USA II: Eine Stadt wie keine andere

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New York

New York ist eine Stadt, an der man sich nicht satt gehen kann. Jedenfalls mir geht das so.

Komplexes Gebilde

Schon die Fahrt vom Flughafen in die Stadt ist berauschend. Unser routinemäßiges Fliegen nach und von Brüssel bzw. von und nach Strassburg gehört sicherlich nicht zu unseren Privilegien, von denen in einem Teil der Öffentlichkeit immer wieder die Rede ist. Manche Reisen, wie diese in die USA, empfinde ich hingegen schon als ein Privileg, wenngleich für Sightseeing kaum Zeit ist. Das einzige, wozu wir diesmal gekommen sind, war eine halbstündige Besichtigung einer kleinen Vermeer-Ausstellung im Metropolitan Museum mit dem „Milchmädchen“-Bild im Mittelpunkt, zu der wir direkt vom Flughafen aus gefahren sind. Im Übrigen: Der Andrang ins Museum, wenngleich nicht nur von AmerikanerInnen, zeugt auch von großem kulturellem Interesse, das wir den AmerikanerInnen oft absprechen.
Vieles ist an New York bewundernswert. So zum Beispiel, dass diese Stadt überhaupt funktioniert. Ein derart komplexes Gebilde in Funktion zu halten, ist eine ungeheure Leistung. Dabei weiß ich, dass New York nicht mit Manhattan gleichzusetzen ist und dass es weniger attraktive und auch sehr heruntergekommene Stadtteile mit armer Bevölkerung gibt. Aber immerhin, die Probleme einer solchen Stadt nur halbwegs zu bewältigen, ist nicht leicht. Und schade ist, dass die eher sozialdemokratischen Bürgermeister nicht die erfolgreichsten waren. Sie haben die Balance zwischen der dringenden Lösung der sozialen Probleme, der Bekämpfung der Kriminalität und den Ansprüchen der globalen Wirtschaftsinteressen in dieser Stadt nicht geschafft.

Bewundernswerte Multikulturalität

Bewundernswert ist natürlich auch die Multikulturalität dieser Stadt. Ich kann nun nicht sagen, ob dies mehr Parallelgesellschaften sind oder ob hier tatsächlich Integration vorherrscht. Aber wahrscheinlich liegen die Dinge in einer Stadt mit so großer und so vielfältiger Migration anders als in Städten mit einer dominierenden „Heimatbevölkerung“ und nur ein oder zwei Hauptmigrationsströmungen, etwa aus der Türkei wie in Wien und andern österreichischen Städten. Das tut aber der Leistung von New York auf diesem Gebiet keinen Abbruch.
Berauschend ist natürlich auch die Architektur dieser Stadt. Es gibt dermaßen viele aufregende Ausblicke. Die man übrigens kaum länger genießen kann, weil schon der nächste Ausblick ruft. Da wir hier vor allem mit VertreterInnen der Vereinten Nationen Gespräche führen, wohnen wir in einem Hotel unmittelbar gegenüber dem UN-Gebäude. Das UN-Millenium Plaza ist kein Luxushotel, hat aber Faszinierende Ausblicke auf das UN-Gebäude selbst und auf die Umgebung.

Afghanistan nach wie vor Thema Nummer 1

Analysiert man die amerikanischen Medien, dann ist Afghanistan nach wie vor das Thema Nummer 1. Was sollten die USA und in der Folge die europäischen Verbündeten tun, um gut aus der Afghanistanintervention auszusteigen? In der Tat: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Was auffällt ist, dass man die Intervention anscheinend ohne genaue Analyse beschlossen und gestartet hat. Dabei war doch dieses Land über Jahrzehnte Gegenstand intensiver Erforschungen durch zumindest die amerikanischen und britischen Geheimdienste. Haben sie die gesellschaftlichen und politischen Strukturen dieses Landes nicht erkannt? Haben sie ihre Informationen nicht weitergegeben oder wurden diese von der Politik nicht zur Kenntnis genommen?
In einem sehr interessanten Gespräch mit dem afghanischen Botschafter bei der UNO wurde jedenfalls klar, dass der Einsatz völlig mangelhaft vorbereitet worden ist – und das wirft sowohl auf die USA als auch auf die Nato ein schlechtes Licht. Andernfalls hätte es nicht sein können, dass heute 20.000 Taliban im Lande aktiv sind und vor einigen Jahren bloß 6.000. Und in vielen Fällen sind die Taliban diejenigen, die vor Ort anwesend und aktiv sind und den Menschen zwar einerseits Furcht einjagen, aber anderseits auch Schutz gewähren. Die Vertreter der Regierung hingegen haben in der Mehrzahl der Fälle weder ein Gebäude noch ein Telefon zur Verfügung und sind oft Analphabeten.

Im Interesse der Sicherheit

So bekommen die Taliban oftmals trotz extremer Minderzahl die Oberhand. Dazu muss man wissen, dass im Durchschnitt einem Taliban zwölf Sicherheitskräfte der Ausländer oder aus Afghanistan gegenüberstehen. Und durch die in den letzten Jahren wieder gestiegene Drogenproduktion wurde auch die Finanzierungsbasis der Taliban verbessert. Darüber hinaus trägt die prekäre Situation in Pakistan zu einem permanenten Wechsel der Terroristen über die Grenze zu und von Afghanistan bei.
Obama hat also keine leichte Entscheidungssituation. Aber aus heutiger Sicht ist nicht zu sehen, wie die USA diesen Einsatz gewinnen können – noch dazu angesichts vieler Schwächen in Afghanistan selbst. Und der zweite Wahlgang wird kaum etwas daran ändern können. Aber jedenfalls muss alles daran gesetzt werden, um eine Afghanisierung der Sicherheitskräfte und der Bekämpfung der Taliban durch diese zu erreichen. Im Interesse der Sicherheit, auch der EuropäerInnen insgesamt – und das schließt natürlich die ÖsterreicherInnen mit ein – ist einer solchen Strategie voller Erfolg zu wünschen. Aber das braucht jedenfalls Zeit. Und zwar viel mehr Zeit, als mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken.

New York, 27.10.2009