Städte im Umbruch

Auch kleine und mittlere Städte können durch entsprechende Umgestaltungen eine ungeheuere Lebendigkeit bekommen – wie zum Beispiel Gronongen im Norden Hollands.
Mein Kollege und Freund Jan Marinus Wiersma, mit dem ich im Europäischen Parlament und in unserer Fraktion intensiv zusammenarbeite, hat mich für einen Tag nach Groningen eingeladen.

Wissenschaft und Energie

Groningen ist eine nordholländische Stadt. Jan Marinus wurde dort geboren, und ich selbst habe dort vor 40 Jahren als Student an einem Seminar teilgenommen. Gerne habe ich daher die Einladung angenommen, Groningen nach so langer Zeit wieder einmal zu besuchen. Groningen ist eine nicht besonders große Universitätsstadt, in der 180.000 EinwohnerInnen und 40.000 StudentInnen leben. Das studentische Leben trägt auch maßgeblich zur Lebendigkeit und Wirtschaftskraft der Stadt bei.
Groningen ist darüber hinaus das Zentrum einer Energieregion, insbesondere auf dem Gassektor. Es befindet sich hier ein großes Verwaltungsgebäude der GASUNI, also der Gasgesellschaft Hollands – zweifellos ein zweites wichtiges Bein, das nicht zuletzt dazu beigetragen hat, dass in Groningen ein überaus sehenswertes Museum gebaut wurde. Ein Trakt dieses Museums wurde von Coop Himmelb(l)au gestaltet. Leider war bei unserem Besuch gerade dieser Trakt nicht zu besichtigen, da Umbauten für eine neue Ausstellung vorgenommen wurden.

Vom Städtchen zur Stadt

Insgesamt zeigt sich, dass auch kleine und mittlere Städte durch entsprechende Umgestaltungen eine ungeheuere Lebendigkeit bekommen können – vergleicht man das Groningen von heute mit dem eher verschlafenen Städten, wie ich es vor ca. 35 Jahren erlebt habe. Ein weiterer holländischer Kollege von mir, der zugleich Delegationsleiter der holländischen SozialdemokratInnen im Europäischen Parlament ist, Max van den Berg, hat hier vor etlichen Jahrzehnten die Funktion des Verkehrsstadtrates ausgeübt. Er hat damals durch ähnliche verkehrpolitische Maßnahmen, die ich zum Teil selbst als Wiener Verkehrsstadtrat setzen konnte, Verkehrsberuhigungen erreicht und Plätze freigemacht. Damals hat es dazu große Proteste gegeben, und heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass massive Autoverkehrströme die Innenstadt durchziehen.
Groningen wird aufgrund der topographischen Lage und der holländischen Tradition stattdessen massiv von RadfahrerInnen durchkreuzt und -quert. Es gibt Kanäle, auf denen Hausbote liegen – in einem konnte ich bei meinem ersten Aufenthalt selbst übernachten. Die Stadt besticht also durch eine überaus angenehme und attraktive Struktur, und durch die erwähnten Rekonstruktionsmaßnahmen hat man schon sehr viel erreicht. Trotzdem möchte man jetzt noch weiter gehen und hat sich durch eine Abstimmung der Bevölkerung ein zukunftsweisendes Projekt absegnen lassen.

Verschmelzungen

In Groningen ist dasselbe passiert wie in vielen anderen Städten, so zum Teil auch in Wien: Plätze, die sich ursprünglich durch einen kleinen, intimen Charakter auszeichnet haben, wurden im Laufe der Zeit, insbesondere nach den schrecklichen Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg, erweitert – wie bei uns der Stephansplatz. Stock im Eisenplatz und Stephansplatz sind nicht mehr getrennt, sondern zu einem gemeinsamen, nicht klar strukturierten Platz zusammengewachsen.
Hans Hollein hat versucht, diese Entwicklung durch die Positionierung des Haas-Hauses ein wenig zu korrigieren. Er wollte außerdem zwei Säulen platzieren und so die beiden Plätze noch stärker akzentuieren und klarer trennen. Leider ist sein Vorschlag abgelehnt worden. Aus meiner Sicht hätte man durchaus mutiger vorgehen können, auch wenn der Stephansdom für TouristInnen dann nicht mehr so gut zu fotografieren gewesen wäre…

