nacht zu verbringen. Am Morgen frühstückte der frühere Premierminister Petr Roman mit uns. Roman war Vorsitzender der Demokratischen Partei, die zum damaligen Zeitpunkt noch Mitglied der Sozialistischen Internationale gewesen ist. Ich habe ihn schon mehrmals getroffen, gerade auch bei meinen Besuchen in Rumänien.
Roman versucht heute, auf der linken Seite – ohne selbst Mitglied der sozialistischen Partei zu sein – ein breiteres Forum für Reformen zu schaffen. Auf den amtierenden Staatspräsidenten Traian Băsescu, der Roman als Vorsitzenden der Demokratischen Partei abgelöst hat, ist er nicht gut zu sprechen. Auch auf den vorherigen Präsidenten Ion Iliescu war Roman nicht gut zu sprechen. Als dieser noch rumänischer Staatspräsident war, hatte dieser unzählige Konflikte mit Petr Roman ausgetragen. Heute arbeitet Iliescu allerdings in seiner Rolle als moralische Autorität der sozialistischen Partei wieder mit Roman zusammen, um auf der linken Ebene über die sozialdemokratische Partei hinaus eine stärkere linke Bewegung zu schaffen.

Schwere Korruptionsvorwürfe

Die Sozialdemokratische Partei (=Sozialistische Partei) ist mittlerweile in Schwierigkeiten geraten, nachdem verschiedene Vertreter Schlagzeilen gemacht haben, allen voran der frühere Premierminister Adrian Năstase, der bis zuletzt Parlamentspräsident war und in schwere Korruptionsverdächtigungen geraten ist. Năstase hat sich große Verdienste um Rumänien gemacht und das Land durch zahlreiche Reformen und eine Annäherung an die Europäische Union weit voran gebracht. Das kann ich voller Überzeigung bestätigen und habe dies auch beispielsweise vor Journalisten getan.
Die übrigen Fragen müssen durch Gerichte entschieden werden, hier erlaube ich mir kein Urteil. Angesichts der schwerwiegenden Anschuldigungen nicht nur in politischen Auseinandersetzungen, sondern auch von den Staatsanwälten, war die Entscheidung Năstases, vor wenigen Tagen zurückzutreten, jedenfalls absolut richtig. Nur so konnte er die Sozialdemokratische Partei von den Belastungen, die mit den Anschuldigungen verbunden sind, befreien.

Undurchsichtigkeiten

Für uns ist es schwierig zu beurteilen, ob die Vorgangsweise der Regierung und der Staatsanwaltschaft einseitig und subjektiv ist und dem politischen Missbrauch dient – so lautet zumindest der Vorwurf von sozialdemokratischer Seite. Die Vorgangsweise der Regierung könnte durchaus auch korrekt sein. Und es könnte auch in den Reihen der Sozialdemokraten, die die vorhergehende Regierung gestellt haben, ein größeres Ausmaß an Korruption gegeben haben als in einigen Regierungsparteien.
Die Beschuldigungen richten sich gegen Viele. Allerdings dringt kaum etwas zu den Richtern vor – vor allem hinsichtlich der wenigen bekannten Fälle, die die Demokratische Partei – also die Partei von Präsident Băsescu – berühren. Ob das deshalb so ist, weil man davon ausgeht, dass die Richter selbst korrupt sind oder ob einfach nicht genug Beweismaterial vorliegt, um vor Gericht bestehen zu können, ist ebenfalls schwer zu beurteilen.

Keinen politischen Missbrauch treiben

Fest steht, dass das derzeitige Korruptions- bzw. Antikorruptionsklima Rumänien schadet. Der Kampf gegen die Korruption muss geführt werden – darüber besteht kein Zweifel. Und er muss in aller Strenge geführt werden – gegen die kleinen, aber auch gegen die großen Fälle.
Wir müssen aber auch ganz unmissverständlich verlangen, dass dieser Kampf gegen die Korruption von der Regierung und insbesondere von Präsident Băsescu nicht dazu missbraucht wird, um politische Gegner zu schwächen und zu vernichten und sich selbst eine eigene allmächtige Partei aufzubauen.

Kein gutes Bild

In diesem Sinn macht es kein gutes Bild, dass kürzlich etwa 180 Bürgermeister unter dem Deckmantel von finanziellen und sonstigen Verlockungen von den Sozialdemokraten vor allem zu den Demokraten gewechselt sind. Wir wurden informiert, dass es sich in vielen Fällen um Bürgermeister handelte, denen ihrerseits Korruption vorgeworfen wurde. Man hatte ihnen aber angeblich deutlich gemacht, dass diese Vorwürfe im Falle eines Parteiwechsels getilgt werden würden.
Es ist für uns extrem schwierig, die Vermutungen und Verdächtigungen gegen die Sozialdemokratische Partei zu bestätigen oder vom Tisch zu wischen. Selbst jene, die eindeutig gegen die Korruption auftreten und den früheren Präsidenten Năstase gedrängt haben, zurückzutreten, wollen klar darstellen, dass die Vorgangsweise von der Regierung und den Staatsanwälten insgesamt willkürlich und einseitig ist.

