Von Litauen über Kroatien zum Kosovo

Probleme wie im Kosovo sind nicht von heute auf morgen lösbar.Wir müssen mit Vorsicht vorgehen und die Sensibilitäten aller Partner berücksichtigen.
In dieser Woche stand in Brüssel einmal mehr die Entwicklung und Stabilität in Süd-Osteuropa, also am Balkan, auf der Tagesordnung. Und nach wie vor beschäftigte uns auch die Postliberalisierung. In dieser Frage bin ich Berichterstatter für den Industrieausschuss.

Treffen mit den Litauern

Darüber hinaus fanden auch eine Menge politischer Gespräche und Besprechungen statt. So gab ich etwa gestern Abend für den litauischen Ministerpräsidenten, der in Begleitung seines Außenministers und seines Finanzministers ins Europäische Parlament gekommen war, ein Abendessen, das naturgemäß von intensiven politischen Gesprächen begleitet war. Ein sehr wichtiges Thema war dabei das Verhältnis zu Russland, ebenso wie die Beziehungen zu Weißrussland.
Die Litauer nehmen gegenüber Russland eine durchaus vernünftige, kritisch-pragmatische Haltung ein. Sie sehen Russland als Partner an, der respektiert werden muss. Man macht sich allerdings auch in Litauen keine Illusion über die nicht gerade demokratische Entwicklung in diesem Land und ist konsterniert über die russische Energiepolitik. Zudem wird befürchtet, dass Russland selbst nicht über genügend Öl- und Gasreserven verfügt, um seine bestehenden Lieferverpflichtungen erfüllen zu können. Außerdem sind die Litauer über die mangelnde Versorgung in Russland selbst beunruhigt.

Annäherungsversuche Weißrusslands

Wie schon erwähnt: Auch das mitunter eigenartige Regime von Lukaschenko in Weißrussland war Teil unseres Gesprächs. Lukaschenko hat in letzter Zeit zumindest verbale Avancen gegenüber der EU getätigt. Er ist von Russland und Putin enttäuscht, nachdem die Forderung nach einem höheren Eröl- und Erdgaspreis durch Gasprom auch gegenüber Weißrussland gestellt worden ist. Das rief entsprechende Verstimmungen nach sich.
Es gab und gibt allerdings Zweifel, ob es sich um tatsächlich ernst gemeinte Annäherungsversuche handelt. Der litauische Außenminister gab zu Bedenken, dass es vor allem ein konkretes Zeichen Weißrusslands in Form der Freilassung des einen oder anderen politischen Gefangenen geben müsse, bevor man mit Lukaschenko überhaupt über eine Verstärkung der Beziehungen, die Aufgabe von Sanktionen, etc. reden könnte. Wir haben vereinbart, in dieser Frage in Kontakt zu bleiben. Einige meiner KollegInnen, allen voran mein Freund Jan Marinus Wiersma, sind in diesem Bereich sehr aktiv. Und es wäre durchaus begrüßenswert, dass es zu einer Annäherung zwischen Weißrussland und der Europäischen Union käme. Die zuständigen ExpertInnen sind diesbezüglich allerdings mehr als skeptisch.

Kroatiens Premier Sanader

Der zweite Ministerpräsident, den wir in unserer Fraktion empfangen haben, war Kroatiens Premier Sanader. Im Unterschied zum litauischen Ministerpräsidenten ist er kein Sozialdemokrat, sondern gehört mit seiner HDZ der Europäischen Volkspartei an. Sanader hat die HDZ gründlich reformiert und europäisiert. Das bedeutet zwar nicht, dass sich in allen Sektionen und Bereichen seiner Partei gleichermaßen eine europäische Gesinnung breit gemacht hat. Trotzdem hat er sich für sein Land insgesamt und für die Europäisierung seiner Partei Verdienste erworben.
Zwischen uns bestehen gesellschaftspolitische Unterschiede. Trotzdem arbeiten wir gemeinsam, nicht zuletzt mit der sozialdemokratischen Opposition in Kroatien, daran, Kroatien seinen Weg in die Europäische Union zu ermöglichen. Ich selbst bin Berichterstatter der EU für den Beitritt Kroatiens und war erst vor kurzem selbst in Zagreb, um abschließende Gespräche zu führen.