Gefühl und Sensibilität, aber auch Mut

In Groningen soll jedenfalls in nächster Zukunft in der bestehenden niedrigen städtebaulichen Struktur ein sehr hohes Gebäude errichtet werden, um auch hier die ursprüngliche Dimension des Platzes zwischen der Hauptkirche und dem Rathaus wiederherzustellen. In diesem sogenannten Groningenforum soll ein Kultur-, Informations- und Konfliktlösungszentrum errichtet werden, das der Stadt auch eine stärkere Verbindungsfunktion zwischen dem studentischen Leben und dem normalen städtischen Leben eröffnen soll.
Wir haben im Zuge unseres Aufenthaltes interessante Gespräche mit dem Stadtentwicklungsstadtrat, der Stadträtin für Jugend- und Sozialangelegenheit sowie dem Leiter des Groningenforums geführt. Es wurde dabei bestätigt, dass es wichtig ist, städtische Interventionen auch im zentralen Bereich mit Gefühl und Sensibilität, aber auch mit Mut vorzunehmen, um Fehlentwicklungen der Vergangenheit, die auch auf vergangenen Ansichten zur Modernisierung beruht haben, zu korrigieren. Städtebauliche Maßnahmen müssen mit sozialen und integrativen Maßnahmen verbunden und die Bevölkerung muss entsprechend einbezogen werden.

Herausforderungen für die StädteplanerInnen

Ob es sinnvoll ist, so weit zu gehen, dass man die Bevölkerung über städtebauliche Vorhaben abstimmen lässt, ist eine andere Frage. Im Falle Groningens ist jedenfalls interessant, dass sich die Bevölkerung für dasselbe Projekt entschieden hat wie die Jury. Somit war auch gar kein schwieriger Diskussionsprozess notwendig und das Projekt konnte zur Grundlage der Planungen gemacht werden. Ich bin seit jeher an städtebaulichen Fragen interessiert gewesen und daher war es für mich interessant und wohltuend, von einer derartigen Entwicklung zu hören.
Erst vor wenigen Tagen bin ich von den Wiener StadtplanungsexpertInnen eingeladen worden, vor den MitarbeiterInnen über die Frage der globalen und europäischen Einflüsse auf die Stadtentwicklung zu referieren und auch die entsprechenden Rahmenbedingungen abzustecken. Natürlich war dabei vor allem auch Wien ein Thema. Im Mittelpunkt standen Fragen der globalen Entwicklungen, des Klimaschutzes, des Energieaspektes, der regionalen Entwicklungen und der stufenweisen Eingliederung Südosteuropas in die EU, ebenso wie das wichtige Thema der Migration und Zuwanderung.

Verstärkte Integrationspolitik

Die kürzlich veröffentlichte Prognose, dass Wien sich in die Richtung einer Zwei-Millionenstadt entwickeln wird und dass diese Entwicklung gerade durch eine verstärkte Zuwanderung aus Europa erfolgen wird, sollte sorgfältig und mit entsprechender Sensibilität bewältigt werden. Und dabei geht es nicht nur um eine städtebauliche Bewältigung, sondern gerade auch um eine soziale Bewältigung.
So sehr ich ein glühender Anhänger einer vernünftigen Migrations- und Zuwanderungspolitik bin, so sehr bin ich auch ein glühender Anhänger einer verstärkten Integrationspolitik. Wien hat es bisher absolut gut geschafft, diese Prozesse miteinander zu verbinden und nicht in Widerspruch zu bringen. Wien hat es gut geschafft, dass es seine überregionalen, europäischen und sogar internationalen Aufgaben sowie seine Ausstrahlung mit einer sorgfältigen Pflege der Bedeutung der Stadt, ihrer Struktur, ihrer Gebäude und ihres Lebens für die hier lebende Bevölkerung verbindet – auch im Sinne der Bewahrung einer Identität.

