Revolutionsnachwehen

Bei der Unabhängigkeit der Justiz gibt es in Georgien aus meiner Sicht äußerst bedenkliche Entwicklungen.
Gemeinsam mit meinem Kollegen Jan Marinus Wiersma bin ich bereits im Frühjahr für die sozialdemokratische Fraktion in Georgien gewesen. Ich habe dabei viele Erfahrungen gesammelt und konnte diese Erfahrungen nun auch entsprechend in die Diskussionen in Georgien einbringen.

Die Rosenrevolution

Wie erinnerlich, war dieses Land vor einiger Zeit durch die so genannte Rosenrevolution in die Schlagzeilen der Weltpresse geraten. Georgien hat sich durch einen früheren Minister aus der Regierung Schewardnadse gegen das offensichtlich undemokratische, mit sehr viel Korruption und Verfilzung versehene System von Präsident Schewardnadse gewendet.
Schewardnadse ist während der Gorbatschowschen Glasnost- und Perstroika-Periode Außenminister gewesen. Er hat zweifellos viel dazu beigetragen, dass die Sowjetunion zerfallen ist bzw. – um es positiv zu formulieren – dass die baltischen Länder wie die Länder des Ostblock die Möglichkeit erhalten haben, sich endlich frei und demokratisch zu entwickeln. Im eigenen Land, in Georgien, herrschte er allerdings wie ein kleiner Diktator und konnte bzw. wollte weder die Demokratie noch die Entwicklung des Landes positiv beeinflussen.

Bedenkliche Entwicklungen

In der Vormittagssitzung des parlamentarischen Kooperationskomitees EU-Georgien hörten wir zunächst einige Ansprachen – vom stellvertretenden Außenminister, vom Europaminister, vom Vertreter des Rates und der Europäischen Kommission. Danach sind wir in eine erste Diskussionsrunde über die generelle Entwicklung im Lande eingetreten. Wir haben uns dabei insbesondere mit der Menschenrechtsfrage, der Frage der Medienfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz beschäftigt.
Gerade bei der Unabhängigkeit der Justiz gibt es aus meiner Sicht in Georgien äußerst bedenkliche Entwicklungen. Viele Richter sind entlassen worden – und zwar nicht nur jene, denen Korruption zur Last gelegt wurde – im Gegenteil. Manche meinen sogar, gerade diese Richter hätten sich sehr schnell an das neue System angepasst. Betroffen waren vielmehr jene, die sich gegenüber dem neuen Präsidenten Saakaschwili nicht blindlings willfährig gezeigt haben.

Opfer des neuen Regimes

Es geht dabei gar nicht um eine primär politische Beeinflussung. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Unabhängigkeit von RichterInnen vom neuen System sowie vom Präsidenten und seinen HelfeshelferInnen nicht gerne gesehen wurde und wird. Es ist für uns als Außenstehende zugegebenermaßen nicht leicht, die Dinge zu beurteilen.
Eine europäische Richtervereinigung hat mir allerdings einige Unterlagen zugespielt, die in mir die Vermutung aufkommen haben lassen, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Es ist nicht so, dass sich einige entlassene oder zurückversetzte, korrupte Richter als die Opfer der Reform darstellen. Es gibt stattdessen tatsächlich Opfer, die das neue Regime mit Fug und Recht anklagen, keine Fortschritte erzielt und in manchen Fällen sogar die politische Beeinflussung der Gerichte verstärkt zu haben. Ich habe diese Fragen auch bei unserem Treffen mit dem Justizminister angesprochen, allerdings erhielt ich keine bzw. zum Teil falsche Antworten.

Politische Beeinflussung

Am Abend des zweiten Tages unseres Aufenthaltes in Tiflis habe ich mit einer der betroffenen RichterInnen, Frau Tamaswilli, die mittlerweile entlassen worden ist, ausführlich über dieses Thema gesprochen. Tamaswilli und ihren KollegInnen war unterstellt worden, dass sie eine falsche juristische Entscheidung getroffen hätten. Das allein ist schon ein eigenartiger Entlassungsgrund.
Hinzu kommt aber, dass sowohl in der obersten Justizbehörde als auch in dem für Disziplinarfragen zuständigen Ausschuss der Justizbehörde auch Abgeordnete tätig sein können. Da die Partei von Saakaschwili über eine – zugegebenermaßen durch Wahlen erzielte – überwältigende Mehrheit verfügt, ist damit automatisch auch eine politische Beeinflussung gegeben. Das liegt aus meiner Sicht auf der Hand.

