USA VIII: Von Obama lernen

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Chicago

Am Rande unseres Besuchs in Washington diskutierten wir auch über die unterschiedlichen politischen Entwicklungen in den USA und in Europa, konkret über die Verluste der Sozialdemokratie in Europa und die Gewinne der Progressiven in den USA.

Persönlicher Sieg

Sicher kann man die linke Mitte in Europa nicht direkt mit der linken Mitte in den USA vergleichen. Aber es sind deutliche Ähnlichkeiten vorhanden, und vor allem können beide Seiten von den Siegen der anderen profitieren.
Der Sieg der Demokraten in den USA ist nicht nur einer der politischen Partei von Mitte links, sondern vor allem auch einer der Persönlichkeit von Barack Obama. Die Frustration mit Präsident Bush, die Angebote der Demokraten und vor allem ein genau überlegter Wahlkampf mir einem attraktiven Spitzenkandidaten haben den Erfolg gebracht. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass Obama auch Handicaps gehabt hat. Seine Hautfarbe und seine Unerfahrenheit wurden von den Gegnern direkt oder indirekt weidlich ausgenützt.

Neuer Wind

Umgekehrt hat Obama darauf gesetzt, dass er nicht zum abgenützten Establishment in Washington gehört und neuen Wind in die politische Arena bringen wird. Das hat vor allem jene Gruppen angesprochen, die sich ohnedies wenig bis gar nicht in den tonangebenden politischen Entscheidungsstrukturen vertreten sahen. Auf der anderen Seite hat er die Mittelklasse nicht vergessen. Die Wahl von Joe Biden zum Kandidaten für den Vizepräsidenten sollte vor allem die Mittelklasse ansprechen. Im Übrigen brachte der langjährige Senator eine große, vor allem außenpolitische Erfahrung in das Team ein.
Geschickt ging Obama auch mit der in der amerikanischen Bevölkerung weit verbreiteten Angst vor „big government“, also vor zuviel Staatsausgaben, um. Ihm ging es nicht um mehr Staat und mehr Steuern, sondern um mehr Gerechtigkeit. Und damit sprach Obama auch einen zentralen Wert an. Die gesamte Kampagne war nämlich nicht nur auf konkrete Massnahmen angelegt, die er versprochen hatte, sondern auch auf Werte, die Bush missachtet hat.

Schwierigere Mobilisierung

Und mit Werten konnte Obama auch Begeisterung hervorrufen. Ohne Emotionen hätte er nie seinen Wahlsieg einfahren können. Denn die Mobilisierung der Bevölkerung über facebook, twitter etc. konnte nur gelingen, indem er Menschen begeisterte und sie so direkt involvieren konnte. Das ist im Übrigen nun das Problem in der Regierung.
Hier sind Entscheidungen zu treffen, die immer auch einen Teil seiner Wählerschaft verprellen. Und vor allem hat der Kongress ein Wort mitzureden, und der agiert viel eigenständiger als eine Regierungsmehrheit in den europäischen Parlamenten. Und generell ist es schwieriger, Menschen für Regierungsaktionen zu mobilisieren als in einem Wahlkampf. Darüber hinaus kann das die Demokratische Partei nicht übernehmen, denn sie existiert zwischen den Wahlen kaum.

Primitive Kampagne

Wie ich schon in einem Bericht von einer Tagung in der letzten Tour d´Europe dargestellt habe, sind Emotionen, Begeisterung und Werte wichtige Elemente erfolgreicher politischer Kampagnen. Hinzu müssen Persönlichkeiten kommen, die klare und manchmal auch mutige Meinungen vertreten. Natürlich ist das in Ländern, die durch das Wahlsystem auf Koalitionen angewiesen sind, schwieriger als in klassischen Zweiparteiensystemen. Und die Medienwelt, wie sie sich in Österreich darstellt ist, einer solchen Strategie extrem abträglich.
Umso mehr müsste die Sozialdemokratie versuchen, wo immer möglich, eine kritische Gegenöffentlichkeit links der Mitte herzustellen. Das ist den Demokraten in den USA gelungen, nachdem über Jahre hinweg die Republikaner eine rechts-konservative Hegemonie in intellektuellen Kreisen und etlichen Medien wie Fox und Wall Street Journal hergestellt haben. Das sind die gleichen Medien, die jetzt mit ungeheurer Aggressivität gegen Obama vorgehen und ihn als Sozialisten „beschimpfen“. Es ist zu hoffen, dass diese primitive Kampagne gegen Obama nicht zu viele Früchte trägt und den Demokraten nicht den Mut nimmt, ihren Reformkurs fortzusetzen. Wir in Europa können bei allen Unterschieden in den politischen und vor allem Parteisystemen viel von der Obama-Kampagne lernen, und wir sollten dies auch tun.

Washington, 30.10.2009