Nicht mit Status qou zufrieden geben

Es besteht immer die Gefahr, dass die einzelnen Ansprüche auseinanderklaffen und angestrebte Entwicklungen, etwa die Immigration, von der schon hier lebenden Bevölkerung nicht unterstützt und akzeptiert werden. Und das drückt sich natürlich auch politisch aus – insbesondere bei den Stimmen, die der FPÖ gegeben werden. Und nicht jede Stimme, die der SPÖ oder den Grünen gegeben wird, ist zwingend eine Stimme, die mit allen Integrations- und Migrationsleistungen zufrieden ist.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns nicht mit dem derzeitigen Status quo von Migration und Integration zufrieden geben dürfen. Unsere, auch im Vergleich zu anderen Städten, gute Leistung und starke Mischung auf der Basis sozialdemokratischer Politik im wahrsten Sinne des Wortes ist eine hervorragende Basis. Ich bin der Meinung, dass in der SPÖ selbst, aber auch darüber hinaus der Dialog und die Vermittlung der Bedeutung von Migration, aber auch die Chancen, die aus dieser Migration herauskommen, unterstrichen werden müssen.

Neue Wege gehen

Wir müssen außerdem im Umweltbereich neue Wege gehen. Die Reduktion von Energieabhängigkeit, insbesondere von fossilen Energieträgern, auf der einen Seite steht ebenso im Vordergrund wie ein verstärktes Energiesparen und das Nützen alternativer Energien. Was Wien bereits geleistet hat, ist eine gute Basis für stärkere Leistungen. Die EU-Erweiterung in Richtung Balkan, aber auch in Richtung des Raumes um das Schwarze Meer, von der Türkei über die Ukraine bis zum Kaukasus, kann Wien zu noch größerer regionaler Bedeutung bringen.
Der dritte Aspekt, den es in Zukunft stärker zu berücksichtigen gilt, ist die soziale Komponente. Das kann aus meiner Sicht sinnvollerweise nur im regionalen Zusammenhang getan werden. Wir müssen in Österreich selbst, aber auch in Bratislava danach trachten, das Potential der Region städtebaulich, verkehrsmäßig und kulturell entsprechend zu heben.

Kleine Mosaiksteine

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass ich kürzlich in einer vertraulichen Mission mit unserem Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz in Bratislava gewesen bin und dort mit verschiedenen politischen VertreterInnen von NGOs auch über die Situation in der Slowakei sprechen konnte. Auf dem Weg nach Bratislava bin ich an meiner Heimatstadt Bad Deutsch-Altenburg vorbeigefahren und habe dabei ein ambivalentes Gefühl verspürt. Einerseits hat die Verschlafenheit, die dort spürbar ist, durchaus einen gewissen Reiz und ich freue mich, dass das es nicht zu einer ähnlichen Verformung der Dörfer und Städte gekommen ist wie in Bratislava.
Auf der anderen Seite könnte die gesamte Region allerdings eine größere und stärkere Entwicklung vertragen, wenn es vernünftig gemacht wird und stufenweise in Kombination mit einer entsprechend übergeordneten Raumplanung erfolgt. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, dass der Cityliner, jenes Schiff, das zwischen Wien und Bratislava verkehrt, in der Regel ausgebucht ist – zweifellos von vielen Touristen, aber nicht nur. Ein zweites Schiff wird demnächst angeschafft, um den Verkehr entsprechend bewältigen zu können. All das sind kleine Mosaiksteine. Als 1989 die Grenze gefallen ist, habe ich mir das Zusammenwachsen dieser Region rascher und stärker vorgestellt. Nun, es dauert länger. Und das hat einen Vorteil: Man kann die Entwicklung mit Sorgfalt planen.

Groningen, 20.4.2007