Schwache Opposition

Ich habe diese Aspekte während unseres Aufenthaltes immer wieder zur Sprache gebracht und in den Raum gestellt, sie wurden allerdings stets geleugnet. Meine KollegInnen von konservativer Seite haben zudem nicht besonders offensiv agiert, obwohl auch sie mir in einigen Punkten Recht gegeben haben. Schon nach meinem ersten Besuch in Georgien habe ich den Eindruck gewonnen, dass selbst die Opposition fast ausschließlich aus Personen zusammengesetzt ist, die gemeinsam mit Saakaschwili in der Roserevolution die revolutionären Veränderungen herbeigeführt haben, die aber in der Folge von seiner Überheblichkeit und seinem Machtbewusstsein irritiert waren und schließlich deshalb in Opposition gegangen sind.
Saakaschwili ist ein äußerst fähiger und überzeugender Beeinflusser der öffentlichen Meinung. Und so hat er auch den riesengroßen Erfolg bei den Wahlen davon getragen. Es spricht allerdings nicht unbedingt für Georgien, dass man nach der jahrzehntelangen Duldung anderer Systeme erneut einem autoritären Präsidenten das Vertrauen ausspricht.

Zankapfel Abchasien und Südosetien

Die Debatte über Menschenrechtsfragen, Medienfreiheit und das Rechtssystem war nur ein Teil unserer Diskussionen im Rahmen des ParlamentarierInnentreffens. Wir haben uns etwa auch sehr ausführlich über das Verhältnis von Georgien zu Russland unterhalten – vor allem in Zusammenhang mit jenen beiden Provinzen, die sich mehr oder weniger von Georgien abgespalten haben und unter starkem russischem Einfluss stehen: Abchasien und Südosetien.
Russland spielt hier eine ohne jeden Zweifel negative Rolle, in dem es diese beiden Provinzen militärisch und zum Teil politisch beeinflusst und beherrscht. Und es hilft mit, dass die territoriale Einheit Georgiens durch die Abspaltung der beiden Provinzen gefährdet ist. Jedes Land versucht naturgemäß, seinen nationalen Stolz zu untermauern und derartige Sezessionen zu verhindern. Russland beispielsweise betreibt das äußerst massiv im Falle Tschetscheniens. Aber Russland ist aber im umgekehrten Sinn aktiv, wenn es um Südosetien und Abchasien oder um Transnistrien im Fall Moldawiens geht.

Lippenbekenntnisse

Ich habe allerdings weder in diesen noch in den Gesprächen, die wir schon im Frühjahr geführt haben, die Überzeugung gewinnen können, dass Georgien eine konstruktive und noch vorn orientierte Politik betreibt. Ich habe mich erkundigt, nicht zuletzt durch eine Anregung des Kommissionsvertreters, ob es beispielsweise ein Dokument zur Autonomie gibt, die den beiden Provinzen angeboten wird.
Ich habe aber auf diese Frage nie eine Antwort bekommen. Es wird zwar immer wieder angemerkt, dass man den Bevölkerungen der beiden Provinzen durchaus entgegenkommen möchte. Eine handfeste, schriftlich fixierte Vorstellung dazu gibt es allerdings nicht. Man beschränkt sich im Wesentlichen auf massive Kritik an Russland.

Unangenehme Szenen

Der heutige Tag war durch verschiedene Besuche bei jenen Ministern, die für europäische Politik verantwortlich sind, gekennzeichnet. Wir trafen den Europaminister, der – wie nicht zuletzt die Bilder in seinem Vor- und Arbeitszimmer gezeigt haben, ein äußerst aktiver Kämpfer der Revolution gewesen ist und Saakaschwili massiv unterstützt hat. Für dieses Engagement ist er nun mit einem bedeutenden Ministeramt belohnt worden. Wir führten außerdem Gespräche mit dem Außenminister und kamen mit VertretrInnen einer Umweltorganisation zusammen, die für alle kaukasischen Länder zuständig ist. Zudem besuchten wir eine Melde- und Passamt, das mit Hilfe der Europäischen Union modernisiert wurde und heute eine Art Aushängeschild für die Kooperation Georgiens mit der EU ist.
In den politischen Gesprächen haben wir immer wieder unmissverständlich klar gemacht, dass wir es nicht verstehen könnten, falls Georgien Gewalt anwenden würde, um die Provinzen Südosetien und Abchasien ins Land zurückzuholen oder vor Ort die Hoheit zu gewinnen. In den vergangenen Tagen und Wochen haben wir unangenehme Szenen erlebt. Der Präsident des Landes ist selbst mit einigen amerikanischen Senatoren über das Gebiet geflogen, der Verteidigungsminister hat es ihm gleich getan. Und die Hubschrauber wurden beschossen.

Provokation und Gegenprovokation

Wir wollen uns in dieser Auseinandersetzung weder auf die eine noch auf die andere Seite stellen. Wir sehen allerdings, dass Provokationen der Russen oder ihrer HelfeshelferInnen in diesen beiden Provinzen durch Provokationen von georgischer Seite beantwortet werden. Diese Fakten in Kombination mit der Aufrüstung des Heeres lassen keine große Hoffnung aufkommen, dass es bald zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes kommen kann.
Stattdessen besteht auf beiden Seiten eher die Tendenz, es bei den Konflikten zu belassen, diese politisch auszunützen und jedenfalls keinen positiven Beitrag zu einer Lösung beizusteuern. Ich muss allerdings zugeben, dass, selbst wenn Georgien eine positive Haltung einnehmen würde, Russland derzeit noch nicht dazu zu bewegen ist, seinerseits eine positive Haltung anzustreben.