Großes Medieninteresse

Der Parteivorsitzende Mircea Geoana, der in der Regierung Năstase Außenminister gewesen ist, hatte uns eingeladen und uns gemeinsam mit vielen seiner KollegInnen die Position der Sozialdemokraten erklärt. Danach gaben wir eine gemeinsame Pressekonferenz, die fast überrannt wurde. 14 Fernsehteams und etwa 30 JournalistInnen waren gekommen, ein TV-Sender übertrug angeblich live.
Wir mussten bei dieser Pressekonferenz eine regelrechte Gratwanderung machen. Weder durften wir als Kontrolleure von außen erscheinen, die auf Sauberkeit in der Sozialdemokratischen Partei drängen noch wollten wir den Eindruck erwecken, dass wir die Regierung und den Präsidenten massiv angreifen und sie einer einseitigen Vorgansweise beschuldigen.

Soziale und wirtschaftliche Frage nicht vergessen

So schilderten wir relativ sachlich unsere Eindrücke und legten unsere Überzeugung dar, dass die Sozialdemokratische Partei aufgrund der Reformen und der Maßnahmen gegen Korruption, die sie selbst in Gang gesetzt hat, unsere Unterstützung verdient. Wir machten außerdem klar, dass der Kampf gegen die Korruption für uns selbstverständlich einer der wesentlichen Faktoren in der Vorbereitung auf den Beitritt in die Europäische Union ist. Aber wir haben auch festgehalten, dass die wirtschaftliche und soziale Lage in Rumänien – bei allen berechtigten Diskussionen über die Korruption – nicht verdrängt werden darf.
Wie uns mehrere Gesprächspartner gesagt haben und wie wir auch aus einigen Berichten wissen, ist die Lage gerade in diesen Punkten äußerst prekär. In Rumänien gibt es einen der höchsten Energiepreise, die Kosten für Medikamente sind beispielsweise extrem hoch, die Pensionen dagegen extrem niedrig.

Sichtbare Armut

In einer solchen Situation ergibt sich eine große Armut praktisch von selbst. Und diese Armut ist in Rumänien nach wie vor sichtbar – zumindest in der Hauptstadt Bukarest, in der wir uns bei diesem Besuch aufgehalten haben. Wie üblich bin ich nach dem Frühstück mit meinen zwei Fotoapparaten durch die Stadt gewandert, um einige Aufnahmen zu machen.
Bei diesem Streifzug habe ich klar gesehen, dass es etwa hinsichtlich der Bausubstanz kaum zu Renovierungen gekommen ist. Hier und da gibt es zwar einige Neubauten, aber sie sind eher einsame Inseln der Modernität und Zukunft in einer insgesamt tristen und zum Teil sehr schäbigen Stadtlandschaft. Aber auch an der Kleidung der Menschen wird deutlich, dass viele nach wie vor auch in der Hauptstadt mit großer Armut zu kämpfen haben.

Zwischenfall vor der US-Botschaft

Bei diesem Rundgang kam es zu einem kleinen Zwischenfall, als ich eine Schlange von Menschen, die bei der amerikanischen Botschaft ein Visum beantragen wollten, fotografiert habe. Die Sicherheitsdienste der amerikanischen Botschaft wollten dies verhindern und ich musste die Fotos, die ich mit meiner Digitalkamera aufgenommen hatte, wieder löschen. Obwohl die Beamten sich korrekt verhielten, verstand ich ihr Eingreifen trotzdem nicht ganz. Hätte ich mit böser Absicht unbedingt Fotos machen wollen, so hätte ich das sicher nicht derart offensichtlich getan.
Sei´s drum. Ich ließ mich auf keine Diskussionen oder gar einen Streit ein. Mir ging es ja nicht darum, die Lage der US-Botschaft auszuspionieren. Ich wollte lediglich dokumentieren, wie viele Menschen sich schon früh morgens anstellen, um ein Visum für die Vereinigten Staaten zu erhalten.

Wettbewerbsdruck

Nachmittags besuchten wir die Vertretung der Europäischen Kommission, um auch mit deren Leiter Jonathan Scheele die aktuelle Situation zu diskutieren. Scheele meinte, dass der Kampf gegen die Korruption im Großen und Ganzen nicht mit einem blinden Auge, sondern gerecht und korrekt geführt wird. Auf meine Frage hinsichtlich der Fähigkeit Rumäniens, dem Wettbewerbsdruck zu widerstehen – wie das im Zuge des Beitritts immer wieder verlangt wird – antwortete er, dass dies sehr unterschiedlich zu bewerten sei. Für einige Firmen und Sektoren funktioniere es sehr gut, andere stünden vor großen Problemen. Prinzipiell ist dieser Punkt für Scheele aber kein Beitrittshindernis.
Wir unterhielten uns auch über die Möglichkeiten, nach dem Beitritt Kontrollen durchzuführen und Maßnahmen zu setzen. Insgesamt scheint mir die Kommission in ihren Überlegungen weit genug zu sein, wie man auf das Mitgliedsland Rumänien – und dasselbe gilt für Bulgarien – auch nach dem Beitritt entsprechenden Druck ausüben kann.

Drei Botschaften

Unser Besuch in Rumänien war kurz. Ich werde zurück nach Wien fliegen, mein Kollege Jan Marinus Wiersma nach Amsterdam. Wir haben drei klaren Botschaften hinterlassen. Wir unterstützen den internen Kampf der Sozialdemokratie gegen Korruption und für Sauberkeit. Wir lassen keinen Zweifel daran, dass der Präsident und seine Regierung die Verantwortung dafür tragen, eine klare und unparteiische Linie zu vertreten. Und wir müssen auch die ökonomische und soziale Entwicklung in diesem Land sehr aufmerksam beobachten.

Bukarest, 17.3.2006