Visionsloser Gymnich

Das Ergebnis des Salzburger Außenminister-Gipfels war nicht berauschend. Heute ist es offensichtlich schon ein Fortschritt, wenn man keine Rückschritte macht.
Am vergangenen Samstag ging der Gymnich, das Gipfeltreffen der AußenministerInnen, in Salzburg zu Ende. Im Mittelpunkt stand dort nicht zuletzt das Thema Balkan.
Am Samstag erreichte uns aber auch die Nachricht, dass Slobodan Milosevic in seiner Gefängniszelle in Den Haag tot aufgefunden wurde. Das war keine gute Nachricht. Eine Reihe von Gerüchten wird folgen, und viele Fragen bleiben offen.

Keine Perspektiven

Aber auch das Ergebnis des Salzburger Gipfels war nicht berauschend. Heute ist es offensichtlich schon ein Fortschritt, wenn man keine Rückschritte macht. De facto hat sich nichts bewegt. Die AußenministerInnen haben sich nur mühsam durchgerungen, die bereits getroffene Entscheidung der Beitrittsperspektive für die einzelnen Länder des Balkans zu bestätigen. Diese Mutlosigkeit vieler AußenministerInnen bzw. Regierungen angesichts der Stimmungslage in ihren eigenen Ländern, diese Perspektiven- und Visionslosigkeit ist äußerst bedrückend.
Ich möchte das gar nicht der österreichischen Präsidentschaft in die Schuhe schieben. Sie hat sich im konkreten Fall bemüht, wenn sie vielleicht auch die Erwartungen zu hoch gesteckt hat. Wahrscheinlich wäre die Stimmung ohne eine klare Linie für die Integration der Balkanländer noch schlechter gewesen.

Desaster vermeiden

Wie immer es sein mag: Gerade für Österreich bleibt das Ziel aufrecht, diesen Weg zu gehen – nach einer entsprechenden Vorbereitung auf beiden Seiten, also auf Seite der Europäischen Union wie der betroffenen Länder.
Alles andere wäre ein Desaster. Und es würde weitere Absetzbewegungen der jungen und bestausgebildeten Menschen aus dieser Region mit sich bringen und diese Länder in ein noch tieferes Schlamassel führen. Eine solche Entwicklung wäre für die Nachbarn dieser Region, für Österreich und für die Europäische Union insgesamt keinesfalls akzeptabel.

Naher Osten

Über das Außenministertreffen von Salzburg diskutierten wir auch am Mittwoch während der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments. Diese Debatte war nicht nur sehr aktuell, da der Gipfel ja erst vor wenigen Tagen stattgefunden hatte, sondern auch spannend, weil es auch um die aktuellen Entwicklungen in Israel und Palästina ging, die uns derzeit große Sorgen bereiten.
Mittags sollte eigentlich der palästinensische Präsident Abbas vor dem Plenum sprechen. Abbas war bereits am Abend zuvor in Straßburg angekommen und reiste auch gleich wieder ab, weil die israelische Regierung ein Gefängnis in Jericho gestürmt hatte und einige von den Palästinensern bereits verurteilte Häftlinge befreien wollte, um sie nach Israel zu bringen. Es bestand die Angst, dass die Gefangenen vorzeitig frei kommen würden.

Aggressive Politik

Nun geht es aus meiner Sicht gar nicht darum, die Gefangenen zu schützen oder gar deren Taten zu rechtfertigen. Einer der Gefangenen hatte angeblich den früheren israelischen Tourismusminister getötet. Relevant ist für mich aber die Tatsache, dass Israel momentan wieder eine äußerst aggressive Politik betreibt. Sie hat mit dieser Aktion in Jericho den palästinensischen Präsidenten Abbas in große Schwierigkeiten gebracht.
Ich sehe in Israel derzeit niemanden, der ein seriöser Gesprächspartner sein könnte, und die Hamas sieht das ohnehin nicht. Die Position von Abbas wurde zudem durch diese einseitige Aktion der Israelis genauso in Misskredit gebracht wie es seinerzeit bei Arafat der Fall war.