Pattsituation

Ich habe in Gesprächen mit russischen VertreterInnen immer wieder deponiert, dass ich nicht verstehen kann, warum Russland so agiert. Es schafft sch durch diese Politik keine Freunde bzw. nur einige wenige Abhängige und legitimiert mafiöse Strukturen in den betreffenden Regionen. Russland könnte eine viel positivere Entwicklung für sich selbst erzielen, wenn es einen anderen Weg einschlagen würde. Ich kann nachvollziehen, dass Russland an seinen Grenzen auf Stabilität bedacht ist und verhindern möchte, dass Terroristen ihre Wege in diese Gebiete suchen.
Ich bin aber absolut davon überzeugt, dass Moldawien – das ja sogar einen kommunistischen Regierungschef hat -, und die Ukraine oder Georgien, dabei mithelfen würden, Russland an seinen Grenzen Stabilität, wirtschaftlichen Wohlstand zu garantieren und den Terrorismus abzuwehren, da sie selbst ebenfalls kein Interesse an Instabilität haben. Die Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass sich Russland entsprechend freundschaftlich und positiv verhalten würde. Genau das ist aber leider nicht der Fall. Und aus diesem Grund ist es auch so schwer zu argumentieren, dass die betreffenden Länder eine positivere Haltung einnehmen sollten: Die Reaktion Russlands würde wahrscheinlich trotzdem nicht positiv sein.

Museum der sowjetischen Okkupation

Zwischen den zahlreichen Gesprächen besuchten wir auch das Museum der sowjetischen Okkupation. Vieles von dem, was hier gezeigt wird, entspricht hinsichtlich des Terrors in der Sowjetunion zweifellos der Wahrheit. Auch Stalin, der selbst ein gebürtiger Georgier gewesen ist, wird hier nicht ausgespart. Es ist ja bekannt, dass gerade Stalin manche Maßnahmen gegen Georgier gesetzt hat, weil er beweisen wollte, dass er kein engstirniger Nationalist ist, sondern an die gesamte Sowjetunion denkt.
Dennoch hatte ich beim Besuch dieses Museums kein gutes Gefühl. Wenn man den Ein- bzw. Ausgangsbereich betritt, springt einem zuallererst ein Farbfilm über die Rosenrevolution, die Vertreibung von Schewardnadse und die Machtübernahme im Staat durch Präsident Saakaschwili ins Auge. Diese Vorgänge haben allerdings mit der russischen bzw. sowjetischen Okkupation nicht zu tun. Saakaschwili hat ja nicht die russische bzw. sowjetische Okkupation beseitigt, sondern hat im Rahmen der Rosenrevolution Schewardnadse, der damals georgischer Staatspräsident gewesen ist, von der Macht verdrängt.

Instrument der Propaganda

Aus meiner Sicht wäre es im Übrigen wesentlich vernünftiger gewesen, hätte man hier ein Museum zur Geschichte Georgiens bzw. zum Kampf Georgiens um seine Unabhängigkeit errichtet. In diesem Falle hätte man die verschiedenen Phasen inklusive der sowjetischen Okkupation, die massiv dazu beigetragen hat, die Unabhängigkeit zu verhindern, zeigen können. Man hätte zeigen können, wie es schließlich zur Unabhängigkeit gekommen ist. Man hätte ein einigermaßen objektives Bild von Schewardnadse zeichnen können. Und man hätte schließlich auf die Rosenrevolution hinweisen können.
So aber handelt es sich nur um ein weiteres Instrument der Propaganda, insbesondere gegen die Sowjetunion, sprich gegen den großen Nachfolgerstaat Russland. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich einmal mehr, dass Russland sich leider nicht zu seinen dunklen Phasen der Geschichte und der Beherrschung bzw. Kolonialisierung sowie der Vertreibung von Völkern und der Vernichtung von Bevölkerungsgruppen und unliebsamen Personen bekennt und sich dafür entschuldigt. Es führt allerdings auch zu nichts, wenn das sowjetische Verhalten in dieser ohnedies heiklen Phase massiv kritisiert wird.

Keine objektive Darstellung der Geschichte

Eigentlich kann ich aufgrund der kurzen Führung, die wir im Museum hatten, nur schwer beurteilen, inwieweit – abgesehen von Stalin – darauf aufmerksam gemacht wird, dass auch sehr viele Georgier sich beteiligt haben. Es war ja nicht nur die Sowjetunion, es waren nicht nur die Russen, sondern auch genügend Georgier haben ihren Anteil. Jene, die im Museum besonders positiv herausgehoben werden, sind die georgischen Adeligen. Sie haben gelitten und sind sogar, zweifellos zu Unrecht, dem Tode zugeführt worden.
Trotzdem ist dieses Museum keine objektive Darstellung der Geschichte, sondern ein Propagandainstrument. Und genau hat mir an diesem Haus nicht gefallen.

Tiflis, 13.9.2006