Parteiübergreifender Dialog

Insbesondere auf der katholisch-konservativen Seite gibt es einige KollegInnen, die in Kroatien so gut wie keine Probleme sehen und das Land so schnell wie möglich in der EU haben wollen. Danach allerdings wollen sie lange pausieren, bevor andere, aus ihrer Sicht nicht katholisch-konservative Länder Mitglied der Europäischen Union werden können. Für mich ist eine derartige Vorgehensweise absolut inakzeptabel. Es gibt nur eine einzige und gemeinsame Integrationsstrategie für die Länder des Balkans: Jedes Land muss, wenn es die entsprechenden Reformen durchgeführt und das notwendige Reformniveau erreicht hat, die Chance haben, der Europäischen Union beizutreten.
Das Gespräch mit Sanader ist angenehm verlaufen – ebenso wie sein kurzer Vortrag in unserer Fraktion und die anschließende Diskussion. Auch das zeugt von einem europäischen Verhalten: Der Dialog mit Ministerpräsidenten anderer politischer Gesinnung als der unseren ist wichtig und notwendig.

Bedachter Player Montenegro

Ich habe im Namen der Fraktion schließlich auch den Ministerpräsidenten von Montenegro empfangen. Er gehört im weitesten Sinn der sozialdemokratischen Familie an. Wir sind äußerst froh, dass Montenegro die Entwicklung, die es nach der Trennung von Serbien genommen hat, in Ruhe und mit entsprechender Sensibilität durchführt. Das gleiche ist auf serbischer Seite, insbesondere unter Führung von Präsident Tadic, gelungen.
Montenegro ist ein kleines Land, das seine Möglichkeiten am Balkan nicht überschätzt. Es wird dennoch ohne jeden Zweifel dazu beitragen, dass es in der derzeitigen schwierigen Phase, in der das Kosovo-Problem auf der politischen Tagesordnung steht, zu Stabilität in dieser Region kommt.

Abänderungsanträge zum Kosovo

Natürlich hat uns auch in dieser Woche das Kosovo-Problem als solches beschäftigt. Ich habe gemeinsam mit einigen KollegInnen mehrere substantielle Anträge zum Bericht des Kollegen Lagendijk gestellt. Joost Lagendijk hatte ursprünglich die Forderung aufgestellt, dass die Europäische Union dem Kosovo die Unabhängigkeit gewähren soll. Zum ersten ist diese Forderung rein rechtlich falsch: Wir können gar niemandem Unabhängigkeit gewähren. Zum zweiten hätte sie in der momentan kritischen Phase eher zur Entfremdung eines in dieser Frage wichtigen Landes, nämlich Serbiens, geführt. Wir setzen also alles daran, diese Forderung verschwinden zu lassen.
Serbien hat schon Probleme damit, dass wir den Plan von Ahtisaari unterstützen. Dieses Limit noch zu überschreiten, ist nicht besonders sinnvoll. Wir müssen wirklich mit Vorsicht vorgehen und die Sensibilitäten aller Partner berücksichtigen. Probleme wie in diesem Fall sind nicht von heute auf morgen lösbar. Einem Land den Gutteil seines eigenen Gebietes wegzunehmen oder zuzulassen, dass sich ein Gebiet abtrennt und in der Folge die Unabhängigkeit anzuerkennen, ist keine einfache Aufgabe.

Dominoeffekt für Rumänien?

Dieses Thema haben wir übrigens auch mit dem Außenminister Rumäniens besprochen, der ebenfalls diese Woche das Europäische Parlament besucht hat. Rumänien hegt eine doch deutliche Skepsis gegenüber der Unabhängigkeit. Das Land fürchtet, dass sich die Unabhängigkeit des Kosovo auch auf Unabhängigkeitsbestrebungen der ungarischen Minderheit in Rumänien auswirken könnte. Er meinte uns gegenüber allerdings, dass sich Rumänien letztendlich der Mehrheitsmeinung in der Europäischen Union anschließen und in der Kosovo-Frage keinen eigenen Weg gehen wird.
Der rumänische Außenminister befindet sich übrigens in einer eigenartigen Situation. Er hat seinen Rücktritt eingereicht, nachdem er sich mit dem Ministerpräsidenten überworfen hat. Dieser Rücktritt ist vom Staatspräsidenten allerdings nicht akzeptiert worden.
Brüssel, 8.3.2007