Verzweiflung und Ratlosigkeit

Eigentlich bin ich angesichts dieser Situation völlig verzweifelt und ratlos. Israel ist ganz offensichtlich durch die permanente einseitige Handlungen – und das betrifft nicht nur das Stürmen des Gefängnisses in Jericho, sondern auch die ständige Erweiterung der Besetzungsgebiete und vor allem auch Ost-Jerusalems – nicht am Frieden interessiert. Denn Frieden kann nicht darin bestehen, dass ein Volk unterdrückt wird und den Menschen ihr Land weggenommen wird – und das alles unter Missachtung des Internationalen Rechts und den Beschlüssen der Vereinten Nationen.
Es ist für mich inakzeptabel, dass die Europäische Union in jüngster Zeit – auch auf Druck der Amerikaner – einerseits massiven Druck auf die Hamas und die Palästinenser ausübt und andererseits de facto einen Freibrief für die israelischen Aktivitäten ausstellt. Seitens Israels gibt es nicht annähernd den gleichen Druck wie gegen Palästina. Bezeichnend für dieses Verhalten war die Tatsache, dass kurz vor dem Stürmen des Gefängnisses in Jericho die seit längerem dort stationierten amerikanischen und britischen Überwachungskräfte abgezogen worden – offenbar, um den Israelis das Stürmen zu erleichtern bzw. um keine amerikanischen und britischen Opfer zu riskieren.

Bremsklotz Brok

Trotz all dieser Phänomene konzentrierte ich mich in meinem Redebeitrag im Europäischen Parlament auf die Frage des Balkans und die Entwicklungen in Süd-Osteuropa. Das Ergebnis des Außenministertreffens von Salzburg war, wie schon erwähnt, sehr schwach. Neue, zukunftsweisende und auch pragmatische Schritte wurden nicht vereinbart.
In diesem Zusammenhang habe ich auch bedauert, dass der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok, durch seine Interpretationen des Berichtes über die Entwicklung des Balkans, der diese Woche zur Abstimmung stand, zusätzliche Bremsblöcke eingebracht hat.

Inakzeptable Zwischenlösung

Über zwei Monate lang haben wir die Verabschiedung des Brok-Berichts blockiert. Er wollte aus unserer Sicht für viele Länder und auch den Balkan eine sehr vage, multilaterale Zwischenlösung anbieten. Eigentlich ging es ihm um eine Vereinigung der Länder untereinander, die in der Folge bestimmte gemeinsame Politiken mit der Europäischen Union aushandeln sollten. Das hätte aus unserer Sicht einen dicken Strich quer durch den Balkan gezogen und etliche Länder von der EU abgekoppelt, frei nach dem Motto: Je weniger Mitglieder wir bekommen, desto stärker wird die Europäische Union.
Ich bin zwar felsenfest davon überzeugt, dass die Europäische Union stärker werden muss. Aber das kann nicht durch den Nicht-Beitritt einiger berechtigter Kandidaten erfolgen, sondern nur, indem wir uns durch eine Verfassung und eine bessere Finanzierung der EU stärkere politische und finanzielle Ressourcen geben.

Keine roten Karten zeigen

Jetzt Ländern in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, die von EU-Mitgliedsländern eingekreist sind, die rote Karte zu zeigen, ist für mich unverantwortlich. Für viele mag es ein positives Zeichen sein, wie ich vernommen habe, vor allem für die Kronenzeitung. Aber dieser Schuss würde eindeutig nach hinten losgehen.
Daher müssen wir aus meiner Sicht bei der Linie bleiben, uns selbst gut darauf vorzubereiten und uns ein stärkeres Regelwerk zu geben. Ebenso wie sich die Länder am Balkan gut vorbereiten müssen. Aber das kann nicht mit einer Diskriminierung jener Länder einhergehen, die noch nicht Kandidaten für einen Beitritt in die Europäische Union sind. Wir müssen uns die entsprechende Stärke geben und die Länder dazu bewegen, die notwendigen Reformen im Interesse eines Beitritts klar und rasch umzusetzen.

Straßburg, 16.3.2006