Sozialismus à la China

peking_2Es ist schwierig, die Eindrücke meines China-Besuches wieder zu geben. So viele Impressionen prasseln auf einen ein, dass man Zeit und Ruhe brauchen würde, um sie zu verarbeiten. Ich habe immer wieder versucht, zwischen den offiziellen Gesprächen in die Wohngebiete zu gehen, um auch dort Eindrücke vom Alltagsleben zu bekommen. Natürlich war dort auf Grund der Sprachbarriere keine Kommunikation möglich. Aber ich habe jedenfalls keine depressiven, verzweifelten Menschen vorgefunden. Und genau das macht die Beurteilung der Menschenrechtskämpfer in China so schwierig. Denn sie drücken das aus, was wir in Europa angesichts jeder Diktatur und von autoritären Regimen empfinden. Aber inwieweit kommen bei ihnen die Empfindungen und Wünsche der großen Mehrheit der Bevölkerung zum Ausdruck?

Diskussionen um Ai Weiwei

Nun, die Kämpfer für Demokratie und den Respekt gegenüber den individuellen Rechten in solchen Ländern wie China sind immer eine Avantgarde und eine Minderheit – jedenfalls zu Beginn. Und es gibt nachweislich viele Missstände in China. Das sagen ja auch die offiziellen Vertreter des Landes. Aber diese wollen keine offenen Aktionen dagegen und vor allem nicht vor der ausländischen Öffentlichkeit. Die Frage aber ist, inwieweit die Betonung der individuellen Rechte – auf Informations- und Medienfreiheit etc. – auf eine breite Zustimmung stoßen. So sind wahrscheinlich die Aktivitäten von Ai Weiwei im westlichen Ausland bekannter und geschätzter als in China selbst.

Im Übrigen hat sich um die Person von Ai Weiwei eine rege mediale Diskussion entfacht. So hat eine chinesische Galeristin aus Berlin gemeint, Ai Weiwei gehe es mehr um wirtschaftliche Interessen und auf andere, „echte“ Menschenrechtsaktivisten verwiesen. Ein langjähriger Freund von Ai Weiwei hat dessen provokative Ader erwähnt und berichtete, dass es lange Zeit der größte Wunsch Ai Weiweis gewesen sei, mit seinen Freunden vor allem in der Öffentlichkeit Nacktfotos zu machen. Nun, wie dem auch sei, keines von diesen freundlichen oder weniger freundlichen zuerkannten Attributen rechtfertigt die Verhaftung von Ai Weiwei. Diese ist nicht zu rechtfertigen, sie ist dumm und schadet auch dem Image Chinas.

Das Zentralkomitee

Im Zuge unseres Aufenthaltes sprachen wir also immer wieder die Frage der individuellen Freiheiten und Rechte an. Aber natürlich waren dies nicht die einzigen Gesprächsthemen. Wir wollten vor allem die offiziellen Argumente und Denkweisen der chinesischen Gesprächspartner hören. Und da hatten wir vor allem Gespräche mit hochrangigen Vertretern der Kommunistischen Partei Chinas. Sie stellen ja die wirkliche Regierung im Lande dar. Einerseits trafen wir den jetzt schon vorbestimmten zukünftigen Präsidenten des Landes und Parteichef Xi Jinping. Das war eher ein formeller Empfang und angesichts seiner zukünftigen, aber noch nicht offiziell formalisierten Funktion war er sehr vorsichtig. Neben anderen hochrangigen Mitgliedern des Politbüros trafen wir auch den Chef der Organisationsabteilung und Sekretär des Zentralkomitees, Li Yuanchao. Aus heutiger Sicht ist auch er einer der Männer mit großer politischer Zukunft. (Es geht übrigens immer nur um Männer, denn bei aller Betonung der Gleichberechtigung ist China weit entfernt vom gender mainstreaming.)

Li Yuanchao ist verantwortlich für die Auswahl der Funktionäre in ganz China, so erwarteten wir eher einen trockenen Apparatschik. Stattdessen trafen wir einen sehr gebildeten, ausgezeichnet argumentierenden Politiker. Er schilderte, wie oft China versucht hat, von anderen Ländern zu lernen. Von den USA, von Japan, von Europa – und immer wurde das Land genau von denen geschlagen und besiegt, das es nachzuahmen versuchte. Dann hat China von der Sowjetunion gelernt. Aber auch diesbezüglich musste es viele Mängel und Nachteile bemerken. So kam es dazu, einen Sozialismus bzw. Marxismus mit chinesischen Charakteristika anzuwenden. Immer wieder betonten unsere Gesprächspartner die chinesischen Bedingungen und Besonderheiten, die sie bei ihrer „sozialistischen“ Politik berücksichtigen.

Chinesische Besonderheiten

Zu den besonderen Bedingungen zählt auch die ungünstige Klima- und geografische Situation. Aber auch die Geschichte, die China und seine Bevölkerung immer wieder zum Opfer ausländischer Interventionen machte. Und dazu zählen nicht zuletzt furchtbare Massaker, vor allem auch seitens der japanischen Truppen. Deshalb hat China einen eigenen spezifischen Weg gesucht und gefunden. Und deshalb respektiert China auch die Souveränität anderer Länder, ob klein oder groß. Und es erwartet auch seitens der anderen Länder Respekt für seine Souveränität und territoriale Integrität.

Noch scheint die Einheit des Landes nicht ganz gesichert, aber China ist allen separatistischen Bestrebungen und vermeintlicher Unterstützung dafür von Außen gegenüber äußerst negativ eingestellt. Und es verspricht auch nach Erlangen der wirtschaftlichen Reife bei seiner Politik der Zusammenarbeit zu bleiben und seine Machtposition nicht auszunützen. China will ein verantwortlicher globaler Partner bleiben bzw. werden.

Strategie zum Machterhalt

Und wie will sich die Kommunistische Partei Chinas an der Macht halten? Immer wieder kommen die Vertreter der Partei auf ihren neuen Slogan zu sprechen: Die Interessen der BürgerInnen kommen zuerst. Sie wollen durch eine gewisse Entideologisierung und durch die Konzentration auf die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen Vertrauen gewinnen bzw. zurück gewinnen. Es geht ihnen um Wohlfahrt und Prosperität, Gerechtigkeit und Fairness sowie um Sicherheit und Stabilität. Von Klassenkampf und ähnlichem ist schon lange nicht mehr die Rede. Darüber hinaus haben sie viele Elemente der Demokratie in die Partei eingeführt: bei den internen Wahlen, den politischen Entscheidungen und der Überwachung.

Dennoch habe ich Zweifel, dass all diese Änderungen ausreichen, um die ungeheuren Probleme des Landes lösen zu können. Demokratie mit Wettbewerb zwischen den Parteien und die Wahrung nicht nur der sozialen, sondern auch der individuellen Rechte scheinen mir den chinesischen Öffnungen überlegen zu sein. Dadurch kann man nämlich wirklich auf die Interessen der Menschen eingehen.